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Was tut sich in Namibias Musikszene?

Kreative Köpfe machen in einer Pandemie keine Kunst-Pause: Die namibische Musikbranche hat trotz Lockdown nichts an Lebendigkeit eingebüst. Drei Sänger*innen haben über aktuelle Projekte und Gegenwind gesprochen.

Vaughn Ahrens

Das Café Tante Miesche im 3000-Seelendorf Kettich bei Koblenz, tanzende Menschen auf der einen Seite, überwältigte Musiker auf der anderen – wenn der Alternative-Pop-Sänger Vaughn Ahrens an die Highlights seiner Europatour 2019 zurückdenkt, ist der 16. November ein besonderes Datum im gedanklichen Reisetagebuch. Der in Windhoek, der Hauptstadt Namibias, lebende 25-jährige Sänger und Musikproduzent beschreibt das Erlebnis als „eyeopener” seiner beginnenden Karriere.  Eine größere Europatour im Jahr 2020 sollte folgen, ein Deal mit einem südafrikanischen Produzenten stand im Raum, Engagements flatterten herein und alle Songs für das zweite Album waren geschrieben. Doch nach dem Höhepunkt die bittere Enttäuschung: Der Ausbruch der Corona-Pandemie verwies die Pläne auf die Wartebank.  

Als früherer Trampolin-Turner nahm Vaughn die Situation aber sportlich. Statt in einer Schockstarre zu verweilen, wurde alles nochmal umgekrempelt – das geplante Album mit dem Titel „Life and other Unnormalies” gänzlich abgeschrieben. „Ich habe es verworfen, weil das Leben nicht mehr dasselbe war”, so der Interpret. Diesem Statement folgend entstanden neue Songs, die bis Jahresende 2021 auf dem Album „Here lies Vaughn Ahrens” erscheinen sollen. Zwei davon wurden bereits veröffentlicht, darunter der eingängige Song „Thorn in my side”, den der namibische Musiker und Radiomoderator am 3. September launchte und mittlerweile in Windhoek und der Küstenstadt Swakopmund performen konnte. Die Covid-Bestimmungen im Land, nötig gemacht durch die hohen Fallzahlen und unzureichende medizinische Kapazitäten, ließen zuvor Musik-Veranstaltungen mehr als drei Monate lang nicht zu.

Zwischen den Welten

„Das Album vereint unterschiedliche Musikstile, aber mit der Gemeinsamkeit, dass alles von mir und meiner Band gespielt und auch von mir geschrieben und gesungen ist. Ich habe mir für dieses Projekt erlaubt, mich nicht darum zu sorgen, was die Leute von meinem zweiten Album erwarten”, meint der Sänger und ergänzt, dass es ihm darum ging, eigene Geschichten auf seine eigene Art zu erzählen. Dabei greift er großzügig in die Trickkiste der musikalischen Genres – Rock mischt sich mit Retro-Pop und manchmal Reggae-Klängen. Besonders freuen, können sich Fans auf den Song „Sinner in the Suburbs”, der erste Song der Band mit Klavierpart, der Vaughn persönlich viel bedeutet.

Gartenschlauch-Theorie

Das Interview mit Vaughn wurde vor den aktuellen Lockerungen geführt, die Frustration über die lange Durststrecke ohne Live-Auftritte war Ende Juli deutlich herauszuhören. „Es ist so als nähme man einen Gartenschlauch, dreht das Wasser auf, drückt aber seine Finger oben auf die Öffnung, so dass kein Wasser rauskommt – so ist es, wenn man ein ganzes Album mit neuen Songs hat, aber niemanden, dem man es live vorspielen kann.” Was Zukunftsträume anging, blieb der Sänger bescheiden: „Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich würde wirklich gerne einfach wieder live Musik spielen. Ob vor zehn Menschen in einem Garten oder vor 10000 Menschen in einem Stadium.” Dieser Wunsch hat sich bereits erfüllt – seit Ende des landesweiten Lockdowns (Anfang August) fanden bereits mehrere Events statt. Wann sich eine Europa-Tour nachholen lässt, steht noch nicht fest.  

EES

Ein alter Hase im namibischen und deutschen Musikbusiness ist EES. Der 37-jährige Windhoeker, der seine Musik zwischen Kwaito, HipHop und Reggae ansiedelt und dafür den Namen „Nam Flava” erfunden hat, ist auch nach 13 selbstproduzierten Alben nicht müde geworden und brachte vor wenigen Tagen mit „Gamechanger” sein 14. Album heraus, diesmal in Zusammenarbeit mit weiteren Profi-Produzent*innen. Man könne ihn am “besonderem Klang” erkennen, an der „positiven Mischung aus vielen namibianischen Kulturen und dem Sound der Sonne”, meint EES im Interview. Er sei sich und seiner Vorstellung von Musik in den letzten zwanzig Jahren in der Branche treu geblieben, und das, obwohl er auch die profitorientierte Seite des Musikgeschäfts kennengelernt hat.

Nachdem er 2018 mit seiner Band die deutsche Castingshow X-Faktor gewonnen hatte, wurde ihm durch einen Plattenvertrag mit einer der großen Produktionsfirmen rasch klar gemacht, dass nicht nur Vollblutmusiker*innen in den Charts zu finden sind: „Ich komme aus seiner Welt, wo ich alles selber mache und Musik an oberster Stelle steht, ich schreibe einen Song, weil ich das empfinde, ich fühle das, ich erzähle eine Geschichte. Und dann kommst du in Berührung mit der kommerziellen Musikwelt, wo alles nur mehr programmiert wird. Wo es nur darum geht, wie etwas am besten zusammengebaut wird. Welche Schablone können wir von einem älteren Hit nehmen, die genau dann wieder funktioniert wie sie letzten Sommer funktioniert hat, nur ein bisschen anders?” Während EES seine Erfahrungen schildert, wird er aufbrausend, denn er sieht ein großes Problem in dieser Fließbandproduktion: „Die Seele, das Echte, das Authentische fehlt.” Musik brauche Ecken und Kanten, sie müsse nicht perfekt sein. 

Spielverderber oder Spielgewinner?

Mit „Gamechanger” will der seit 2004 in Deutschland lebende Deutsch-Namibier zeigen, dass es so etwas wie schablonenhaftes Musikmachen nicht braucht. So wie er selbst keinen musikalischen Trends hinterherläuft, so sollten auch andere Musiker davon absehen. „Nein, du must nicht dies, du musst nicht das. Ich möchte das „Game” ändern, um zu zeigen, was man alles nicht braucht, um in der kommerziellen Musikwelt erfolgreich zu sein.” Diese Einstellung betrifft auch seine Songtexte, in welchen er an Gesellschaftskritik oft nicht spart – Nashorn-Wilderei in Afrika wird dabei genauso angesprochen wie Waffengewalt, politische Korruption oder die Ausbeutung der Umwelt. Im November tourt EES mit seinen neuen Songs durch Deutschland. 

Lioness 

Lioness, mit bürgerlichem Namen Latoya Lucile Mwoombola, ist als ausgebildete Medizinerin, als erfolgreiche Rapperin und Fashion-Influencerin für viele junge Frauen und Mädchen ein Vorbild. Seit fünf Jahren mischt die Windhoekerin professionell im afrikanischen Musikgeschehen mit und hat seit ihrem ersten in Namibia vielbeachteten Song „Dreams” zwei Alben veröffentlicht: Pride of the CilQ (2018) und Wish You Were Here (2020). Ob in diesem Jahr noch Veröffentlichungen folgen, wird noch nicht verraten. Was aber fix ist: Sie arbeitet hinter den Kulissen an neuen Projekten. Das ist auch ihr Los als Musikerin: „Ich glaube nicht, dass ich jemals aufhören kann, Musik zu machen. Musik hilft mir mental, sie beruhigt mich, ich kann einfach alles rauslassen.” Dass in ihrer Musik Herzblut und Leidenschaft steckt, wissen auch ihre Fans – die mittlerweile quer über den afrikanischen Kontinent verstreut sind. 

Sexismus in der Szene

Erfolgsgekrönte Live-Auftritte, Musikvideos und fast 38000 Follower auf Instagram sprechen für sich, doch es gibt Schattenseiten in der Musikwelt, neben dem Erfolgsdruck, den sie sich zu Beginn selbst auferlegt hat, spricht Lioness von offenem Sexismus in der Szene: „Ich musste mich von bestimmten Personen trennen. Ich wurde von Produzenten, männlichen Kollegen und Männern, von denen ich dachte, sie seien Freunde, sexuell belästigt”, erzählt sie und ergänzt, dass sie sich mittlerweile ihr eigenes Tonstudio eingerichtet hat, um selbständiger zu sein. Mit ihrem Musikschaffen will sie Leute inspirieren und Frauen Mut zusprechen, indem sie „Female Empowerment” (weibliche Selbstermächtigung) vorlebt.  Sie selbst habe am Beginn ihrer Karriere daran gezweifelt, ob sie denn musikalisch gut genug wäre, ob sie in die traditionell männlichen Muster passe, wollte immer besser rappen und sich mit anderen messen – heute weiß sie, dass sie auf ihr Können vertrauen kann.

Inspiration in der Krise

Nach ihrer sechsjährigen medizinischen Ausbildung an der University of Namibia (UNAM) folgten zwei Jahre der praktischen Weiterbildung im Krankenhaus. Als junge Ärztin kam sie mitten in der COVID-Pandemie im Alltag oft an ihre Grenzen, plötztlich mussten Doppelschichten geleistet werden, 36 Stunden Arbeit ohne Pause oder vernünftiges Essen. In diesen herausfordernden Zeiten war die Musik ihr persönlicher Anker – es entstand mitunter der im Juni 2021 veröffentlichte Song „One time” (mit Willy Monfret). Auch mit EES wurde dieses Jahr zusammengearbeitet: Mit “Hunt like a Lion” wurde für das neue Album des Deutsch-Namibiers ein gemeinsamer Song aufgenommen. 

Wenn sie Musik macht, schafft Lioness eine Flucht aus der Realität – für sich selbst und ihre Zuhörer*innen.