Bohema Magazin Wien

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We need to talk about… Mental Health (im Kulturbereich)

Warum sprechen wir so oft von leidenden Künstler*innen? Und was sorgt wirklich dafür, dass psychische Probleme bei ihnen verbreitet sind? Eine Kolumne über das, was schief läuft und wie wir dem Teufelskreis entkommen könnten.

(c) Pinterest /// Design Lara Cortellini

Woher kommt eigentlich dieses Klischee der leidenden Künstler(*innen)? Der erste Gedanke wandert meistens zu Van Gogh, seinem berühmten Ohr und der berühmten Psychose. Oder zu Goethes Leiden des jungen Werther, zu Sylvia Plath, und später in Richtung Club 27 und dem Rock’n‘Roll-Lifestyle: Amy Winehouse, Kurt Cobain, Jimi Hendrix. Viele von uns haben mindestens ein Idol, das sich zu früh aus dem Leben verabschiedet hat.

“But still, the mind, rejecting this new empty space

Fills it with something or someone”

(De Selby, Part 1 /// Hozier)

Das Klischee präsentiert sich so, als würden Künstler*innen ihr Genie hauptsächlich aus ihrem Leiden ziehen. Authentizität wird davon abgeleitet, was die kunstschaffende Person vor, oder während ihrer Karriere durchgemacht hat. Offensichtlich (!) reiche, privilegierte und vor allem glückliche Künstler*innen will irgendwie niemand sehen, wenn es darum geht, die Essenz der Kunst widerspiegeln zu wollen. Selbst die total weichgespülten, kommerziellen Bling-Bling-Künstler*innen wie Taylor Swift singen hauptsächlich über ihre Probleme – und wie sie über diese hinweggekommen sind. Ihr seht, auch mir geht es so. Ich kann Patti Smith und ihre Kunst einfach besser ernst nehmen als Taylor. Mal abgesehen vom künstlerischen Ergebnis, usw. (Das aber in einem anderen Text…) Warum dieser Suffering Artist Trope aber unlogisch ist, schreibt Poppy Burton im Far Out Magazine:

“Mental illness is not a catalyst for creativity, it’s the thing that stops people from functioning until they have fleeting moments of productivity to make that art. Their ability to capitalise on those moments is what makes them talented, not the time they spend suffering.”

Zusätzlich kann argumentiert werden, dass viele andere Menschen ebenfalls Probleme mit ihrer mentalen Gesundheit und ihrem Beruf haben. Vielleicht sind die der Künstler*innen einfach nur sehr präsent?

Immerhin wenden wir uns gerade in dunklen Stunden an die Kunst, fühlen uns in ihren Songs verstanden, lesen von einem neuen Blick auf die Welt, romantisieren ihre Geschichten.

Sie prägen zu einem großen Teil, wie wir mit unseren Emotionen umgehen und sie einordnen. Wir haben die, die Dinge so ausdrücken können, wie wir es möchten, oder andere, die das erlebt haben, nach dem wir uns sehnen oder vor dem wir uns fürchten. Außerdem stehen viele von ihnen wortwörtlich im Scheinwerferlicht – wenn es ihnen nicht gut geht, fällt es logischerweise zuerst auf, oder? Helienne Lindvall fasst es in einem Artikel im Guardian gut zusammen: “Does depression attract them to the job? Or does the job make them depressed?” Beides ist möglich, und sicher auch wahr. Immerhin wollen wohl auch viele auf die Bühne, die sich nach Liebe und Anerkennung sehnen. Allerdings möchte ich mich mit der zweiten These weiter auseinandersetzen.

Eine Studie der Universität Sydney ließ mich vor einiger Zeit zusammenzucken. Untersucht wurde das „Wohlergehen“ von Schauspieler*innen. Bspw. gaben mehr als 40% von ihnen an, nach einer fordernden Performance mit Alkohol wieder „runterzukommen“. Dabei sticht eine Frage ins Auge, die man auf alle Bühnenberufe ausweiten könnte: Warum gibt es so viele Methoden des Aufwärmens vor einem Auftritt, und keine des Wieder-Herunterfahrens, des Cool Downs, die regelmäßig praktiziert wird? Man kennt die Rockstar-Geschichten – Auftritt, riesiges High, Applaus, Leere. Und dann Parties, Drogen, Übermaß. Doch so weit scheint manchmal dieser Spannungsbogen, der am Ende zu Boden kracht, gar nicht weg zu sein von der Lebensrealität der anderen, nicht so berühmten Kolleg*innen.

Laut dem Guardian gehörten 2010 Künstler*innen doch zu den Top 10 der Berufe mit den meisten psychischen Erkrankungen. Und während 2020 viele von uns während des Corona-Lockdowns die Kunst als Stütze erlebt haben, ist mal eben so eine gesamte Berufsgruppe zum Stillstand gebracht worden.

Künstler*innen befinden sich aber auch ohne globalen Ausnahmezustand oft in prekären Arbeitsverhältnissen. Fragt mal euer Umfeld im Kulturbereich, wie viel man für einen Auftritt bezahlt bekommt, egal wo.

Abzüglich der oft anfallenden Fahrtkosten, Versicherung, Wohnen, usw. Das geht übrigens nicht nur den Personen auf der Bühne so. Auch dazwischen und davor gibt es genug Berufsbilder, von denen die wenigsten leben können. Hallo Journalismus. Was das neben Angst und Stress („71% der Musiker*innen hatten schon mal Angst- oder Panikattacken“, aus: Can Music Make You Sick?) generiert wird, ist auch Konkurrenzkampf. Wenn wir doch wenigstens zusammenhalten würden!


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Warum schreibe ich das alles? Weil ich das Gefühl habe, dass wir zwar gerne (und meistens online) über mentale Gesundheit sprechen, aber gerne nur in einem Rahmen, der noch als angenehm erscheint. Oder in toxischer Tumblr-Romantik-Manier. Wo es nicht um Suizide von unbekannten Künstler*innen geht, nicht um Burnout, nicht um einen Blick hinter die Fassade. Es reicht nicht „Mental Health“ als Marketingkonzept auszuschlachten und als Schlagwort für alles Mögliche zu verwenden. Ich kann es nicht mehr hören, wenn die 315. Hipster-Band ihre neue Single über Depressionen vorstellt. Ich kann es nicht mehr sehen, wie Promis im Interview über ihre Kindheit sprechen, damit der neue Film vermarktet wird. So lange Kunst als ständig frei verfügbare Ware angesehen wird, können wir auch nicht die unterstützen, die sie machen. Wir müssen Verbindungen zwischen psychischen Problemen und einem System erkennen, was Selbstständigkeit und künstlerische Berufe, bis auf ein paar Big Player, nicht unterstützt oder gar verhindern will.

Was ich mir noch wünsche: Echten Tiefgang. Bitte mit Höhen und Tiefen. Dann kann Kunst das tun, was sie am besten kann - authentische, individuelle Gefühle katalysieren. Und für uns alle zugänglich machen.

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