Bohema Magazin Wien

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Welcome, there is no escape

Eine Fahrt in den Abgrund, und das ganz freiwillig? Kai Krösche erzählt von seiner neuen Performance Linie Q und wie wir uns alle von Verschwörungserzählungen täuschen lassen können.

Linie Q /// (c) Apollonia Theresa Bitzan

Linie Q führt in der alten WU als immersive Performance in die tiefen Mechanismen von Verschwörungstheorien. Zwischen künstlicher Intelligenz, No-Escape-Rooms und dem guten alten Tunnelblick, lädt Kai Krösche zu einem Spiel mit der eigenen Wirklichkeit ein. Festhalten, der Zug fährt ab…

Bohema: Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die sich schon Verschwörungstheorien zugewandt haben?

Kai Krösche: Ich würde jetzt mal eine Gegenfrage stellen: Wo beginnen Verschwörungstheorien, oder eher Verschwörungserzählungen? Die funktionieren ja oft als Aussagen, die man nicht widerlegen kann, die einfach aus einem Bauchgefühl heraus entstehen. Wer hatte noch keine Überlegungen, die nicht unbedingt den rationalen Kriterien entsprechen? Irrationales Denken kommt oft vor, das ist aber noch keine richtige Verschwörungserzählung. Aber natürlich, wenn man danach geht, was du wahrscheinlich meinst, kenne ich genügend Leute, die an Verschiedenstes glauben. Richtig extrem kenne ich es nur von Facebook zur Corona-Zeit, mit langen Kommentare von wegen „Wacht auf“ und diese ganzen Phrasen, warum Corona eine Lüge sein soll.

B: Ich habe die Frage gestellt, weil ich mich gefragt habe, ob jemand dein Anreiz war, das Stück zu entwickeln.

K: Der Anreiz ist aus meinem letzten Solo-Regieprojekt entstanden. Wir haben uns im Team sehr viel mit „radikalen Verlierertypen“ wie Incels befasst, die sich aus einer selbstattestierten Verliererposition heraus in einen Hass gegen alles und jede*n steigern. Da ist man schnell in einer ähnlichen Schnittmenge. Mein Ausstatter Matthias Krische hat mir dann eine Kurzgeschichte von Dürrenmatt namens Der Tunnel gezeigt. Wenn man sie liest, könnte man meinen sie ist von Kafka. Es geht um einen jungen Mann, der sich in einen Zug nach Zürich setzt und dieser fährt wie immer durch einen Tunnel. Nur diesmal hört der Tunnel plötzlich nicht mehr auf. Der Zug fährt immer schneller und steiler und alle um ihn herum finden ihre Gründe, warum er sich keine Sorgen machen soll. Wir wollten die Geschichte als sehr freie Inspiration behalten: Die Idee von einem Zug, der in einen Abgrund rast und sich in diesem „Tunnelblick“ der Verschwörungen verliert.

B: „Linie Q“ heißt eure Performance. Erzähl doch mal kurz worum es geht.

K: Wir schauen bei Linie Q auf die Mechanismen von Verschwörungstheorien. Sie nutzen soziale Medien und Technologien, um diese Erzählungen an Menschen zu bringen. Es wird dazu inspiriert, dass man während der Aufführung selbst recherchiert und sich auf die Suche nach Hinweisen begibt. Man hat als Teilnehmer*in immer das Gefühl, dass man etwas auf der Spur ist. Und das wird immer weiter befeuert. Wenn ich glaube, kurz vorm Ziel und vor der Wahrheit zu sein, grabe ich mich eben weiter in diesen „Tunnel“ hinein und das hört nie auf.

B: Du nennst es ja auch einen No-Escape-Room. Was kann man sich darunter vorstellen?

K: Man sollte keinen klassischen Escape Room erwarten. Wir haben uns aber durchaus inspirieren lassen von der Idee. Da geht’s meist darum, dass etwas Schlimmes bevorsteht und es innerhalb einer gewissen Zeit verhindert werden muss. Wenn nicht, verloren. Bei Linie Q haben wir uns aber gefragt: Was ist denn, wenn es bei dem ganzen Setup eigentlich gar nichts zu lösen gibt und der Ausgang die ganze Zeit offen steht? Man geht praktisch rückwärts in den Escape Room hinein: Alle Türen sind schon offen. Weil es aber genügend Zeichen und Möglichkeiten der Interaktion gibt, hat man das Gefühl etwas auf der Spur zu sein. Das ist unser Prinzip des „No Escape Rooms“. Der Ausgang ist der langweilige oder auch zu komplexe Alltag. Einfache Antworten, die sich irgendwo verbergen könnten sind da natürlich spannender.

(c) Apollonia Theresa Bitzan

B: Man legt sozusagen immer mehr Scheuklappen auf und verschließt sich vor der Komplexität des realen Lebens. Hat sich unser Blick auf eine objektive Wahrheit denn geändert?

K: Wenn man sich genauer mit dem Thema befasst, dann bekommt man mit, dass die Menschheit es auch früher nicht so wahnsinnig mit der Wahrheit hatte. Eigentlich galt jahrhundertelang das, was wir heute als Verschwörungserzählungen bezeichnen, als “common sense” und war tief verwurzelt in der Gesellschaft. Social Media macht es natürlich schwieriger, Echtes von Fake News zu unterscheiden. Vor allem, wenn man mit immer gleich wirkenden Informationen bombadiert wird, die auf die Schnelle nicht zu unterscheiden sind. Apps wie TikTok legen es ja darauf an, dass schnelles Swipen auch belohnt wird. Da ist der Algorithmus auch eine Art Tunnel, in den man immer tiefer hineinfällt, weil er dir immer mehr von dem gibt, was du sehen willst. In der Hinsicht ist das Handy als eine Art Gateway in verschiedene und ganz individuelle Tunnel zu verstehen und soll im Stück auch benutzt werden. Mithilfe von Chat GPT haben wir, nicht nur als reinen Marketing-Gag, Texte für das Stück geschrieben. Teilweise wird man als Besucher*in wissen, wann diese vorkommen und teilweise ist es auch nicht ganz klar. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, wenn wir schon so ein belastetes Thema wählen, dass wir ausschließlich mit belegbaren Fakten arbeiten. Wie könnten aber die Mechanismen von Verschwörungserzählungen aussehen, wenn man sie bewusst auf unsere Überzeugungen ansetzt? Ist das möglich? Da kommt Chat GPT ins Spiel. Selbst mit Dingen, die wirklich echt sind – da braucht man nicht zwingend Fake News – kann man etwas schaffen, dass sich zum Monster entwickelt.

B: Ihr nehmt also die Wahrheit und kontextualisiert sie so, dass sie gar nicht mehr stimmt?

K: Natürlich wollen wir nicht, dass man am Ende nicht mehr an wahre Fakten glaubt. Aber ja, man kann sie nutzen oder auch auslassen, um eine Emotion auszulösen. Damit beschäftigen wir uns in Linie Q.

B: Kannst du dir vorstellen, dass man aus Verschwörungsgedanken auch wieder herausfinden kann?

K: Ich glaube, dass man sich daraus befreien kann, mit großem Kraftaufwand. Das Problem ist, dass die Verschwörungen teil deiner Persönlichkeit werden. Man muss es sich so vorstellen: Wie würde man denken, wenn man wirklich etwas wüsste, das den anderen verborgen bleibt? Das kann auch ein psychologisches Problem werden: Die gesamte Wahrnehmung passt nicht zur Realität der anderen. Davon wegzukommen muss sehr schwer sein. Destabilisierende Faktoren im Leben können dieses „Versinken“ auch vorantreiben. Es ist wirklich ein Tunnel, der immer steiler wird. Und je steiler der Tunnel, umso schwerer ist es wieder herauszuklettern.

B: Deine Performances setzen ja auch sehr auf Konfrontation mit dem Publikum. Was erhoffst du dir daraus?

K: Man könnte meinen, dass die Themen, mit denen ich mich befasse, oft düster oder extrem sind. Ich würde eher sagen, dass es Ausnahmezustände sind, gesellschaftliche oder auch persönliche. Das interessiert mich immer: Das nicht Alltägliche. Mein Anspruch ist es, die Kunst zu machen, die sonst niemand auf die gleiche Weise macht. Und die ich aber so sehen will. Und dass ich es mag, wenn Kunst starke Gefühle auslösen kann, nicht nur negative. Wir machen zwar kein klassisch immersives Theater, aber ich will mein Publikum in Situationen bringen, in denen die Leute sich dazu verhalten müssen. Gar nicht im Sinne davon, dass sie mitmachen müssen, aber sie müssen eine Haltung dazu einnehmen. Da kann es dann passieren, dass ein Abend auch mal 4 Stunden dauert. Danach nimmt man das Thema wohl oder übel nach der Vorstellung mit Nachhause. Das kann man mögen, oder auch nicht. Meine tiefe Überzeugung ist aber, dass Kunst dazu da ist etwas Neues aufzubrechen. Es darf nicht langweilig sein.

Linie Q findet bis zum 1. Juli im Rahmen des WUK performing arts in den Räumlichkeiten der alten WU statt.