Bohema Magazin Wien

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What do we want? Climate Justice! (and Contemporary Dance)

Gewissensbisse und Dringlichkeiten, die in Die Insel von der Company Two in One im dschungel Wien - Theaterhaus für junges Publikum zu Tränen rühren - denn unsere Erde ist eine so kleine Bühne.

Łukasz Czapski und Elda Gallo von der Company Two in One /// (c) Barbara Pálffy

Ach so, ums Klima geht’s? Oh je. Das hab' ich nun schon tausendmal gehört. Ich bin eh schon fast-immer-Vegetarierin fürs Klima. Ich bemüh’ mich. Ich bemüh’ mich sehr. Und ich habe gelernt, nicht mehr zu genau hinzuschauen – denn dann habe ich das Gefühl, ich bemüh’ mich zu wenig. (Nein, eine Aktivistin ist an mir nicht verloren gegangen.) Die Insel der Company Two in One im Dschungel Wien - Theaterhaus für junges Publikum lässt aber hinschauen, 45 Minuten lang. Gerade genug, um mich wieder wachzurütteln.

Zeigefinger und Selbstkritik

Für eine multimediale Tanzperformance beginnt der Abend mit ziemlich viel Text. In einer Videobotschaft vor seinem Badezimmerspiegel sinniert der Choreograph Ákos Hargitay darüber, dass sich in der Welt so vieles verändern muss. Ich rücke auf meinem Sitzplatz zurecht und mache mich für ein Lehrstück über das Klima bereit. Während seiner Ansprache beim Rasieren lässt Hargitay das Wasser laufen. Über 200 Liter hat er verbraucht, als er den Hahn endlich abdreht, so wird es im Video eingeblendet. Nun gut, zumindest wird hier nicht nur belehrt, sondern auch das eigene Verhalten kritisch betrachtet.

Do you have a minute to talk about trash?

Zwei Kilo Müll verbraucht ein*e durchschnittliche*r Europäer*in am Tag. Was soll ich sagen? Es wird nicht um heißen Brei getanzt. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Der Performer Łukasz Czapski trägt, inspiriert vom Aktivisten Rob Greenfield, ein Kostüm aus dem gesamten Müll, den er innerhalb eines Monats produziert hat. Kleiner Spoiler: Es ist viel. Er tanzt, als würde er langsam daran ersticken.

Performer*innen Łukasz Czapski und Elda Gallo /// (c) Barbara Pálffy

Auch Elda Gallo, die zu Greta Thunbergs berühmter Rede tanzt, als würde sie die Welt zur Rechenschaft ziehen, trägt ein Kleid aus Müll aus dem Produktionsprozess. Die Bewegungen sind laut im Plastik, aber ihr Blick ist lauter. Ich ertappe mich bei einem Seufzer: Die Fridays for Future sind irgendwie alt geworden, vielleicht, weil ich das Gesicht von Greta Thunberg schon zu oft gesehen habe, das Gesicht der Gallionsfigur einer Bewegung, die sich inzwischen schon drei Jahre lang bewegt, aber wohin?

No Planet B – ist das nicht inzwischen ein Klischee, ein Werbespruch? Sich mit Greta solidarisch zu zeigen gehört inzwischen in weiten Kreisen zum guten Ton – zu handeln eher weniger. Dabei werden die Forderungen immer dringlicher. Gerade für diese Dringlichkeit scheint der Tanz ein gutes Ausdrucksmittel zu sein – gesagt wird ohnehin so viel, in der Politik, im Weltgeschehen, auf Diskussionspodien. Was sich hier aber vor allem langsam auf der Bühne entfaltet entsteht aus einem Zusammenspiel aus Bewegungen, Klanginstallation und auf die Rückwand projizierte Bilder und drückt etwas aus, was Worte allein nicht erfassen können.

Die Kunst, das Wesentliche zu sehen

Die Performance berührt mich, sie bringt mich zum Staunen, nicht nur über die faszinierende Choreographie der beiden Performer*innen, sondern auch darüber, wie klein und unbedeutend wir eigentlich sind. Als das letzte von der Raumsonde Voyager 1 auf ihrem Weg aus dem Sonnensystem hinaus ins All aufgenommene Foto auf die Rückwand des Bühnenraums projiziert wird, blicke ich gemeinsam mit den Performer*innen auf den kleinen blassblauen Punkt, der nicht mehr und nicht weniger ist als die Erde. „The earth is a very small stage in a vast cosmic arena“, sagt Astronom Carl Sagan aus dem Lautsprecher. Wie schön, auf dieser kleinen Theaterbühne daran erinnert zu werden.

(c) Barbara Pálffy

Die Performance für alle ab zehn Jahren ist vielleicht gerade für die Generation, die nicht mehr ganz zehn ist, am relevantesten: Denn beim Erwachsenwerden, so kommt es mir vor, geht mit dem Ankommen am Boden der Tatsachen oft der Blick auf das Große und Ganze und Wichtige verloren.

Wer im Theater in eine andere Welt fliehen will, wird von Die Insel enttäuscht werden. Vielleicht gut so. Vielleicht sollten wir uns im Theater nicht den Freuden der Illusion hingeben, sondern mit unangenehmen Fakten konfrontiert werden und unsere Erde zu schätzen lernen, um vielleicht endlich alle in Panik zu verfallen. Because there is no planet B. Nicht einmal für die Kunst.

Termine und Tickets sind hier zu finden.