Bohema Magazin Wien

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Wie aus Rebellen Patrioten wurden

The Trial of the Chicago Seven - Mitreißender Gerichtsthriller, der daran scheitert seinen Figuren ein Denkmal zu setzen.

Foto: David Fenton

Vorsicht: Einige Punkte in diesem Review enthalten Spoiler

Der für sechs Oscars (inkl. "Bester Film") nominierte Film The Trial of the Chicago Seven ist die zweite Regiearbeit des berüchtigten Drehbuchautors Aaron Sorkin (Steve Jobs, The Social Network). Hier nimmt er sich dem berühmten Gerichtsprozess gegen sieben amerikanische Aktivisten (sowie den unbeteiligten Black Panther, Bobby Seale) an, die 1968 einen Anti-Vietnamkriegs-Protest während der Democratic National Convention organisierten und wegen Verschwörung und Aufhetzung angeklagt wurden.

Die perfekte dramaturgische Kurve statt Weltveränderung

Dieses historische Ereignis ist nicht unberührt in der Filmgeschichte. 1971 erschienen bereits zwei subversive Filme als unmittelbare Reaktion auf den Prozess. Peter Watkins drehte mit Punishment Park eine wegweisende Mockumentary über vor Gericht stehende Linke, welche für ihre Freiheit an einem autoritären Todesspiel teilnehmen "dürfen", wohingegen Godard mit seiner Dziga-Vertov- Gruppe den Prozess unter dem Namen Vladimir et Rosa in Form eines avantgardistischen Film-Theater-Hybrids verfilmte. Während Watkins betroffene Kritik an Amerikas Justiz und Polizei übte und die Dziga-Vertov-Gruppe die Welt verändern wollte, scheint Sorkin vor allem an einer dramaturgisch effizienten Interpretation des Prozesses interessiert zu sein.

Foto: Niko Tavernise/NETFLIX — (c) 2020 Netflix, Inc

Es ist leicht nachzuvollziehen, warum sich Sorkin nach 50 Jahren erneut diesem Thema angenommen hat. Der Prozess scheint besonders in der heutigen Zeit wieder extrem relevant zu sein. Der Film wirft viele aktuelle gesellschaftliche Diskurse auf. Neben den Themengiganten, wie dem strukturellen Rassismus der USA, Polizeigewalt und politischer Willkür wird sogar in einem Dialog zwischen Bobby Seale und dem Aktivisten Tom Hayden (Eddie Redmayne) auf die privilegierte Stellung der jungen weißen Protestler:innen eingegangen, die primär einen Generationskonflikt gegen die Eltern auszutragen scheinen und keiner eigenen existenziellen Bedrohung ausgeliefert sind. Ein Parallele zu Debatten um die gymnasial geprägte Fridays-For-Future-Bewegung ist hierbei naheliegend.

Die Intention gelingt...

Formal ist der Film höchst effizient. Er mischt verschiedene Darstellungsformen, wobei der Protest durch immer wieder eingestreute Rückblenden, einen an Stand-up erinnernden Vortrag durch Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) sowie einige kurze Realaufnahmen der Vorfälle dargestellt wird. Meistens zeigt er jedoch den Gerichtsprozess oder die Vorbereitung der Angeklagten auf die jeweiligen Sitzungen.

Der Film weiß durchaus mitzureißen. Die meiste Zeit befinden wir uns als Zuschauer:in in einem Zustand der entsetzten Betroffenheit oder in einer ausgelassenen Partystimmung, welche vor allem durch die komödiantischen (aber trotzdem realistischen) Darstellungen von Abbie Hoffman und Jerry Rubin (Jeremy Strong) sowie die allgemein lockeren Art der Angeklagten hervorgerufen wird. Sorkins Signature Move, seine rhythmisch ausgefeilten Dialoge, sorgen gemeinsam mit der (pathetischen) Musik für eine mitreißende Dynamik, die durchaus den rebellischen Geist der Zuschauenden zu erwecken versteht.

... doch sie ist das Problem

Die Intention, den historischen Vorfall als pures Unterhaltungsprodukt zu adaptieren, ist also durchaus gelungen. Leider nimmt The Trial of the Chicago Seven jedoch für sein Ziel eine perfide Uminterpretation der Protagonist:innen und Forderungen der Neuen Linken vor und verwandelt diese in einen Haufen patriotischer Vorzeige-Amerikaner:innen. Es ist natürlich kein Problem, sich bei der Verfilmung eines solchen Stoffes künstlerische Freiheiten zu nehmen, um die Narration des Filmes unterhaltsamer oder wirkungsvoller zu gestalten. Doch einige dieser Änderungen hinterlassen hier einen zutiefst bitteren Nachgeschmack.

Die Personen, die in diesem Film so hoch gelobt werden sollen, werden rücksichtslos verraten. Dem pazifistischen Aktivisten David Dellinger (John Carroll Lynch) wird eine Gewalthandlung aus dem Affekt und somit ein Bruch mit seinen Idealen angedichtet, während der unangepasste Abbie Hoffman kurzerhand pathetisch erklärt, dass in den USA alle vier Jahre eine friedliche Revolution durch Neuwahlen geschehe. Seinen Klimax erreicht dieser kitschige Patriotismus, wenn am Ende des Prozesses die Namen aller 4752 amerikanischen Soldaten, die seit Beginn des Prozesses gestorben waren, vorgelesen werden, wobei sich alle Angeklagten patriotisch erheben.

Amerikanischer Patriotismus-Kitsch statt Diskurs über Rassismus

Die vietnamesischen Opfer werden selbstverständlich nicht erwähnt, es ist ja nicht so, als hätten die Angeklagten aus Solidarität Vietnam-Flaggen mit in den Gerichtssaal genommen... Auch Bobby Seales entwürdigende Fesselung und Knebelung an 3 (!) Prozesstagen wird kurzerhand zu einem kleinen Zwischenfall erklärt, welcher scheinbar nach kurzem Protest direkt wieder rückgängig gemacht wurde.

Bild links: (c) Franklin McMahon; Foto rechts: (c) 2020 Netflix, Inc

Wieso greift Sorkin den naheliegenden Rassismus-Diskurs nicht in angemessenem Umfang auf? Beide Themen, die vietnamesischen Opfer und der strukturelle Rassismus, wurden im realen Prozess übrigens explizit angesprochen.

Sorkin entscheidet sich klar gegen einen politischen Film

Nein, ein Denkmal setzt der Film sicherlich nicht, hierfür müsste er seine Figuren respektieren. Sorkin entscheidet sich klar gegen einen politischen Film. Ob er dafür zu feige ist oder lediglich an einem normierten Unterhaltungsprodukt interessiert ist, muss jede:r für sich selbst beantworten. Am Ende bleibt zumindest noch ein spannendes Unterhaltungsprodukt zurück, das aus kritischer Distanz durchaus als Zeitvertreib genossen werden kann.