Bohema Magazin Wien

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Durch Lügen die Welt verstehen

Xenia Hausners Idee der gemalten Wirklichkeit und über Deutung und Bedeutung in der Kunst.

Xenia Hausner im Atelier /// Foto: Gerald Y. Plattner (c)

Als ich durch die Ausstellung True Lies von Xenia Hausner ging, war ich fasziniert von ihrer Auffassung davon, was Malerei oder Kunst tun soll. Hausner malt Menschen (meistens Frauen), die sie vorher in einer arrangierten Konstellation abfotografiert. Dieses Foto wird dann in ihrer typischen bunten Farbigkeit mit breiten Pinselstrichen übermalt. Als Ergebnis sieht man Frauen, die die Betrachter:in anblicken und ihr etwas zu vermitteln scheinen. Doch was, das ist nicht immer klar. Geht es um Gewalt, um Liebe, um zwischenmenschliche Beziehungen und wenn ja, wie viele? 

Xenia Hausner lässt die Betrachterinnen selbst aus ihren Gemälden lesen und möchte auch gar keine Deutung vorweggeben: „Letztlich ist alles, woran ich arbeite, ambivalent und fragmentarisch. Ich möchte gar nicht alles ans Licht holen und verstehen. Betrachter lesen das Bild mit ihrem eigenen Fundus an Lebenserfahrungen“, erklärt ein Zitat von ihr an der Wand.

„Über die Fiktion der Kunst lernen wir die Welt besser verstehen.“

Mich hat die Ausstellung an den französischen Regisseur, Dichter und Zeichner Jean Cocteau erinnert, der schon 1983 meinte: „Die Geschichte ist aus Wahrheiten gemacht, die zu Lügen werden, die Mythologie aus Lügen, die zu Wahrheiten werden”. Cocteau zieht deshalb der Historie, die ja grundsätzlich für die Wahrheit steht, die (griechische) Mythologie vor, durch die er die richtige Wahrheit findet. In seinen Filmen erzählt er also durch die Fiktion die Wahrheit. Ich glaube, ihm hätte Xenia Hausner gefallen. 

Suche nach Sinn in der Kunst

In der zeitgenössischen Kunstwelt fällt es immer schwieriger, sich zurechtzufinden und einen Sinn in dem Kunstwerk vor sich zu finden. Standen wir nicht alle schon einmal vor einem modernen Kunstwerk und haben uns gefragt, was es denn nun bedeuten soll oder ob es denn überhaupt so etwas wie eine Bedeutung hat. An solch einem Punkt können wir dann gar nicht anders, als auf unsere eigene Sicht der Welt und unsere Erfahrung zurückzugreifen und diese in irgendeine Beziehung zum Kunstwerk zu setzen. Ich denke, so finden wie eine persönlichere Bindung zur Kunst, die es in früheren Kunstvorstellungen, die nach einer allgemein gültigen Deutung suchten, nicht gab.

Einen Schritt weiter

Nun, bei Xenia Hausner, die eher figurative Gemälde malt, ist es nicht schwer, sich in ihre Charaktere hineinzuversetzen und dadurch vielleicht einen Sinn zu finden. Gehen wir aber in der Albertina einen Raum weiter zu Jakob Gasteiger, der in seinen radikalen Werken verschiedene Farben wie mit einer Harke über die Leinwand streicht, ist die Suche nach einer Wahrheit der Kunst vielleicht schwieriger.

Jakob Gasteiger, Untitled /// Foto: Rainer Iglar

Courtesy of Jakob Gasteiger, 2020

Aber wie gesagt, eine bestimmte Wahrheit gibt es sowieso nicht. Vielleicht sollen Gasteigers Gemälde auch einfach hypnotisierend oder meditierend wirken. Wahrscheinlich SOLLEN sie gar nichts. 

Zwei Schritte weiter

So wie die Landschaftsbilder der niederländischen Künstler in der Ausstellung Stadt und Land. Zwischen Traum & Realität (auch in der Albertina), die im 17. Jahrhundert von der aufkommenden Bürgerschaft massenweise gekauft wurden, um sie sich in Haus zu hängen. Sie waren wie erfundene Wahrheiten, die eine schönere, glamourösere Welt zeigten und damit Anstoß für Überlegungen für die existierende Welt lieferten.

Aufbruch

Nochmal zurück zu Xenia Hausner: das Gemälde „Crime Map“ zeigt einen Ausschnitt von drei Frauen, die mit offenen Augen und leerem Blick auf dem Boden liegen.

Xenia Hausner, Crime Map /// Courtesy Xenia Hausner

Als Betrachter:in kann man nur Vermutungen über das Geschehen anstellen und vielleicht auch anzweifeln, ob es sich wirklich um eine Gewaltszene handelt. Bei Hausners Serie „Exiles“ von 2015 sieht man den Bezug zur Flüchtlingsbewegung dieses Jahrs, aber man kann auch Parallelen zu allgemeineren Aufbruchsbewegungen der Menschheit ziehen. Oder auch auf einer persönlichen Ebene zu Trennung vom Alten und Aufbruch ins Neue. Xenia Hausner bietet also ein breites Repertoire von Deutungsmöglichkeiten und gibt keine klare Wahrheit vor. Vielleicht kann Kunst allgemein mehr über uns aussagen als wir über die Kunst. 

Wie Noam Chomsky meint: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mehr über das menschliche Leben und die menschliche Persönlichkeit über Romane lernen können als von wissenschaftlicher Psychologie.“

Xenia Hausner True Lies und die Ausstellung Stadt und Land. Zwischen Traum & Realität sind noch bis zum 8. August in der Albertina zu sehen, Jakob Gasteiger. Post-radikale Malerei bis zum 22. August. 

Xenia Hausner im Atelier /// Foto: Gerald Y. Plattner (c)

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Jean Cocteau (1889-1963) war ein französischer Schriftsteller, Filmregisseur, Dichter, Zeichner, Maler und Violinist, wobei er alles, was er tat, als Poesie betrachtete. Seine berühmtesten Werke sind Les enfants terriblesOrphée und Le Testament d’Orphée, die alle mit surrealistischen Elementen eine magische Atmosphäre erzeugen.

Avram Noam Chomsky (*1928) ist ein weltweit bekannter Linguist, Sprachwissenschaftler, Intellektueller und Kapitalismuskritiker. Er wurde und wird viel zitiert, wie auch in diesem Artikel.