Radio zum Zuhören
Maja Vasic und Katia Steier mit Radio Schablone im (virtuellen) Café-Gespräch über das Spiel mit der Sprache, wieso Dialekt faszinierend ist und ein Keyboard, das keine Musik spielt- außerdem wichtig: Der Pfirsich.
Bohema: Ihr nennt euch Radio Schablone- Seit wann gibt es euer Kollektiv und was war der Anlass dafür?
Max: Es gibt uns seit 2020.
Laurenz: Angefangen mit der ersten Radio Schablone-Show haben wir für das Angewandte Festival. Da gab’s ein Radio, weil sich das Ganze im Digitalen abgespielt hat und irgendwie sind wir draufgekommen bei diesem Radio mitzumachen, waren dann aber für das Angewandte Festival viel zu spät dran und haben uns gedacht Gut, jetzt haben wir eh schon mehr Zeit, jetzt können wir auch gleich was Umfangreicheres machen.
B: Was genau macht ihr?
L: Wir machen diese Radio Schablone Show. Das ist eine Art Hörspiel im Radioformat. Daneben machen wir auch Audioinstallationen und interaktive Sachen. Spielereien auf verschiedenen Festivals, wo wir eingeladen werden. Alles Mögliche eigentlich. Wir wissen selbst noch nicht genau, was wir alles können und deswegen sind wir bereit dazu alles auszuprobieren.
Michi: Ich würde auch sagen, wir sind freudig am Experiment. Bis jetzt hat sich herauskristallisiert, dass Interaktivität wichtig ist, dass das sehr viel Spaß macht und dass auch ein gewisser intuitiver Zugang zu dem, was wir machen, wichtig ist.
B: Was bedeutet Radio Schablone?
Michi: Hab ich das vorgeschlagen? Ich kann mich nicht mehr erinnern.
Max: Ich glaub ich hab’s vorgeschlagen.
Laurenz: Ich glaub ich hab’s vorgeschlagen.
Michi: Jeder glaubt, er hat’s vorgeschlagen. (lacht) Wir haben irgendwann Mal den Gedanken artikuliert, dass quasi das Radio wie eine Schablone dient von der man gewisse Dinge in unser Format abpausen kann. Die Schablone als Rahmen.
Max: Mit dem Namen Schablone war es so, dass wir eine Radio-Show machen wollten, die als Vorlage wirkliches Radio hat, mit unterschiedlichen, dazugehörigen Teilen, wie Wetterbericht, Nachrichten, Anrufer*Innen, etc. Und dass das eine Schablone ist, die, wenn man Teile übernimmt oder abpaust, ähnlich aussieht wie Radio, aber im Endeffekt nur äußerlich. Das Innere ist dann ganz anders.
B: Ihr sprecht was ihr schreibt. Was für ein Verhältnis ist für euch zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort?
Sebastian: Ich fühl’ mich beim Schreiben auf jeden Fall wohler, aber es war immer interessant für das Radio Sachen einzusprechen, weil man die Texte natürlich nochmal anders wahrnimmt und oft ist es ja so, dass man beim laut Vorlesen nochmal mehr über den Text rausfindet, als wenn er nur schriftlich existiert. Eigentlich eine interessante Herausforderung für jemanden wie mich, der sonst lieber schreibt.
Max: Wir machen das auch unterschiedlich. Es ist nicht so, dass wir immer unsere eigenen Texte selber sprechen, sondern sehr häufig ist es umgekehrt, dass dann jemand von uns den Text von wem anderen spricht. Oder wir haben Freund*Innen, die reinkommen und etwas für uns einsprechen. Das ist oft voll interessant, weil sich dadurch der Text verändert und einen ganz eigenen Charakter bekommt.
B: Nehmt ihr die Soundeffekte selbst auf?
Michi: Wir nehmen prinzipiell alles an gesprochenem Wort natürlich selber auf. Eigentlich auch alles, was so an “musikalischen” Soundeffekten vorkommt und wenn z.B. Laurenz sagt Ich hätte gerne einen Wilhelm-Scream, oder irgendwer sagt dort muss ein Auto eine Brücke runterstürzen und danach fliegt ein Flugzeug drüber, dann sind es Dinge, die sich mit allen gängigen Sample & Sound libraries, die’s halt so draußen gibt, ganz gut zusammenfügen lassen.
B: Stichwort Vorbereitung. Habt ihr auch improvisierte Momente?
L: Natürlich passiert viel während der Aufnahme. Viel Textliches entsteht auch währenddessen und da fallen uns ad hoc natürlich Sachen ein, die wir dann sofort ausprobieren - und manchmal passt’s. In der letzten Schablone, in der zweiten Folge, hatten wir kurze Intermezzi, wo wir uns einfach aufgenommen haben, in den tatsächlichen Aufnahmepausen. Das ist schon eher improvisiert. Aber natürlich. Es ist alles aufgenommen. Es ist nicht, auch wenn man’s denken möchte, live.
Max: Der ganze Arbeitsprozess ist von einem Austausch und ad hoc sich was dazudenken und dann nochmal abändern geprägt, sodass es schwer ist zu sagen, wo die Improvisation anfängt und wo sie aufhört. Plus, wenn jemand einen Text spricht und was eigenes mit dem Text macht, dann ist es auch eine Form von Improvisation. Und dann ist man so Ah, ok, cool. So wollten wir’s nicht, aber so genau nehmen wir’s jetzt, weil das irgendwie ganz anders ist und einem gefällt. Auch in Bezug auf die Sounds. Der Michi arbeitet ja mit Modular-Synthesizern, und da ist es ja schon so, dass du da eigentlich alles improvisierst, oder Michi?
Michi: Ja, ich würde sagen, dort kann ich auf Zuruf agieren. Wenn ihr sagt da muss jetzt noch irgendwas hinkommen, glaub ich schon, dass auch die Kompetenz meinerseits während dieses Erschaffens der Radio-Sendung gewachsen ist, sehr schnell und intuitiv was hinzubekommen, was genau dieser Aufgabe dient.
Max: Ich wollte darauf hinweisen, dass das, was die Radio-Show dann auch über weite Strecken cool macht, nicht nur das Textliche ist, sondern auch alles was rundherum passiert - und dafür ist der Michi in allergrößtem Maß verantwortlich und dieses Zusammenarbeiten mit ihm ist einfach großartig.
B: Orientiert ihr euch an dem*r Autor*In, wenn ihr fremde Text verwendet oder wer legt fest, wie ihr das Ganze inszeniert?
L: Wenn wir fremde Texte reinholen, dann sind das Texte von Bekannten oder von Leuten, die mit uns studieren. Wir kennen Gottseidank relativ viele Leute, die dazu beitragen können.
Sebastian: Inszenierung von den Texten ist immer eine Zusammenarbeit. Erstens hat die Person, die den Text geschrieben hat, natürlich Mitspracherecht, aber ich finde, dass auch die Person, die den Text spricht, automatisch den Text inszeniert. Wir hatten bisher wirklich tolle Sprecher*Innen, die auch selber Ideen hatten, wie sie ihren Text sprechen können. Das heißt es entsteht auch viel im Studio von der Inszenierung.
B: Kennzeichnet ihr, was künstlich ist und was echt ist?
L: Man fängt an zuzuhören und es wird einem vorgespielt, dass das jetzt eine Radio- Show ist, die man hört und innerhalb dessen kennzeichnen wir nicht, was echt ist und was nicht echt ist, weil nichts davon echt ist oder alles davon echt ist. Das ist auch das Witzige daran, dass, wenn man’s hört, einem nicht ganz bewusst ist, was jetzt Unsinn ist und was nicht.
B: Diese Stelle mit dem Frankofon, war die echt?
L: Da hat echt jemand im Studio angerufen. (lacht) Nein, Nein. Es ging uns darum, Leute in die Show einzubinden, aber das geht natürlich nur im Live-Format und dann haben wir uns gedacht holen wir halt einen Frank rein, der übers Frankofon anruft. Der Joke ist, dass wir ihn anrufen. Also wir drehen das Brecht’sche um. Das ist das Radio, wo nicht sie sich mitbeteiligen können, sondern das ist das Radio, das sich bei Ihnen zu Hause einmischt.
B: Es gab eine Stelle mit dieser “Aufzugmusik”. Musik die eigentlich eher die Stille füllt.
L: Genau. Das ist diese Modularmusik vom Michi.
Michi: Ich find’ diesen Moment des Absurden, den man durch Musik herbeiführen kann, oder den man auch durch Stille erzeugen kann, immer sehr, sehr interessant. Und natürlich ist das sehr zentral für alles, was wir zusammen machen: dass wir einen großen Spaß am Absurden an sich haben.
B: Bei dem Never at Home Festival hattet ihr ja die Installation „Infinitive Immersion.“ Da war ein Keyboard, das Wörter und Zahlen und Soundeffekte gespielt hat. War das auch ein Werk von dir, Michi?
Michi: Das entsteht in unserer Symbiose. Ich hab vor Jahren eine Internetseite durch eine Freundin entdeckt, die konnte man durch die Computertastatur wie einen Sampler spielen und das fand ich super lustig. Aber natürlich ist es wenig sexy bei einer Installation zu sagen Ok, setz dich an den Computer und spiel mit der Computertastatur irgendwas. Dort kamen wir zusammen auf dieses Mensch setzt sich wie eine Performer*In hin und spielt den Bach, aber es kommt ein Gedicht oder ein Hörspiel. Deshalb musste das Medium, wenn man mit dem Bild der Performer*In spielt, zumindest eine Form des Keyboards sein, aber eben fusioniert mit der Idee: man triggert Samples, die aber auf einer Internetseite liegen. Und das macht’s für mich auch interessant, weil man kann das Ganze auch mit Heim nehmen. Dann hat es auch diesen medienkünstlerischen oder digitalen Aspekt und bringt alle unsere Interessen gut zusammen.
B: Könnt ihr die Installation kurz beschreiben?
L: Wir hatten ein Keyboard, dessen Tasten nummeriert waren- von 1 bis 61. Jede Taste hat ein Sample wiedergespielt, was in dem Fall Wörter waren...
Max: ...ein Wort pro Taste. Man konnte ein Gedicht schreiben, indem man einfach nur die Zahlen hingeschrieben hat und danach ist man reingegangen und hat sich an das Keyboard gesetzt und die Zahlen abgespielt und rausgekommen ist eben ein Gedicht.
B: War zuerst das Gedicht da oder habt ihr die Worte und Soundeffekte willkürlich gewählt?
Max: Es waren nicht zuerst die Gedichte da. Wir haben schon überlegt, ob wir cut-up-mäßig ein Gedicht auseinandernehmen und dann damit die Tasten belegen. Aber dann haben wir gesagt, dass wir das nicht machen wollen. Dann haben wir uns überlegt nach welchen Kriterien wir 61 Worte auswählen...
B: Was sind die wichtigsten 61 Wörter der deutschen Sprache?
Michi und Laurenz gleichzeitig: Pfirsich.
B: Also die Maschine war ein Medium, das Zuschauer*Innen in Akteur*Innen verwandeln sollte?
L: Im Endeffekt schon. Die Person geht da rein und es ist ein Spotlight und du bist das jetzt.
Max: Es schafft einen Rahmen. Wo man dann auch merkt, dass einem das vielleicht auch Spaß macht, obwohl man das sonst nie macht, nämlich ein Gedicht zu schreiben. Es gibt glaube ich eine riesige Hemmschwelle im Bezug auf Lyrik. Wenn man sagt Es gibt nur 61 Wörter und nicht mehr, dann stellt das überhaupt nicht so eine große Anforderung, sondern es ist viel mehr Spiel.
B: Spielt ihr auch mit anderen Sprachen?
Max: Wir wollen viel mehr mit Dialekten machen. So H.C. Artmann, Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker, das sind Künstler*Innen, die wir auch bewundern. Davon abgesehen macht es uns irrsinnig viel Spaß mit Dialekt und Hochsprache und dem Wienerischen und dem Saarländischen, Hessischen, Schweizerischen zu spielen. Wir finden Dialekt faszinierend. Es vergrößert die gesamte Sprache um ein Vielfaches.
B: Könnt ihr den Prozess des Aufnehmens und der Ideensammlung einer Radiosendung kurz erläutern?
Michi: Prinzipiell ist es ja so, dass von allen, die schreiben, die Phase der Ideengenerierung stattfindet. Dann gibt es konzentriert 2,3 Tage, wo man sagt, man blockt sich diese Tage und ist dezidiert im Studio und lädt dann Leute ein, die potenziell die Texte sprechen, um eine gewisse Diversität in den Stimmen, die diese Texte ins Mikrofon und dementsprechend auch in die Show bringen, zu gewährleisten, um dann an Musikalischem oder Sounddesigntechnischem zu arbeiten. Dann aber am Ende des Tages den Schnitt und die Mischung zu koordinieren. Da kommt ja auch von euch ganz viel Input. Beziehungsweise hören drei, vier Ohrenpaare mehr als eines. Dann ist das eigentlich schon in relativ kompakter Zeit bewerkstelligbar.
Max: Wir waren übrigens nicht von Anfang an zu viert, sondern wir waren zu fünft, wenn nicht zu sechst. Eine sehr gute Freundin von uns, die Dora Koderhold, die den Schablonekopf gezeichnet hat, war bei den letzten zwei Sendungen auch dabei.
L: Falls irgendwer noch dazukommen mag, wäre das kein Problem. Wir sind auch kein jahrhundertealter Verein oder so.
B: Wer oder was inspiriert euch?
L: Fast alles hat die Möglichkeit dazu.
Max: Einander auch. Du, der Sebastian und der Michi, ihr inspiriert mich und ich glaube es geht so hin und her. Es ist nicht so, dass jemand kommt und einen abgeschlossenen Pitch für eine Sache macht, weil es nie als abgeschlossen angenommen wird, sondern es ist so, dass jemand sagt Ahh, das ist cool und das in eine bestimmte Richtung weiterspinnt und dann mischt sich jemand anderes da wieder ein und so setzt sich das Stück für Stück zusammen.
B: Wie geht ihr mit Schreibblockaden um?
Sebastian: Wenn ich Zeit habe zum Schreiben, hab ich gar nicht so Schreibblockaden. Wenn ich mich wirklich hinsetze und was schreibe, dann schreib ich auch was. Aber oft blockieren andere Lebensbereiche das Schreiben, weil ich arbeiten muss oder tausend andere Sachen mich ablenken oder ich gar nicht so die Ruhe finde mich hinzusetzen und was zu schreiben.
B: Würdet ihr sagen, dass eure Ideen sehr viel aus dem Alltag kommen?
L: In der Show fliest alles zusammen, Alltag mit völlig Unalltäglichem.
Max: Ich finde, wenn man in der Vorbereitungsphase für eine Show ist, wird man schon nochmal hellhöriger.
B: Also das heißt, dass sehr viel auch aus eurem eigenen Leben kommt?
L: Also von mir kommt viel Persönliches in diese Show rein. Ich fühl mich sehr wohl damit, weil man überhaupt nicht weiß, was von mir ist, weil’s vielleicht auch jemand anderes spricht.
B: Du willst anonym bleiben?
L: Genau. Mit den Texten zum Beispiel. Das macht’s viel leichter gefühliger zu werden, wenn man nicht unbedingt weiß, dass es von mir ist.
B: Zum Thema Fantasie und Grenzen. Wo sind für euch die Grenzen im Ausdrückbaren, im Sagbaren? Hat Kunst da Freiheiten?
Max: Es gibt bestimmte Inhalte, denen wir einfach nie Raum geben wollen würden. Uns ist definitiv wichtig, dass wir nicht völlig unpolitisches Radio machen.
L: Wir haben klare politische Einstellungen und hoffen, dass die durchkommen, auch wenn es nicht unsere Absicht ist diese die ganze Zeit zu propagieren.
Sebastian: Ich würd mir auch nicht anmaßen zu sagen, was Kunst darf. Wir machen das, womit wir einverstanden sind, was unser Verständnis von Menschlichkeit ausdrückt. Was uns wichtig ist, ist niemanden zu diskriminieren und unsere politische Einstellung durchscheinen zu lassen, ohne eine politische Radiosendung zu machen. Das lässt sich auf jeden Fall nicht ausblenden.
B: Es war im Gegenzug auch spannend sich eure Radiosendung anzuhören und wirklich mal eine Stunde lang Zeit zu nehmen und sich nur auf das jetzt Gesprochene zu konzentrieren. Mir ist aufgefallen, dass das etwas ist, was man heute gar nicht mehr so oft macht. Es gibt immer so viele Ablenkungen.
M: Genau. Also ich hatte einen Freund, der hat auch gemeint, er hat sich das angehört- zuerst daneben irgendwie herum geräumt und dann war er so nein das funktioniert so überhaupt nicht und dann hat er sich hingesetzt und sich‘s einfach von vorne bis hinten angehört. Er hat dann gemeint das ist Radio zum Zuhören.
B: Hört ihr dann selbst auch immer wieder Hörspiele, Podcasts und Radio? Vergleicht ihr euch dann mit denen oder ist es ganz egal oder ist es eine neue Inspirationsquelle?
Mac: Vermehrt würde ich sagen. Ich habe jetzt von mir die Erwartung, dass ich dem Medium etwas mehr Respekt entgegen bringen müsste und vielleicht auch ein bisschen durch diese eigene Arbeit, das Medium viel mehr zu lieben gelernt hab, als es mir davor bewusst war.
S: Aber ich glaube eigentlich nicht, dass wir dem Medium Hörspiel mehr Respekt entgegenbringen müssen. Was heißt Respekt, natürlich sind wir respektvoll (lacht). Aber ich glaube unsere Herangehensweise war bis jetzt, dass wir einfach gemacht haben, was wir gedacht haben, ohne uns an Genrekonventionen zu orientieren. Es ist ja auch kein klassisches Hörspiel, es ist halt so ein komisches Ding zwischen Radioshow und Hörspiel. Es gibt viel mehr verschiedene Segmente.
B: Wie würdet ihr Radio Schablone in drei Wörtern beschreiben?
M: Radio zum Zuhören.
L: Schablone ist gut, Schablone ist schlecht. Schablone von Radio, Schablone für Radio.
Sebastian: Was es schon ausmacht ist, dass es auf der einen Seite sehr lustig ist, aber andererseits kann’s auch sehr schnell real werden. Auf einmal ist es irgendwie traurig, ernst und persönlich. Das waren jetzt mehr als 3 Wörter, aber…
L: Wir können nur Sprache. Wir können nicht zählen.
Hier findet ihr die Links zu RADIO SCHABLONE Volume 1 & Volume 2.