Und sprechen können sie auch noch…
Einblicke in das Innenleben eines Duos - Beethovens erste Cellosonate im Gesprächskonzert mit Julia Hagen, Igor Levit und Philipp Blom.
Igor Levit und Julia Hagen sind hingebungsvolle Kammermusiker*innen. Sie suchen und finden sich, hören aufeinander. Der intime Anfang der ersten Cellosonate Beethovens gelang ihnen gestern im Berio-Saal des Konzerthauses besonders zart, erschien fast aus dem Nichts. Levit, dem im letzten Herbst der Kritiker der Süddeutschen unter anderem vorwarf, überhaupt kein Legato zu besitzen (in einem Artikel voll von kaum verschleierten antisemitischen Phrasen, na danke...) bewies das Gegenteil: Er gönnte sich auch mal etwas mehr Pedal, um manche Bögen fast aquarellistisch zu verwischen, genoss seine vielen Läufe aber pedallos, schüttelte dabei laute Perlen aus dem Ärmel.
Den eigentlichen Beginn des ersten Satzes nach der langen Einleitung (3:03) hätte man auch mit mehr Humor nehmen können. Die durchlaufenden Achtel hatten eher einen ernsten, getriebenen Charakter. Auch eine mögliche Interpretation, für die Levit etwas später seine Begründung lieferte. Es spricht für die Authentizität der Interpretation, dass die Beiden tatsächlich überrascht schienen, als Beethoven nach zwei wilden Akkorden plötzlich in einer fernen Harmonie landete.
Ausnahmsweise durften wir schon nach dem ersten Satz klatschen, der wurde nämlich nur als Teaser vor dem Gespräch gespielt. Die erste Frage von Autor Philipp Blom gelang ihm nicht wirklich, schon da es gleich zwei waren. Noch dazu ziemlich umfangreiche. Wie würde man überhaupt eine Interpretation ausarbeiten („man macht’s einfach“) und wo stehe die frühe Sonate zwischen Mozart und dem späten Beethoven. Letztere beantwortete Levit etwas länger und meinte, es wäre schon hier alles dabei, was wir von Beethoven erwarten würden: Drama, Melodie, plötzliche Stimmungswechsel. Und vor allem: viel pianistische Angeberei.
„Ich habe noch nie einen Pianisten getroffen, der die Sonate schneller spielen wollte als ich.“
Dann durfte auch Hagen zu Wort kommen und erklärte, ihr würde es Spaß machen, dass der Cellopart im Großteil nur Begleitung sei und nur in wenigen Momenten heraussteche. Ihre Begleitrolle demonstrierten sie auch gleich mit einem Beispiel, der gespielte Part klang tatsächlich auch ohne Cello fast komplett. Blom kam langsam besser ins Gespräch und stellte ein paar tatsächlich spannende Fragen. Zum Beispiel zum Tempo: „Ich habe noch nie einen Pianisten getroffen, der die Sonate schneller spielen wollte als ich“ (wir lachten), so Hagen. Levit erklärte daraufhin, die schon erwähnten Achtel seien für ihn ein aufgeregter Herzschlag und spielte als Referenz den Anfang der Waldsteinsonate.
Bei der nächsten Frage griff Blom etwas daneben: Eine Generation früher hätten Cellist*innen mit viel mehr Vibrato gespielt. Hagen spielte ihm gerne eine wunderschöne Full-Vibrato-Version der ersten Takte. „Und jetzt bitte die Hagen-Fassung“: Daraufhin spielte sie genauso schön und mit fast genauso viel Vibrato. Blom ließ sich nicht aus der Fassung bringen und machte zügig weiter. Zur Frage, wie eine gemeinsame Interpretation eigentlich entstehe, hatte der bestens aufgelegte Levit wieder eine einfache Antwort und kassierte wieder mal seine Lacher dafür: „Das ist eigentlich nicht so kompliziert“. Ja gut, dann können wir ja auch nach Hause gehen...
„Laut spielen können viele, die leisen Stellen sind die spannendsten.“
„Julia Hagen, Sie spielen sehr leise“. Damit war Blom der perfekte Interessenvertreter von uns Abgehängten in der letzten Reihe. „Laut spielen können viele, die leisen Stellen sind für mich die spannendsten.“ Good Point, von Levit konnte sie auch tatsächlich erwarten, dass er ihr ins Pianissimo folgt. Ganz selten kam bei uns ganz hinten trotzdem nicht alles an. Es bleibt spannend, ob sie heute im Großen Saal genug Dampf geben wird. Zum Schluss wies den eigentlich gut informierten Blom auch Levit einmal etwas zurecht. Es ging um den typischen Beethoven-Klang. Levit zeigte, wo der Hammer hängt, als er meinte: „Sollte Julia nicht spielen, gäbe es keinen Beethoven. Es gibt keinen Beethoven-Klang, ich habe kein rotes Telefon zu ihm“. Damit stach er vielleicht etwas ins Herz der Wiener, „unser“ Beethoven hätte doch eigentlich nichts zu vermelden, hatte allerdings recht.
Schwebende kleine Klangteppiche à la Debussy
Seine Freiheit beim Klang demonstrierte er anschließend beim ganzen Durchgang des Stückes, als er stellenweise schwebende kleine Klangteppiche à la Debussy ins Stück einbaute und unterstrich damit seinen Punkt beeindruckend: Es hat gepasst. Sie bewiesen auch den Punkt, dass eine Interpretation immer anders ist, der Anfang hatte diesmal gleich viel mehr Zug. Im zweiten und letzten Satz nahmen sie ein noch schnelleres Tempo, das einige Feinheiten am Cello schlicht unmöglich machte. Dafür kamen wir pünktlich vor Sperrstunde raus.
Philipp Blom wird noch einige Termine der Reihe Faszination Kammermusik moderieren. Unabhängig davon, wie passend seine Fragen sind, lohnen sich diese eigentlich immer. Denn: Musiker*innen haben oft mehr zu sagen als was sie uns mit ihrer Musik vermitteln können.