40 Jahre Shakespeare & Company

Ein Gespräch mit Guy Perlaki über Amazon, TikTok und was es heißt, das letzte englischsprachige Buchgeschäft in Wien zu betreiben.

Party Mood /// Wikimedia Commons (c)

Der kleine Buchladen befindet sich in den mittelalterlich anmutenden kleinen Gassen oberhalb der Partymeile Bermudadreieck. Die hohen Decken des schmalen Raums sind bis oben mit Büchern befüllt. Wir nehmen auf kleinen Hockern Platz. Zwischen uns schleichen ständig vereinzelt Kunden über den knarzenden Parkettboden.

2000 hat Guy Perlaki hier seine Lehre begonnen, 2005 hat er den Laden übernommen. Nun feiert das Geschäft seinen vierzigsten Geburtstag.

„Mein eigener Geschmack ist, glaub’ ich, sehr eklektisch“

Bohema: Was war denn eigentlich die Inspiration, dieses Geschäft zu eröffnen? Gab es ein Vorbild, oder etwas, das in Wien gefehlt hat?

Guy Perlaki: Damals hat es ja auch noch andere solche Läden gegeben, den British Bookshop zum Beispiel. Mittlerweile sind wir das einzige rein englischsprachige Buchgeschäft in Wien. Benannt ist es nach der berühmten Buchhandlung in Paris aus den zwanziger Jahren.

B: Hat sich das Leseverhalten der Kund*innen über die letzten 40 Jahre eigentlich verändert? Sind die Geschmäcker anders als damals?

G: Ich denke schon. Aber rein optisch ist es immer noch derselbe Flair. Und das war auch irgendwie meine Motivation, das Geschäft zu übernehmen. Diese liebenswerte Art zu präservieren und zu erhalten. Aber natürlich ändert sich dauernd etwas.

Früher waren wir quasi ein Gegengewicht zum British Bookshop. Es gab aber nie ein Konkurrenzdenken, sondern es herrschte ein gewisser Austausch. Die haben uns die eher akademischen Leuten geschickt, und wir ihnen die Schüler*innen. Obwohl wir schon immer auch eine Kinderbuchabteilung hatten. Mittlerweile decke ich eher „alles“ ab.

Zweischneidige Schwerter und Liebesmühen

B: Wie wird eigentlich ausgewählt, was ins Regal kommt? Der Platz ist doch begrenzt.

G: Größtenteils über Kundenwünsche. Und man reagiert auf nie neuesten Trends und Geschmäcker. Normalerweise kommen viele Vertreter*innen von Verlagshäusern mit Listen der ganzen Neuerscheinungen. Jetzt durch Corona kamen dann weniger. Aber wir haben viele gute Kund*innen, die immer am neuesten Stand sind und uns auf manche Sachen aufmerksam machen.

Gerade also so eine „kleine“ Buchhandlung ist man sehr flexibel zu reagieren. Wir haben hier um die 10.000 Bücher und noch ein paar Second-Hand-Bücher. Das klingt zunächst viel. Aber im Vergleich zu deutschsprachigen Büchern werden zehnmal mehr englischsprachige Bücher produziert. Das heißt, ich kann wirklich sehr selektiv sein und mir die schönsten Rosinen rauspicken. Das ist alles sehr angenehm.

B: Muss man viel mit dem Trend gehen?

G: Es ist eher umgekehrt. Vieles läuft über TikTok und dergleichen, das war mir zuerst gar nicht so bewusst. Die Kund*innen bestellen ein Buch, und wenn ich denke, dass das cool ausschaut, bestelle ich gleich weitere. Meist komme ich dann erst später drauf, dass Sachen teilweise auf irgendwelchen Listen stehen oder auf TikTok populär sind. Also man bekommt es viel mehr über die Kund*innenseite mit, als dass man selbstständig Rezensionen liest.

Wenn zum Beispiel ein*e berühmte*r Autor*in seit langem wieder ein Buch rausbringt, ergibt sich das natürlich mehr oder weniger von selbst, ohne dass ich mich viel reinlesen muss. Ich bin ja schon lang genug dabei.

Hereinspaziert /// Shakespeare and Company (c)

B: Lesen Sie vieles selbst, bevor es ins Regal kommt?

G: Ehrlich gesagt, nein, überhaupt nicht. Mein eigener Geschmack ist glaub ich sehr eklektisch. Ich vertraue da eher mehr auf die Kund*innen. Manchmal lese ich einen Bestseller erst im Nachhinein, wenn ich gerade Zeit habe oder im Urlaub bin. Bei manchen kann ich den Hype nachvollziehen, bei manchen nicht. Also ich weiß, es gibt gewisse Bücher, die werden mir persönlich nie eine Freude machen, wenn ich sie lese. Aber ich sehe, wie viel Freude sie anderen Leuten machen. Dann verkauf’ ich sie natürlich trotzdem gerne. Es ist halt so.

B: Fühlt man sich manchmal verpflichtet, sich gegen einen Trend zu stellen und ein gewisses Buch nicht oder eben schon zu verkaufen, trotz Gegenwehr? Ich denke da zum Beispiel an die USA, wo einige Klassiker wie ‚To Kill a Mockingbird‘ von Schullisten gestrichen werden.

G: Auf jeden Fall! Ich bin da auch kein sonderlicher Freund dieses überboarding Political Correctness. Ich finde, dass es auch das im Rahmen der Redefreiheit geben muss. Da hinten steht eine komplette Sammelbox von Tim und Struppi. Aber obwohl „complete“ draufsteht, fehlt ein Teil, Tim im Kongo. Ich habe den fehlenden Teil aber trotzdem extra daneben gestellt. Man muss es eben im Kontext und als historisches Dokument betrachten. Die anderen Teile sind ja auch teilweise merkwürdig, mit osteuropäischen Vorurteilen und dergleichen.

Ein paar Dr. Seuss haben sie ja auch aufgelöst. Manchmal sind es auch Leute, die mit diesen Geschichten aufgewachsen sind, und jetzt sagen, dass sie die ihren Kindern nicht mehr vorlesen, weil sie politisch nicht mehr korrekt sind. Auf der anderen Seite wird die „Artenvielfalt“ wieder sehr zelebriert, die Geschlechter-Thematik zum Beispiel. Das sind die Bücher, die sich jetzt auch besonders gut verkaufen.

„Man entwickelt irgendwie eine Art Überlebensinstinkt“

B: Sind Konzerne wie Amazon eine große Konkurrenz oder wird hier so ein unterschiedliches Publikum bedient, dass man sich da keine Sorgen machen braucht?

G: Amazon war, seit ich angefangen habe, sowieso immer omnipräsent. Und wir benützen Amazon selbst. Nicht, um dort einzukaufen, aber als Suchmaschine. Wir bekommen dort alle notwendigen Daten, die ISP-Nummer und so weiter. Und noch viel besser, es gibt sogar Bilder, die für den Verkauf sehr praktisch sind. Ich könnte keine Datenbank kaufen, die so praktisch ist wie Amazon. Die teuerste, die ich kaufen könnte, hat nicht einmal Fotos.

Aber wir haben aus dem Grund kein Onlinegeschäft, weil wir uns dann in direkte Konkurrenz mit Amazon stellen würden. Dabei hätten wir einfach keine Chance. Weil wir notgedrungener Weise leider immer viel teurer sind, natürlich. Wir haben damit leben gelernt. Aber Amazon macht sein Kerngeschäft mittlerweile sowieso mit anderen Dingen, und nicht mit Büchern. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Viele Leute kommen extra zu uns, weil sie Amazon eben nicht unterstützen wollen, was sehr positiv ist.

B: Apropos höhere Preise: die vor kurzem angesagte Veränderung bei der Buchpreisbindung kommt ja nun doch nicht. Sind sie sehr erleichtert?

G: Das ist bei uns nicht so schlagend, die englischsprachigen Bücher sind in dem Sinn nicht buchpreisgebunden. Ich könnte sie also immer günstiger hergeben als Amazon zum Beispiel. In England steht zwar ein empfohlener Preis drauf, aber in England wird das Buch als Kulturgut gesehen. Es gibt darauf also keine Mehrwertsteuer. Hier aber schon. Es wird also immer Diskrepanzen geben zwischen dem, was draufsteht, und was wir verlangen.

B: Beziehen Bibliotheken ihre Bücher weiterhin von Buchläden, oder gehen die mittlerweile meisten zu Amazon?

G: Wir beliefern schon ein paar, aber nicht so viele. Früher haben wir vor allem die Institute mit akademischen Büchern beliefert. Das wurde aber unter Schwarz-Blau g‘stanzt. Wir durften das nicht mehr machen, weil der Erwerb durch Ausschreibungen zentralisiert wurde. Am Anfang hatte ich natürlich Angst, dass wir das nicht überleben. Aber es war schließlich, als ob sich ein Klotz vom Bein gelöst hatte. Akademische Bücher sind meist sehr teuer und nie so die echten Umsatzbringer. Weil das Publikum auch ein sehr marginales ist. Diejenigen, die diese Ausschreibung gewonnen hatten, leiden angeblich auch darunter. Weil sie ein zu gutes Angebot gemacht haben, um noch rentabel zu sein. Also ich bin ehrlich gesagt froh darüber. Es war eher so eine Art Liebesmühen.

B: Ich erkenne ein gewisses Muster: Man wurschtelt sich immer weiter und macht das Beste daraus.

G: Ja, man entwickelt irgendwie eine Art Überlebensinstinkt (lacht). Ich hoffe nur, wir bekommen im Advent nicht wieder einen Lockdown, das war nicht angenehm. Wobei sich das auch besser entwickelt hat als gedacht. Meine Mitarbeiter*innen hab ich in Kurzarbeit geschickt und bin dann alleine im Laden gestanden. Man hätte so nicht überleben können, aber es war nicht so schlimm wie gedacht.

Wir haben mindestens 50% Anteil an Tourist*innen als Kund*innen, weil wir in mehreren Reiseführern stehen. Die können damit teilweise mehr anfangen und kommen uns extra besuchen. Mit Corona blieben die aus. Aber dafür haben dann unsere normalen Stammkund*innen auch viel mehr Zeit gehabt, um zu lesen. Das hat sich damit dann auch alles wieder relativiert.

Neben den alteingesessenen haben wir aber auch viele junge Leser*innen. Das ist sehr erfreulich zu beobachten, dass das Interesse an Büchern nicht ausstirbt. Ich hoffe also, dass es so weitergeht, wie es jetzt gerade läuft.

B: Ist schon etwas fürs goldene Jubiläum geplant?

G: Theoretisch bin ich als Mitarbeiter ja schon mehr als die Hälfte der Existenz dieser Buchhandlung hier. Aber da ich sie erst seit 2005 als meine führ’, spüre ich noch nicht diese „Halbwertszeit“. Das mit den Jubiläen ist natürlich ein schöner Anlass, etwas zu trinken oder ein Fest zu feiern. Aber das wars dann auch.


*Buchpreisbindung: regelt in Österreich den Mindestbuchpreis, um Rabattschlachten zu verhindern. So darf ein Buchgeschäft z.B. einer Bibliothek maximal 10% Rabatt geben. Im Sommer plante die Regierung, diesen auf 20% zu erhöhen. Gerade kleinere Buchläden – für die Bibliotheken wichtige Kunden darstellen - kritisierten das. Im Oktober wurde die geplante Änderung abgeblasen.

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