Verwirrung in der Postkarten-Idylle – Pacifiction

Albert Serra provoziert mit seinem ersten im Jetzt spielenden Film und bietet uns eine Erfahrung zwischen Langeweile, Verwirrung und Schönheit.

Hmmm /// Elastica Films (c)

Lange 4 Stunden und 15 Minuten habe ich in der ersten Vorstellung von Albert Serras neuem Film im Gartenbaukino – glücklicherweise in einem Sitz am Gang – verbracht. Der katalanische Regisseur erwies sich in seinen beiden vorherigen Filmen – Der Tod von Ludwig XIV und Liberté – als Künstler, der ein Szenario, das in einem gewöhnlichen Film wohl eine Sequenz von vielen wäre, auf 2 Stunden oder mehr ausdehnt. Diesmal gab es in seinem fast dreistündigen Film zwar eine deutliche Dynamik in Handlung und Setting, aber auch hier provozierte er mit diffuser Langsamkeit.

Worum geht es denn in Pacifiction?

Nun, das ist schwer zu sagen. Der stilsichere französische Hochkommissar „De Roller“ befindet sich auf der Insel Tahiti in Französisch-Polynesien. Über den ganzen Film hinweg treibt er sich nun auf jener Insel herum und trifft sich mit politischen (kolonialistischen) Akteur*innen, Einheimischen und irgendwelchen weniger greifbaren, dubiosen Figuren. Was er eigentlich genau macht, erschließt sich da meist nicht so ganz. Eine Figur sagt ganz treffend: „Er dreht sich im Kreis“. Ein Thema umtreibt ihn aber: Es steht nämlich das Gerücht im Raum, dass erneut Atomtests auf der Insel erfolgen sollen. Paranoia durchzieht das Geschehen. Spion-Figuren, U-Boote und sonstige Unheimlichkeiten treten in die Handlung ein.

Diese ist aber vermutlich erstmal gar nicht so wichtig. Albert Serra sagte im angehängten, mehr als einstündigen (!) „Gespräch“ (wohl eher Monolog) Sätze wie „I don’t have anything to say“, „At the end there is a lot oft hings I don’t understand“ oder „The plot of the film is artificial and bullshit“. Die meisten Zuschauenden werden da wohl nicht widersprechen. Sicherlich bietet der Film einiges zur Reflexion. Einerseits ist natürlich offensichtliche Kolonialismus-Kritik zu sehen, wenn die französischen Kolonialisten in feinen Anzügen neben die (oft sexuell inszenierte), leicht bekleidete lokale Bevölkerung gestellt werden oder der Protagonist bei einem Gespräch mit einheimischen Akteur*innen als einziger mit einer Speise am Tisch sitzt – die anderen sitzen hier vor leeren Tellern. Auch das offene, sprunghafte, oft verwirrende Narrativ des Filmes bietet sicherlich tiefere intellektuelle Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Aber eine absolute Aktualität des Filmes in Bezug zu derzeitigen politischen Ereignissen, wie man beim Lesen der Prämisse zunächst vermuten mag, ist zumindest auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Der Inhalt überzeugt eher durch die sympathische Subversion der Publikumserwartungen in Hinblick auf das Narrativ als durch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit aktuellem Weltgeschehen – wobei unter all den wirren Dialogen und Aktionen sicher viel Spannendes zu finden ist.

Was dem Film aber wohl ohne jeden Zweifel positiv angerechnet werden kann, ist seine Ästhetik.

Wunderschöne Aufnahmen von Tahiti sowie stimmungsvolle einheimische und elektronische Musik entschuldigen das verwirrte Erdulden der Handlung. Serra sprach hierbei von einer Orientierung an Postkartenästhetik und dem bewussten Verwenden visueller Klischees. Dies mag zwar stimmen und sicherlich auch eine weitere Bedeutungsebene eröffnen, aber es ist nun mal auch einfach schön. Besonders beeindruckende, erstaunlich wuchtige Wasser- und Wellenaufnahmen, bei denen ein kleiner Schwarm an Booten und Surfern von der Naturgewalt umher gespült werden, sind hier hervorzuheben. Aber auch jede andere Art von Lokalität, von Häfen über Klubs bis hin zur Natur sind von nahezu stilistischer Perfektion. Kombiniert mit dem ewigen Umhertreiben der Figuren stellt sich hier eine gewisse Art von stimmungsvoller Trance ein – ähnlich wie wir sie letztes Jahr (wenn auch ausgefeilter) bereits in Memoria erleben durften.

Pacifiction ist wohl ein Film, vor dem gewarnt und der empfohlen werden sollte. Man darf sich diesen Film nicht mit der Erwartung ansehen, mehr zu verstehen als der Regisseur. Der freie Ansatz von Serra ist hier zwar zuweilen sehr frustrierend und führt teilweise auch zu deutlicher Langeweile, aber uninteressant ist er keinesfalls. Man sollte Pacifiction aber wahrscheinlich trotzdem in erster Linie als hypnotische Ansammlung von Bildern und Stimmungen betrachten. Denn auf diese Weise kann er ohne jeden Zweifel überzeugen!

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