Also ziehen wir weiter unsere Kreise, bis sich etwas ändert

Was schreddern mit Symphonien zu tun hat und wie Kapitalismuskritik dazu passt, zeigt das brut nordwest mit The Art of Asking Your Boss for a Raise von Toxic Dreams.

Chaos im Großraumbüro /// brut, Tim Tom (c)

Chaos im Großraumbüro /// brut, Tim Tom (c)

George Perecs Roman, auf dem das Stück von Toxic Dreams basiert, lässt sich am besten anhand des französischen Originaltitels charakterisieren: L’art et la manière d’aborder son chef de service pour lui demander une augmentation. Auf Englisch übersetzt bedeutet er The art and craft of approaching your head of department to submit a request for a raise. Letztendlich wurde der Titel verkürzt auf The Art of Asking Your Boss for a Raise.

So, tief einatmen, denn der Roman erfordert langen Atem. Er besteht aus einem einzigen, langen Satz, dessen Ende auch das Ende des Romans bedeutet.

Jeff Bezos als personifizierter Kapitalismus

Die Adaption von Toxic Dreams (Bühnenadaption und Regie Yosi Wanunu) bleibt nah am Roman, übersetzt ihn aber durch das Wechseln zwischen den Pronomen und Namen des Chefs in die heutige Zeit. Der unbestimmte Boss des Romans (Mr.X) wird ersetzt durch zeitgenössische Figuren: Der Kapitalismus höchstpersönlich erscheint in der Gestalt von Mr. Zuckerberg, Mrs. Lagarde, Mr. Bezos.

Diese Anspielungen unterstreichen die Essenz des Romans: ein*e unbestimmte Mitarbeiter*in eines riesigen Konzerns möchte den Chef um eine Gehaltserhöhung bitten und geht dabei akribisch mögliche Variationen des Geschehens durch, die zunehmend absurder werden. Diesen nicht humorlosen Text unterstreichen Toxic Dreams durch eine Performance, die den vorhandenen Rhythmus aufnimmt und weiterspielt, etwa durch das unermüdliche Herumlaufen der sieben Darsteller*innen. Auch spricht jede*r nur ein paar Sätze des Textes am Stück, bevor wieder jemand anders an der Reihe ist.

Lust, einen Bleistift zu rauchen?

Angefangen mit der Bühne (Paul Horn), ein Großraumbüro, mit kariertem Teppich und Bildschirmen, zeigt The Art of Asking Your Boss for a Raise eine große Liebe zum Detail, gewürzt mit viel Humor. Das zeigt sich etwa in der Tatsache, dass die Arbeitsplätze den Darsteller*innen nur bis zum mittleren Oberschenkel reichen. Überall sind Post-its verteilt, kleine Zimmerpflanzen stehen auf Ablagen und auch die grauen Ablageordner wurden zu Miniaturen umgewandelt. Anderes typisches Bürozubehör wird oftmals nicht ganz so genutzt, wie es Mr. Bezos gefallen würde, alles hat noch einen zweiten Nutzen: Tassen und Schredder dienen gleichzeitig als Rhythmus-Instrumente, Bleistifte werden angedeutet wie Zigarren geraucht.

Zu Beginn wird das Büro mit Staubsaugern gereinigt, danach erscheinen die überarbeiteten Angestellten (Anat Stainberg, Isabella Händler, Florian Tröbinger, Theresa Martini, Stephanie Cumming und Markus Zett) in klassischer Büro-Uniform: grauer Anzug und weißes Hemd. Die kurze musikalische Rahmung des Abends besteht aus der Erklärung einer Symphonie von Benjamin Britton (Sounddesign Michael Strohmann), deren verschiedene Instrumentalgruppen hier durch Schreddern von Papier verkörpert wird.

Masern statt Covid

Die nervöse Energie des Vorhabens, den Boss um eine Gehaltserhöhung zu bitten, wird durch stetiges „circumambulating“ (zu Deutsch herumgehen, umschreiten, umrunden) verkörpert. Auch der Text bleibt stets in Bewegung, wird von einem der Angestellten zur Nächsten gereicht. Und während sich die Variationen abwechseln, vergeht die Zeit und unsere Angestellten werden älter. 35, 42, 50, 72, 88. Alle paar Jahre wird das Circumambulieren von der Angst vor Masern unterbrochen (verkörpert von Anna Mendelssohn), die alles stillstehen lassen. Die Masern, die auch im Roman aus dem Jahre 1968 vorkommen, wirken heute und im Kontext der Produktion wie eine Metapher für die Corona-Pandemie.

Anders als im Roman finden sich im Stück Pausen, die das dichte, panikerzeugende Geflecht aus Wirklichkeitsvarianten wohltuend auflockern und strukturieren. Dabei werden etwa Bleistifte wie Zigarren geraucht oder Kaffee getrunken, wobei die Tassen auf den Untertassen klappern, sei es vor lauter Nervosität oder einem Überschuss an Koffein, das aber erforderlich ist, wenn die überarbeiteten Körper zu mehr Effizienz aufgepeitscht werden sollen. Solche Geräusche werden von Toxic Dreams zelebriert und machen zusammen mit der eingespielten Musik (unter der sich auch die Melodie von Super Mario findet) einen großen Teil der Freude an dem Stück aus. Als endlich ein Hoffnungsglimmer für eine Gehaltserhöhung zu sehen ist, endet das Stück mit dem Verweis auf die Symphonie. Allerdings werden die Schredder diesmal wesentlich weniger geordnet verwendet, Papier fliegt wild durch die Gegend und endlich, endlich kann man hoffen.

Zusammenfassend kann The Art of Asking Your Boss for a Raise als äußerst unterhaltsamer Abend bezeichnet werden, den man eigentlich mehrmals genießen müsste, um alle schwindelerregend vielen Details in sich aufzusaugen.

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