Buch Wien 22 – Ein Potpourri

Von Brezina über Michael Häupl bis zum Lueger-Denkmal: Es war eine wilde Mischung, die Buchmesse. Bücher und Diskurse, so weit das Auge reicht.

Dirk Sterman, Michael Häupl usw. /// Nicola Montfort, Bohema (c)

Die Wiener Buchmesse ist erfolgreich geschlagen, alle Zelte und Bühnen schon wieder abgebaut. Zurückbleiben tun wie angeteasert nur Erinnerungen an eine wilde Mischung aus Themen und Tonalitäten. Wenn neben der Diskussion über den Ukraine-Krieg ein Poetry-Slam stattfindet, und neben dem Mann mit Dudelsack und Steirerhut, der gerade Kindersagen erzählt, eine Drag-Queen Autogrammstunde hat, weiß man, so geht Kultur. Eine Auswahl:

Lehárs Liaison und Sissis Sagenwelt

Zunächst mal das Offensichtlichste: es gab Bücher. Viele Bücher. Tolle Bücher, aber vermutlich auch schlechte Bücher. Manche wurden sogar auf der Bühne vorgelesen. Natascha Strobl erzählt vom Klassenkampf von oben, Thomas Brezina von Sissis zweitem Kriminalfall. Brezina las auch aus dem Anfang des Buches vor. Er behauptet sogar, „seine“ Sissi sei charakterlich historisch sehr korrekt. Ob es sich dabei jetzt um ein Buch für Kinder oder Erwachsene handelt, war nach der halben Stunde aber immer noch nicht wirklich klar.

Im Spiegel der Geschichte erzählte Georg Markus von Anekdoten und Affären lang verstorbener Österreicher*innen. Helmut Qualtinger warf bei einer seiner Lesungen einmal einen Kerzenhalter aus dem Fenster, lernt man. In Franz Lehárs bisher geheimen Briefen liest man über die Liebe zur sechzehnjährigen Nachbarin des 70-jährigen. Es handelt sich gewissermaßen um die BUNTE, aber eben nicht ganz tagesaktuell.

Dafür erzählt das Große Österreichische Sagenbuch alte Sagen ganz modern, zumindest sprachlich. Sogar Erzählungen der österreichischen Minderheiten haben darin Platz. Begleitet werden die Geschichten auf einer alten Sackpfeife.

Man bringe den Spritzwein

Neben Romanen stehen populärwissenschaftliche Bücher immer hoch im Kurs – insbesondere in der Politik, gerade wenn es sich um „Enthüllungsbuch“ handelt. Bürgermeister von Wien AD Michael Häupl wehrt sich allerdings gegen diesen Begriff. Nach dem Best Of Sprüche Band vor ein paar Jahren ließ er jetzt seinen Werdegang, dem gesetzten Alter entsprechend, nüchtern Revue passieren. Er plaudert über seine Studentenzeit, seine eher symbolische Hausbesetzung u.a. gemeinsam mit Werner Fayman. Dem burgenländischen Landeshauptmann teilt er etwas durch die rote Nelke hindurch mit, bei aller Freundschaft. Vom Jörg Haider meint er, dass man mit ihm „zumindest noch hat streiten können“. Mit gewissen späteren blauen war es eher ein „unbewaffnetes geistiges Duell“. Entpolitisierung von Medien und Kultur sei gut, die Entpolitisierung von Politik hingegen schlecht. Die Liste an Zitaten könnte man an dieser Stelle ewig weiter fortführen, die meisten stehen aber vermutlich eh sowieso im Buch.

Die meisten dieser Gespräche führte Kabarettist Florian Scheuba, der dann schließlich auch mal am gegenüberliegenden Sitz Platz nehmen durfte, um sein eigenes Buch zu präsentieren. Es ging um die hunderttausenden Chatnachrichten und beinahe so vielen Beidlfotos gewisser türkisen Männchen, was sonst.

S wie Schande

Etwaige Diskussionsrunden sind natürlich immer mit gewisser Vorsicht zu genießen. Am besten schaut man immer schnell nach, wer hier über was redet, und unter welchem Banner die Moderation ins Feld zieht. Ist das erstmal geklärt, ist es meist auch am unterhaltsamsten, wenn die Personen aus möglichst unterschiedlichen Ecken kommen. Die Diskussion mag nämlich noch so lehrreich wie wichtig sein, eine Gesprächsrunde über den Klimawandel mit je einer Teilnehmer*in von Letzte Generation, den Lobautunnel-Gegner*innen und weiteren Umweltaktivist*innen birgt auf den ersten Blick nur wenige Überraschungen oder gar großartiges Konfliktpotenzial.

Mit Sorge blickt man auch auf den Titel „Cancel Culture und der Trend zur Wokeness“. Statt wie geplant vor allem über J.K. Rowling, Gendern, Klimaaktivist*innen und Wokeness an sich zu debattieren, blieb man dankenswerterweise doch vor allem beim Lueger Denkmal am Stubenring picken. Bildlich gesprochen. Ob niederreißen, kippen, weiter anschütten und beschmieren, in ein extra gebautes Museum stellen oder einfach Däumchen drehen, die Frage aller Fragen. Geschichtsaufarbeitung sagen die einen, Verdrängung die anderen. Mag der Vergleich zur Berliner Mauer vielleicht etwas gar sehr hinken, gibt es immerhin „für Nazis keine Versammlungsfreiheit“. Streiten, streiten, streiten sagt man, denn Harmonie verblödet.

Und weil’s so schön ist, wurde sogar eine gedankliche Brücke zur Sissi geschlagen. Im Sinne des Marketingbilds als Geschichtsbild nämlich. „Lernen mit Vielfalt umzugehen.“ Ein passender Schlusssatz.

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