Im Namen des Vaters, des Sohnes und der heiligen Täter

„Mein Fall“ ist Josef Haslingers Geschichte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Eine Theaternacht gefüllt mit Tränen, Gelächter und Wut.  

“Mein Fall” im Werk X /// (c) Alex Gotter

Leise Orgelklänge vermischen sich mit stimmiger Rockmusik. Über der Premiere von „Mein Fall“, inszeniert von Ali M. Abdullah, liegt der Geruch von Weihrauch. Im Mittelpunkt dabei steht Josef Haslinger, der versucht, uns in den nächsten 100 Minuten seine aufwühlende Geschichte von Intrigen und Machtmissbrauch zu erzählen. 

„Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.“

Nach Jahren seines unterdrückten Traumas, soll die Wahrheit nun ans Licht treten. Der Name eines Täters wird nach dessen Tod veröffentlicht: Pater G. Er ist ein ehemaliger Priester im Stift Zwettl, in welchem Haslinger als Kind Teil des Sängerknabenkonviktes war und einer von dreien, die Übergriffe auf ihn verübt haben. Voller Hoffnung wendet sich Haslinger schließlich an die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt, um seine Erfahrungen mit jemanden teilen zu können. Schlussendlich wird er jedoch nach mehrmaligem Wiederholen seiner traumatischen Geschichte gebeten, diese doch einfach selbst zu verfassen.

Hilfe oder Schweigegeld?

In einem Wechselspiel von Nachstellungen der Gespräche mit der Opferschutzanwaltschaft und Rückblenden besagter Erlebnisse führt uns das Stück in den turbulenten Kampf der inneren Gefühlswelt Haslingers, sowie mit jener Institution, welche die Betroffenen eigentlich durch ihre Traumaaufarbeitung begleiten soll. Diese Hilfe bezieht sich oft jedoch auf eine lediglich finanzielle Entschädigung, die man genauso gut als Schweigegeld sehen könnte.

Die teils humorvollen Dialoge zeichnen einen grotesken Umgang mit Betroffenen, sowie die klare Abgrenzung zu den Tätern und der rechtlich fraglichen Verjährungsfrist nach. Kurze Momente des Lachens sind eine willkommene Abwechslung und Gegengift zur tiefen Bestürztheit, die im Publikum spürbar wird. Schließlich geht es hierbei nicht nur um das Versagen des Systems, sondern auch um wahre Geschichten des Missbrauchs, welche detailliert auf großen Leinwänden inszeniert werden. Es gibt kein Entkommen, man ist gezwungen hinzusehen. Die niedlichen Therapiehasen, die über das Stück hinweg immer wieder über die Bühne hüpfen und von den Schauspielern gekuschelt werden, verschaffen dabei nur geringen Trost. 

Eine Komödie der Verzweiflung

Um der Komplexität der Geschichte standzuhalten, wird der Bühnenraum in unterschiedliche Dimensionen aufgeteilt, wobei das Büro der Opferschutzanwaltschaft den Sammelpunkt darstellt. Alle anderen Szenen werden mittels eines beweglichen Raumes immer wieder neu den Erzählungen angepasst. Durch eine Kamera, welche Live-Aufnahmen der Schauspieler auf zwei große Leinwände projiziert, entsteht ein zusätzlicher Aspekt einer Enthüllungsreportage von Haslingers Reise durch die zahlreichen Stationen seines Traumas.

Demonstrativ werden die Bilder der Täter an die Wand geklebt. Die Message: Es handelt sich nicht um bloße Einzelfälle, ein paar wenige böse Dämonen, welche sich in den heiligen Gebäuden herumtreiben, nein, hier soll ein ganzes Tätersystem aufgedeckt werden, welches unter dem Schutz der Kirche frei agieren konnte.

Die durchaus unterhaltsame Mischung von aufklärerischer Investigation und humorvollen Interaktionen versprechen eine Fahrt auf dem Karussell der eigenen Gefühlswelt, nach welcher man den Theaterraum sicher nicht unberührt wieder verlässt. „Mein Fall“ ist ein Stück der theatralen Aufklärung und kritischen Aufarbeitung. Aber vor allem auch eines: eine Anklage. 

Am 16. Und 17. Dezember ist „Mein Fall“ noch im Werk X zu sehen.

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