Das Weltbild endet, nicht aber die Herrschaft
Gernot Plass lässt Georg Schubert in Ich, Galileo am TAG einen selbstkritischen Monolog über Wissenschaft und Macht führen.
Galileo Galilei, der große italienische Universalgelehrte, kapituliert. Er hat Angst. Angst vor einer Verurteilung als Ketzer, vor den Folterinstrumenten der Inquisition, vor dem drohenden Scheiterhaufen. Somit distanziert er sich von seinen Entdeckungen und gibt klein bei. Verspricht, seinen Wissenschafts-Kanal auf YouTube zu löschen. Schimpft sich selbst einen Feigling. Und akzeptiert den ihm auferlegten Hausarrest.
Georg Schubert ist sämtlichen seiner gefühlt 15 verschiedenen Rollen gewachsen
Für die folgenden achtzig Minuten schlüpft der wunderbar wandelbare Georg Schubert in zumindest zehn verschiedene Rollen und bleibt doch stets „G.“. Wie der Erdball dreht er sich um sich selbst, zittert, wütet, lacht, spottet, schimpft, sucht, sinniert und – befragt. Denn er weiß, was er gesehen hat, durch das Fernrohr, das er auf das Firmament gerichtet hat. Wir sind längst nicht mehr der Mittelpunkt dieser Welt, sind es nie gewesen. Auf den vier Bildschirmen, die neben einem Gefrierschrank und zwei Sesseln die karge Bühne zieren, verdunkelt ein Schatten die Sonne (Video: Peter Hirsch).
Es sind düstere Zeiten für einen Wissenschaftler, dessen Methoden der herrschenden Ideologie widerstreben. Auf den Screens flackert das Auge Saurons, des dunklen Tyrannen aus Tolkiens Fantasy-Klassiker auf, um noch unmissverständlicher zu bebildern, unter welcher Herrschaftsform hier gelitten wird. Ja, es geht um Kontrolle, darum, öffentlichen Diskurs, Debatte und letztlich Meinungen einzuschränken. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Selbst in einer Szene, in der Talkshowmoderator Markus Toback (natürlich auch Georg Schubert) Herrn G. und einen gewissen Geistigen namens Bruder Kreutel über Videocall in seine Show zuschaltet, um die neusten astrophysischen Erkenntnisse zu diskutieren, wird G. letztlich das Mikrofon gekappt. Bruder Kreutel lächelt nur milde. Er weiß, dass sich das Weltbild ändern mag, doch die Herrschaft bestehen bleibt.
Wahrheit besitzt man nicht, man sucht sie
Dieser Abend wird nicht müde uns zu vermitteln: auch vierhundert Jahre später läuft es nicht wirklich besser. Wir haben vielleicht den Scheiterhaufen abgeschafft, aber Diffamierung und Zensur stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. An (nur teils originellen) Seitenhieben auf aktuelle Entwicklungen seit Pandemiebeginn (Stichwort: „flache Kurve“, „schwedisches Modell“) wird nicht gespart. Die Moral: Misstraut dem, der behauptet, die Wahrheit gefunden zu haben, oder gar, sie zu besitzen!
Am Ende seines Monologes und des ewigen Herumschleppens der Tiefkühltruhe wird es G. zu viel: Mürrisch macht er sich auf die Suche nach dem Verantwortlichen (Text und Regie: Gernot Plass), der einen „postdramatischen Diskurs“ versprochen, und doch nur „Plass’sches Schultheater“ abgeliefert habe. Tatsächlich weist der an Brechts Leben des Galilei angelehnte Text manche Schwäche auf. Wettgemacht wird dies vor allem durch das optimale Timing – es ist der rechte Text zur rechten Zeit – und eine sensationelle Performance von Georg Schubert, dem man Weltschmerz und innere Zerrissenheit in jedem Augenblick abnimmt. Es ist dem Abend zuträglich, dass er sich selbst nicht todernst nimmt. So lässt es sich lachen über all die Parallelen, die der Fall Galilei zur aktuellen Situation aufweist, auch wenn es einem hinterher kalt den Rücken hinunterläuft.