Vielfalt wie sie im Buche steht

Ein Abend durch vier Epochen und drei Arten von Bögen – Cuarteto Casals im Wiener Konzerthaus.

Cuarteto Casals (c) Igor Cat

Cuarteto Casals (c) Igor Cat

Per aspera ad astra – die Enttäuschung war natürlich groß, als die Absage des ursprünglich geplanten Artemis-Quartett bekannt wurde. Jedoch hat es das Konzerthaus geschafft, großartigen Ersatz zu finden, welchen es fast schon peinlich ist als Ersatz zu bezeichnen: das Cuarteto Casals. Zwei Abende hintereinander spielte das spanische Ensemble im Mozart-Saal des Konzerthauses – mit einem äußerst bunten Programm.

Solidarisch: Erste Geige im Wechsel 

Als erste Nummer: Joseph Haydns Alla Zingarese. Abel Tomàs hier am Pult der ersten Violine (die beiden Geiger wechseln vom Repertoire abhängig immer wieder Positionen) mit stets an die Decke wandernden Augen, im Gespräch mit der Musik, in seiner eigenen Welt. Sein Bruder Arnaud Tomàs (Cello) bildete zusammen mit dem Bratschisten Jonathan Brown eine bodenständige Basis für die Akrobatik der Violinen – vor allem Vera Martínez beeindruckte mit atemberaubender Präzision und Euphorie.

Die Bogenwahl darf auch nicht unbemerkt bleiben: Mit barocken Bögen bestückt hatte das Quartett eine Leichtigkeit und Exaktheit der Striche, die mit „normalen“ Bögen kaum zu erreichen ist. Den letzten Satz Haydns (20:51) wage ich sogar, als Highlight des ganzen Abends zu bezeichnen: Mit Humor und einer Kühnheit, die viel zu selten zu sehen ist warfen sich die vier voller Energie in ein Fest ungarischer musikalischer Witze.

Nach einem schnellen Bogen- und Pultwechsel (Vera nun an der ersten Violine) ging es zu Felix Mendelssohn-Bartholdys Capriccio in e-moll. Ein kurzweiliges Stück mit einem langsamen und einem schnellen Teil – jedoch nicht eine seine ausgefeiltesten Kompositionen. Nichtsdestotrotz meisterte das Cuarteto sie mit innigem Klang und Virtuosität, Vera Martínez sich fast vom Sessel erhebend, so sehr flogen sie davon.

Gänsehaut und unfassbare 10 Sekunden Stille am Schluss

Und schlussendlich: Dmitri Schostakowitsch und sein 11. Streichquartett in sieben Sätzen, welche jedoch in einem durchgehen. Doch kommt es dem Zuhörer wie ein einziger ewiger Atemzug vor, welcher hin und wieder durch russische Volksmusik oder unheimliche Kommentare durchbrochen wird. Die Konzentration zu halten ist eine Sache, aber auch den Charakter der spezifischen Komponisten einzufangen ist eine Kunst für sich – welche die vier selbstverständlich beherrschen. Die Ruhe die vom Ensemble ausgestrahlt wurde, der Gram und die Angst die ausgestrahlt wurde hinterließen das Publikum am Ende des Stückes in einer Stille, die voller Gänsehaut war. Es dauerte ganze zehn Sekunden (ja, ich habe mitgezählt!) bis Applaus einsetzte, der nicht aufhören wollte.

Last but not least: Als Zugabe wurde Beethovens Cavatina, der fünfte Satz aus dem Streichquartett Op. 130 gespielt (diesmal von den beiden Geigern auf klassischen Bögen). Nach einer bezaubernden Ansprache der Geigerin wurden die Wiener*innen wieder in die Wiener Klangwelt zurückgeholt. Und tatsächlich war es einfacher, nach der berührenden (und klarerweise ein wenig erschöpft klingenden) Musik aufzustehen als nach einem Schostakowitsch.

Schon die ausströmende Liebe berührte

Obwohl es sicher ein paar Stilpunkte zu diskutieren gibt (einer Wiener*in kann man Haydn nie recht machen und einer Russ*in ist Schostakowitsch nie russisch genug), hat das Ensemble doch deutlich gemacht, ein eigenes Gesicht und einen eigenen Standpunkt zur Interpretation zu haben. Mit Bedacht und bemerkenswerter Aufmerksamkeit zur Musik und zueinander, erfreuen sie sich so sehr an jeder Note, dass man allein von der Liebe, die das Quartett zur Musik ausströmt, berührt wird. Cuarteto Casals, kommen Sie bald wieder!

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