Erst schulmeisterliche Strenge, dann Wärme und Heiterkeit

Kirill Gerstein und die Tschechische Philharmonie stellen Schostakowitschs 2. Klavierkonzert einer Mendelssohn-Sinfonie gegenüber. Warum auch immer...

(c) Kirill Gerstein

(c) Kirill Gerstein

Dass 18 Uhr an einem sonnigen Sonntag nicht die Primetime für ein klassisches Konzert ist, sieht man den Rängen des Großen Saals im Wiener Konzerthaus gestern deutlich an. Natürlich: die Platzzahlen sind weiterhin beschränkt, doch es bleiben deutlich mehr als die vorgeschriebene Anzahl Sessel frei. Vielleicht auch, weil das Programm zwei sehr unterschiedliche, beinahe schon gegensätzliche Geschmäcke der klassischen Musik anspricht.

Ein holpriger Start mit viel zu viel Pedal

Allerdings dürfte auch der international bekannte Pianist Kirill Gerstein einige Interessenten angelockt haben. Besonders, wenn er ein derart herausforderndes Klavierkonzert, wie das zweite Klavierkonzert von Dmitri Schostakowitsch zu Besten gibt – ein Werk, das explizit als Prüfungsstück geschrieben wurde und dem Pianisten dementsprechend sein ganzes Können abverlangt.

Der Auftakt ist allerdings noch reichlich durchzogen. Die ersten Holzbläser-Töne klingen alles andere als elegant, denen Gerstein nach ein paar Takten zarte Piano-Klänge entgegensetzt. Dann beginnt ein hörbares Ringen um die Tempogestaltung. Gerstein drückt aufs Gas während sich die Holzbläser in Gemächlichkeit suhlen. Die dazwischen sitzenden Streicher versuchen zwischen den beiden Fronten zu vermitteln, wobei auch das eher schwammig wirkende Dirigat von Semyon Bychkov nicht hilft. Man einigt sich auf einen Kompromiss, wie man dem abbremsenden Klavierpart anhört.

Auch sonst bleibt der erste Satz – ein feuriges Allegro – eine zähe Angelegenheit. So verwendet Gerstein das Pedal geradezu inflationär, was dem Instrument zwar Lautstärke gibt, doch die flinken Passagen in einer undifferenzierten Klangwolke untergehen lässt.

Es wird besser: hin zum furiosen Ende

Doch es wird besser, durchsichtiger und abgestimmter. Im langsamen Satz erklingen wunderbare Klangfarben: gedämpfte Streicher und ein lyrischer Klavierpart. Im Finalsatz schließlich, der mit den ungeraden 7/8-Rhythmen ein markantes Merkmal aufweist, holt Gerstein alles Mögliche aus dem Flügel heraus. Die Sechszehntelketten sind nun viel besser hörbar und er überrascht mit einer riesigen Dynamikpalette, die vom schier unhörbaren (und selten auf dem Klavier so zart gehörten) Pianissimo bis hin zum tosenden Fortissimo reicht. Ginge es nach Gerstein, so müsste der Flügel noch viel mehr Lautstärke hergeben, hiebt er doch mit Händen und Füssen darauf ein.

Mendelssohn beinahe mit Verspätung

Nach einer kurzen Umbaupause betritt das Orchester erneut die Bühne für die Italienische von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der zweite Bratschist verpasst sie beinahe: Er kommt, nachdem das Orchester bereits gestimmt hat, gleichzeitig mit Bychkov im Eilschritt auf die Bühne und quittiert das Lachen und den Applaus mit einer verlegenen Verbeugung und roten Backen.

Unmittelbar darauf beginnt eine solide Darbietung des frühromantischen Werks. Bychkov harmoniert hervorragend mit seinem Klangkörper und hebt immer wieder gekonnt Akzente und Linien in den Streichern hervor. Abgesehen davon bleibt die Darbietung etwas austauschbar, was man auch den Musikern ansieht. Größtenteils belanglos sitzen sie auf ihren Sesseln, lediglich die ersten Pulte der ersten Violinen und der Celli haben sichtlich Spaß an der Musik. Nach dem Saltarello-Ausklang der Sinfonie wirkt das Orchester gerade eingespielt. Vielleicht wurde geschickt taktiert, denn nur eine Stunde später erklingt das ganze Programm erneut.

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