Fragen an die Coladose

Erquickende One-Woman-Oper über ernüchternde Frauenbilder.

Foto: Jean-Marc Turmes/Theaterakademie August Everding

Foto: Jean-Marc Turmes/Theaterakademie August Everding

Die junge Sängerin (Jacoba Barber-Rozema) hat es sich zu Begin der Bechdel-Opera, einem Masterprojekt der August Everding in München, gemütlich gemacht. In Jogginghose und mit einer Coladose einfach einmal entspannt stöbern, was der Kanon der Opernliteratur so an Frauenrollen hergibt. Dabei dient ihr der Bechdel-Wallace Test als erste Orientierung. Er besteht aus drei einfachen Fragen: Gibt es in diesem Film zwei Frauen? Reden sie miteinander? Reden Sie über etwas anderes als Männer? So weit, so klar.

Was passiert nun, wenn man diese Fragen an den Kanon der Opernliteratur stellt? Nicht schwer zu erraten, dass es bei diesem Test für Marzelline, Gilda, Zerlina und Co nicht gut aussieht. „Schlag mich“ als Aufforderung an den eigenen Ehemann? Barber-Rozema setzt mit glasklarer Stimme zur Arie an, nur um vor dem Text die Augen zu verdrehen. Wie soll man im 21. Jahrhundert mit solchen Sätzen umgehen? Jacoba tritt immer wieder neu auf, probiert die unterschiedlichen Kostüme und Rollen an, nur um sie nacheinander zu verwerfen.  Es ist nicht gerade ein nachahmenswertes Schicksal, wenn man am Ende nichts Besseres zu tun hat, wie etwa Violetta, Tosca oder Senta, auf tragische Weise zu sterben, etwa, weil man sich für den Geliebten von einer Klippe stürzt, was die junge Sängerin durch einen Sprung von der Bühnenkante illustriert. Kein Wunder, dass es ihr bald ungemütlich wird, schließlich will man sich dieses Frauenbild nicht gefallen lassen. So weit, so einleuchtend.

Es ist nicht gerade ein nachahmenswertes Schicksal, wenn man nichts Besseres zu tun hat, als auf tragische Weise zu sterben, etwa, weil man sich für den Geliebten von einer Klippe stürzt

Von unseren Vorgängern (bewusst männliche Form) Feminismus auf der Bühne zu erwarten, wäre vielleicht etwas zu viel verlangt. Aber wie können wir Zerlina und ihren Freundinnen ernsthaft zuhören?  Wo bleiben sie heute, die weiblichen Perspektiven, die Komponist*innen, Librettist*innen, Regisseur*innen der Opernwelt? Wie sieht es hinter der Bühne mit Gleichberechtigung aus?  Dass diese schmerzlichen Fragen trotz großer Kreidetafel im Hintergrund nicht zu didaktisch daherkommen, liegt an der Spielweise von Barber-Rozema, deren Ausstrahlung sich selbst über den Livestream überträgt. Zwischendurch verliert sie sich komplett in der Partie, nur um abrupt wieder abzubrechen, die Rolle auf die Tafel zu schreiben und durchzustreichen. Test nicht bestanden. So weit, so aussichtslos.

Apropos Liste, wusstest du, dass Don Giovanni 113 Tage im Jahr Sex haben musste, um auf die Liste mit den berühmten Namen zu kommen? “It´s fucked up!“ kommentiert Jacoba und beginnt, sich die berühmte Arie des Leporello selbst anzueignen. Männerrollen singen als Alternative? Und wie sieht es eigentlich mit Opern von Komponistinnen aus?  Eine Lösung findet die junge Sängerin (wenig überraschend) nicht, dafür findet Jacoba im Programmheft einen guten Rat. „Die Oper sollte sich mal ein bisschen weniger ernst nehmen.“ Außerdem, warum muss man sich jetzt auch noch die schönen Melodien vermiesen lassen? Die junge Sängerin nimmt sich eine Coladose und beginnt uns die Inhaltsangabe vorzusingen.

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