Theateraktualisierungen und warum ich sie hasse

Theater heute zwischen „Ähms“, „Häs“ und gelungenen „Prosciutto-Momenten“.

Design: Darya Bukreyeva

Design: Darya Bukreyeva

Stücke mit „ähm”, „ne” und „hä”. Stücke, die in einem Wohnzimmer oder besser noch, auf einer Couch gespielt werden. Alles wirkt alltäglich und austauschbar.
Klingt vertraut? Ja, mich nervt es auch.

Sieht man sich die aktuelle Theaterlandschaft an, so lässt sich schnell feststellen, dass Stücke „nach XY“ immer mehr auf dem Vormarsch sind. Hinter diesem „nach“ verstecken sich oft aktualisierte Fassungen, die nicht nur in einem heutigen Setting spielen, sondern auch das Thema des Stückes sprachlich und gesamtästhetisch zerpflücken. „Wenn Stücke aktualisiert werden, darf es nie zu eindeutig werden.“ Das sagte Gerhard Klingenberg vor kurzem in einem Gespräch auf Zoom. Klingenberg hat noch mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet, also er versteht, wovon er spricht. Gerhard, ich verstehe dich sehr gut. Wir haben beide unsere Schwierigkeiten mit Aktualisierungen. Ich hasse sie meist und spreche deswegen auch leidenschaftlich gerne darüber.

Die Macht der Sprache

Regisseur*innen wie Thomas Ostermeier oder Simon Stone, aktualisieren und überarbeiten zurzeit im ganzen deutschsprachigen Raum Ibsen, Tschechow oder Shakespeare und sind damit hoch im Kurs. In ihren Inszenierungen pflanzen sie das Stück am liebsten in ein modernes Bühnenbild und modernisieren auch die Sprache. Durch Floskeln und Füllwörtern geht die verdichtete Sprache der Originale verloren, was fast schon zu einer Unfähigkeit der Kommunikation führt. Wir können im Jahr 2021 vielleicht über fast alles sprechen, aber wir sind nicht mehr so eloquent, wie unsere Vorfahren aus Shakespeares oder Schillers Zeiten. Durch das ständige „Ähm“, dem Suchen nach Wörtern, dem Verhaspeln verliert sich die Kommunikation in einer Suche nach sich selbst. Sprache und unser Umgang damit bildet Wirklichkeit.

Mein Problem mit vielen Aktualisierungen ist, dass die Sprache einer Banalisierung und Hyperkonkretisierung zum Opfer fällt, die die Konflikte und Ziele der Figuren nichtig und lächerlich erscheinen lassen. Der Wunsch oder besser gesagt die Sehnsucht bei Tschechow, endlich nach Moskau zu ziehen und dort ein neues Leben beginnen zu können, wird ein unglaubwürdiger Schrei nach Veränderung, der sich sehr nach Lethargie anhört.

Theater soll sich trauen, die Stücke anzufassen und trotzdem die Wirklichkeit des Originals wiedergeben

Es werden Szenen gespielt, die an die Original-Dramen erinnern, aber gleichzeitig in den ewig gleichen eigenen vier Wänden oder auf der Couch spielen. Es wird am Tisch gegessen und nebenbei belanglos geplaudert. Freunde treffen sich und plaudern. Dieser Plauderton bleibt dabei in sich selbst stecken, es wird nicht mehr über das eigentliche geredet, was für die Figuren auf dem Spiel steht. Denn auch der Inhalt des Stückes wird auf die Aktualisierung angepasst, die Ziele der Protagonist*innen verkleinert. Ein (großes) Thema wird angesprochen, aber nicht ausgebaut, weil die nächste Figur schon wieder mit einem neuen beginnt. Theater, Filme und Literatur handeln eigentlich von dem einen Tag, an dem alles anders ist als sonst – von der Extremversion des Lebens. Bei der Banalisierung von Stücken durch vermeintlich modernisierte Sprache verlaufen sich die Konflikte sehr ins Klein-klein. Wenn der komplette Bogen der Handlung dadurch marginalisiert wird, geht die Wirklichkeit und die Dringlichkeit des Originals verloren. Warum sollte man das Stück in dieser Form also spielen? Denn es werden die Dinge erzählt, die ich mir gerade noch am Weg zum Theater gedacht habe oder worüber ich mich geärgert habe, die aber jetzt schon keine Rolle mehr spielen. Mir fehlt da die Metaebene, dieses Mehr. Das soll nicht heißen, dass ich für ein Theater plädiere, das sich nichts traut und die Stücke nicht anfassen will. Oder überhaupt jeglichen Bezug zu unserem eigentlichen Leben verliert.

Zudem wird, sobald das Stück in unser sogenanntes heute gelegt wird, bei den angesprochenen Regisseuren nur die heutige Zeit oder ein aktuelles Äquivalent der Situation erzählt. Dabei wäre doch die Diskrepanz zwischen den Zeiten erzählenswert. Die hunderte von Jahren, die vergangen sind, seit Shakespeare Romeo und Julia verkuppelt und in den Tod getrieben hat. Was hat sich also in den über 500 Jahren seit Shakespeare getan? Welche Werte sind anders, welche sind die gleichen? Auf was können wir immer noch bauen? Wie wurde damals und heute Theater gespielt? Stücke in eine zeitgenössische Umgebung zu setzen ist dabei vollkommen legitim, aber das Theater ist eben eine Kunst der Entscheidungen. Alles, was auf der Bühne zu finden ist – dazu gehört auch Sprache – muss ausgewählt und begründet sein, um eine Reaktion im Publikum erzeugen zu können. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Bühne auch der Raum ist, um von anderen Zeiten und Räumen zu erzählen. Fantasien, die die Künstler*innen gemeinsam in einen Theaterraum setzen.

Klingenberg hat auch von einem Phänomen erzählt, das nach der Schaffensphase von Brecht entstand: das sogenannte „Umfunktionieren“. Dabei wurden Stücke gegen die Absicht des Stückes und somit gegen die Absicht der Autor*innen inszeniert und gespielt. Warum man das machte, wollte er gar nicht weiter ausführen, wahrscheinlich, um originell zu sein und zu provozieren. Klingenberg degradierte diese Herangehensweise zu einem Trend, der anscheinend schnell wieder vorüberging. Vielleicht ergeht es den Aktualisierungen ähnlich. Möglicherweise wurzeln sie in der Unmöglichkeit, unsere Umwelt zu begreifen und sie nochmal auf der Bühne durcharbeiten zu wollen.

Schinken statt Schwarztee: ein Prosciutto-Moment als Höhepunkt

Ein Moment bei Stone ist mir aber im Kopf geblieben: In „Drei Schwestern“ (Theater Basel) wird eigentlich ein Samowar (russischer Teekocher) am Anfang verschenkt, in der aktualisierten Fassung aber wird der zum Prosciutto-Schneider. Für mich ist das eine geschickte Umsetzung für ein derart kostspieliges und dekadentes Geschenk. Irina, die Beschenkte, ist aber Vegetarierin. Ihr Onkel verfällt daraufhin in eine Rage, weil er es vergessen hat und die anderen ihn deshalb auslachen. In diesem Moment zeigt sich, wie sich die Figur in eine Sache wirklich hineinsteigert und der Prosciutto-Schneider dadurch auch eine Wichtigkeit bekommt. Über dieses Requisit wird ein Ziel, eine Überzeugung des Onkels verhandelt. Denn im Gegensatz zu anderen Dingen und Themen, die angesprochen werden, wird der Schinkenschneider zum Symbol für Unaufmerksamkeit oder Missverständnissen zwischen Generationen. Er wird bedeutsam.

Neben meinem ganzen Hass will ich sagen, dass ich das Theater für all seine Möglichkeiten und Fähigkeiten liebe. Und ich kann mich hierbei nur so in Wut schreiben, weil eben die wegfallen, sobald mit einer Überarbeitung oder. Aktualisierung nur noch Sprache gezeigt wird, die mit niemandem mehr etwas macht, niemanden mehr berührt. Trotzdem wird mir klar, dass diese Aktualisierungen mir im Gedächtnis bleiben und ich sogar gerne darüber diskutiere, weil ich abgesehen von der Sprache darin Momente finde, die genau das zeigen, was Theater für mich ist. Momente mit Bedeutung. Theater sollte wieder in die Extremform gehen können und dabei auch mal richtig in die Scheiße greifen, um gleichzeitig etwas Neues zu erfahren. Ich plädiere hier weiß Gott nicht dafür, dass ich bei Shakespeare nur noch elisabethanische Kostüme auf der Bühne sehen will. Ich will einfach mehr Prosciutto-Momente.

Previous
Previous

Lauwarmer Liebeswind aus Italien

Next
Next

Fragen an die Coladose