Gewagt, getan

Currentzis, Batiashvili und Stehkonzerte zum Abfeiern mit Buntspecht, Zaz und anderen: Das Wiener Konzerthaus riskiert Corona und Krieg zum Trotz eine imposante Saison für 2022/23.

Ligeti, Tjeknavorian, Batiashvili und Currentzis spielen allesamt Hauptrollen in der nächsten Konzerthaussaison /// Alexandra Timofeeva (c)

Der größte Angriffskrieg in Europa seit 1945, den Russland gegen die Ukraine führt, wirft auf alles seinen dunklen Schatten, auch auf die nächste Saison des Wiener Konzerthauses. So begann Intendant Matthias Naske seine Programmpräsentation. Die Sonne schien in den gemütlichen Wotruba-Salon, der Frühling blühte mit dem Abo-Buch 22/23 um die Wette, das prall gefüllt mit leckeren Konzerten und wohlklingenden Namen ist. Das düstere Thema des Krieges kam in diesem Setting fast surreal vor. Doch es ist leider real. Menschen leiden, flüchten und sterben täglich. Man muss sich Positionieren, mit Russland den richtigen Umgang finden. Im Klassikbetrieb ist das eine heikle Sache. Sollen wir uns abschotten, aus Russland niemanden mehr einladen?

Das Konzerthaus unter Naske geht einen anderen Weg. Er ist schwieriger, voller Tücken, aber wahrscheinlich der Richtige. Es ist der Weg der Differenzierung. „In allen Fällen, wenn Kultur zur Legitimation des russischen Regimes genutzt wird, ziehen wir eine rote Linie“, so Naske. Doch wo verläuft sie genau, diese Linie? So gut wie alle russischen Institutionen und Musiker*innen werden vom Staat in irgendeiner Form unterstützt (daran ist nichts Besonderes, auch in Österreich und in der Welt ist Kultur ein Subventionsgeschäft). Wenn man also die Beziehungen nicht komplett kappen möchte, muss man sich auf eine Gratwanderung zulassen.

Riskante Gratwanderung

Um Teodor Currentzis geht es immer wieder. Kommt er im April? Das Haus bemüht sich darum, sicher ist es noch nicht. Morgen soll sich der SWR zu Currentzis äußern, das wird spannend und womöglich richtungsweisend. Für die neue Saison sind ganze 6 Currentzis-Konzerte vorgesehen. Darunter eine H-Moll-Messe von Bach am 21. März und Wagners Tristan und Isolde am 23. November. Teure, spannende, große Produktionen, die allesamt ersatzlos ins Wasser fallen könnten. Das Konzerthaus riskiert hier im großen Stil, für uns, um die Chance auf diese Abende zu wahren.

Auch insgesamt sei dieses unglaublich reiche Programm ein Risiko, meint Naske. Es toben Krieg und Corona, die Abozahlen gehen zurück, doch das Haus gibt alles. Im Konzerthaus glaubt man daran, dass Musik gerade in diesen Zeiten wichtig ist. Über 600 Konzerte kommen auf uns zu, sie in wenigen Sätzen zu teasern ist kaum möglich. Ich versuch’s trotzdem. Zentral stehen 5 Porträtkünstler*innen. Die Geigerin Lisa Batiashvili, Jean Rondeau, ein französischen Cembalostar (ja, sowas gibt’s auch…) mit einigen YouTube-Hits, Emmanuel Tjeknavorian als Dirigent (und ganz exklusiv auch als Geiger, obwohl er in der Saison fast nur dirigieren wird), Sopranistin Regula Mühlemann und der Komponist György Ligeti, der am 28. Mai 2023 seinen 100. Geburtstag feiern würde.

Barenboim, Mäkelä und Grimaud, und und und

Und sonst? Jede Menge Highlights. Daniel Barenboim feiert am 13. November sein 70-jähriges Bühnenjubiläum mit den Philharmonikern und Mehta, die Symphoniker spielen alle Brahms-Sinfonien mit Orozco-Estrada und Klaus Mäkelä kommt mit Oslo-Philharmonic am 20. November wieder (sein langersehntes Debüt mit dem eigenen Orchester erwartet uns noch im Mai). Die Matthäuspassion gespielt von den Philharmonikern (!) unter Welser-Möst am 1. April wird ein besonderes Highlight, entweder bombastisch oder irgendwie verkehrt. Starsopranistin Asmik Grogorian feiert am 10. März ihr Hausdebüt mit einem Liederabend. Trifonov, der nächste Woche mit Bach auftritt, kommt mit seinem Lehrer Sergei Babayan am 3. Mai 2023 wieder, bestimmt eine Sternstunde. Sokolov, Volodos und die großartige Hélène Grimaud spielen aber auch im großen Saal.

Literatur und Film gibt es auch wieder, die Screenings von Klassikern der Stummfilmzeit mit Livemusik versprechen, wieder Leckerbissen zu werden. Es kommen Der General mit Buster Keaton, Metropolis (1927) und Nosferatu (1922). Und Jazz? Gibt’s natürlich auch. Melody Gardot kommt am 31. Oktober, Wynton Marsalis ist natürlich auch wieder am Start, sowie Shake Stew und Brad Mehldau.

Tanzen im Konzerthaus, wie in der Stadthalle

Der Nachwuchs wird auch gepflegt: Im Zyklus Great Talent tritt neben schon bekannten Gesichtern (Jukia Hagen, Vivi Vassileva, Simply Quartet) auch Anton Gerzenberg auf, ein rising Pianist, auf, von dem das Haus und der künstlerische Betriebsdirektor Rico Gulda Großes erwarten. Wir sind gespannt. Ein besonderer Abend wird der 30. Mai, da feiert Martin Grubinger mit Yuja Wang und anderen seinen Abschied von der Bühne, mit nur 40. Uns junge Leute locken die Konzerthäusler*innen mit ihren neuen Stehkonzerten: Dabei wird die Bestuhlung des Großen Saals ganz entfernt, um zu den Auftritten von Buntspecht, Meute oder Zaz ganz befreit tanzen zu können.

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