Hader on Everything

Josef Hader über Woody Allen als Vorbild, seinen neuen Film und die Zukunft der Brenner-Reihe. Außerdem: Kirche, Instagram, Autos, klassische Musik, Landleben und das Problem mit Stand-up auf Deutsch.

Der Morgen-Hader im Café Rüdigerhof /// Emma Marnoch (c)

Café Rüdigerhof, 11 Uhr. Hader ist am Morgen besonders haderig, er scheint bei den Fotos vor dem Gespräch fast noch zu träumen. Als ich loslege und mich und Bohema vorstellen möchte, weiß er aber längst Bescheid, ist ganz da, offen für jede noch so blöde Frage. Wir starten mit seinem neuen Film Andrea lässt sich scheiden. Jetzt im Kino.

Bohema: Die leere Landschaft, Andrea als Alleingängerin, die ganze Stimmung erinnerten mich an moderne Westernfilme, so im Coen-Brothers-Style. Waren das Vorbilder?

Josef Hader: Weil wir das Weinviertel mit seinem tiefen Horizont als Location ausgesucht haben, hat das sicher einen Hauch von den Coen Brothers. Mir wär‘ aber noch lieber, man würde sagen, dass der Film etwas von Paper Moon hat. Der ist mit diesen wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern aus Kansas einer meiner Lieblingsfilme.

Dass die Landschaft so mitspielt, ein Star ist, ist schon was sehr Amerikanisches

B: Und Andrea hat durchaus einiges von einem Westerncharakter…

H: Ja, sie geht wie ein Cowboy durch den Film. Sie macht auf alle Fälle Sachen, die in Filmen früher nur Männer machen durften. Unzugänglich sein, schmale Augen machen, keine Emotionen zeigen.

B: Im Western sind es Pferde, in diesem Fall sind Autos sehr zentral im Film. Zum einen konkret in der Handlung aber auch als charakterisierende Requisiten. Die Figuren ähneln ihren Gefährten wie Hundebesitzer*innen ihren Fußhupen. Wie kamen Sie zu den Autos?

H: Zuerst haben wir etwas für Andrea gesucht, da schien mir ein sehr praktisches und nicht auffälliges Auto passend. Daher ist es ein VW Golf geworden, für Andrea in weiß wie die Unschuld.  Das Auto von meinem Charakter (Religionslehrer Franz) musste sich davon irgendwie abheben; es wäre fast ein kleines französisches Auto geworden, am Ende hat uns der kleine, rote Opel Corsa besser gefallen.

Birgit Minichmayr und Josef Hader im Corsa /// Ioan Gavriel, Filmladen Lunafilm (c)

B: Ganz herrlich fand ich die Wahl auch bei Andy mit seinem heruntergerockten 3er BMW mit großem, lautem Garagentuning-Auspuff.

H: Sowas wird auf dem Land gerne gefahren. Ich habe den Vorteil, dass ich auf dem Land aufgewachsen bin. Und obwohl seitdem natürlich viel Zeit vergangen ist, sind erstaunlich viele Dinge gleichgeblieben.

B: Regimetreue Kritiker*innen im Iran haben mit „Siahnamayi“ sogar ein eigenes Wort für Filme erfunden, die das Land ‚zu negativ‘ darstellen. Sie zeigen in Ihrem Film flächendeckende Depression, Alkoholismus, Einsamkeit. Glauben Sie, dass sich Servus TV und Co. für Sie ein neues österreichisches Wort aus den Fingern saugen?

H: Ah, das gibt’s in Österreich schon.

Nestbeschmutzer.

Ich finde aber, dass ich das Land und die Menschen aber auch liebevoll betrachte. Und schonungslos, das geht für mich gut zusammen. Mir war es wichtig, die Landbevölkerung nicht zu denunzieren.

B: Aufs Land ziehen würde ich nach dem Film aber erst recht nicht…

H: Derzeit gehts mir auch noch so, aber wer weiß, vielleicht werd‘ ich im Alter noch ruhebedürftiger. Momentan bin ich lieber in der Stadt, weil man sich die Leute aussuchen kann, die man trifft. Ich habe diese Deformation durch Gleichgesinnte lieber als die Deformation durch Menschen anderer Meinung, mit denen man sich ständig streiten müsste oder sich freundlich ins Gesicht lügen. Ich bin gern am Land, aber nur tageweise, das genügt mir.

B: Es ist also nur Ihre Kunstfigur in Ihrem aktuellen Programm ‚Hader on Ice‘, die auf dem Land lebt.

H: Genau. Weil wenn ich wirklich aufs Land ziehen würde, würde ich vielleicht bald so wie meine Bühnenfigur werden, das möchte ich lieber nicht.

B: Kurz zum Ende des Films, ohne zu spoilern: Würden Sie es unterschreiben, dass es viel mit Religion zu tun hat?

H: Vielleicht eher mit Menschlichkeit. Meine Figur im Film kommt aus einer Zeit, als das noch näher beieinander war, Religion und Menschlichkeit. In den 70ern gab’s richtig menschliche Inseln in der katholischen Kirche, die dann aber bald wieder enger geworden sind. Damals gab es noch die Hoffnung, dass sich dieser Verein tatsächlich modernisieren würde. War aber nicht so.

B: Beim Gregor Gysi meinten Sie letztens, Sie würde bald tatsächlich auch aus der Kirche austreten. Schon getan?

H: Noch nicht. Ich habe noch zwei alte Religions-Lehrer aus den Siebzigerjahren, einer ist dafür, der andere meint, ich soll noch warten. Dieser Dialog mit den beiden gefällt mir sehr gut, daher wart ich noch.

ÜBER COMEDY

B: And now something completely different: Sie betonen oft den Einfluss von amerikanischem Stand-up auf Ihre Arbeit. Wer waren Ihre Heroes?

H: Ich habe in den 80-er Jahren in einem Schallplattengeschäft auf der Josefstädter Straße ganz hinten irgendwo ein Album mit Stand-ups von Woody Allen aus den 60-ern entdeckt. Das war für mich sehr lohnend! Weil er etwas macht, was viele Comedians nicht können: Er forciert seine Stimme überhaupt nicht, er schauspielert nicht, er erzählt ganz monoton seine Geschichte. Die ist aber so gebaut, dass die Leute fast von den Stühlen fallen vor Lachen. Man kann den Bauplan von guter Comedy richtig klar erkennen, weil bei ihm so viel an der Geschichte hängt. Das hat mich stark beeinflusst.

Ich habe dann weitergesucht und auch Lenny Bruce entdeckt und war fassungslos, wie bitterböse man schon in den 50-ern sein konnte. Er hatte dann auch Auftrittsverbot in vielen amerikanischen Bundestaaten. Da gibt es zum Beispiel den berühmten Witz: „Es ist gut, dass wir Juden Jesus vor 2000 Jahren ermordet haben und nicht vor 20 Jahren. Sonst würden die kleinen weiß gekleideten Mädchen bei der Prozession statt der Kreuze goldene elektrische Stühlchen am Hals tragen.“ Sowas hat er in einer Zeit gemacht, als der Präsident noch Eisenhower hieß und alles noch eng und muffig war. Er hat damals wirklich etwas losgestoßen und war so eine wichtige Figur, dass die Beatles ihn sogar auf dem Album-Cover von Sergeant Pepper abgebildet haben. Bill Hicks war auch ein Vorbild von mir, aber natürlich auch Kabarettisten wie Qualtinger oder Gerhard Polt.

B: Sind Sie an der amerikanischen Comedy auch drangeblieben über die Jahre?

H: Teilweise. Ich frage immer wieder junge Kolleg*innen, wen ich mir anschauen sollte, schreibe mir das ins Handy und komme dann leider nur selten dazu, mir das anzuschauen…

B: Ihre Figur in Indien sah für mich dem jungen Louis CK sehr ähnlich.

H: Bei ihm bin ich gespalten, weil ich seine Serie Louie grandios fand, während mir ein Programm von ihm, das ich knapp vor seinem Me-Too-Skandal als Mitschnitt gehört habe, nicht so gut gefallen hat. Wenn man diese kalkulierten Grenzverletzungen vor einem riesigen johlenden Publikum macht, dann wird’s für mich unspannend. Da fehlt mir das Ausgesetztsein auf der Bühne. Dass man manchmal auch Nichtübereinstimmung mit dem Publikum riskiert, dass man verletzbar bleibt. Vielleicht hätte ich frühere Programme von ihm anschauen müssen…

B: Woody Allen, Louis CK, Sie: Wenn Comedians Filme machen, sind es erstaunlich oft Dramen. Warum?

H: (Denkt lange nach)

Es gibt kaum sorglose Menschen in unserem Beruf

Wenn man regelmäßig allein vor ein Publikum tritt, und für 60 oder 120 Minuten verhindert, dass sie aus dem Saal laufen, das ist etwas, was sich ein normaler Mensch eigentlich nicht antut. Das sind in gewisser Weise doch sehr spezielle und eigene Leute, die das machen. Sehr oft auch unsichere Leute, die auf der Bühne ihre Ängste überwinden. Bei mir war das zumindest so. Ich fühlte mich beim Schultheater viel sicherer als im Alltag. Erstens bekam ich Feedback, dass ich das gut kann, und zweitens wusste ich im Gegensatz zum echten Leben immer den Text und den Ausgang der Geschichte. Und man wurde plötzlich für Zusammenbrüche, menschliche Fehler, Emotionen und Lächerlichkeiten belohnt. Im echten Leben wurde man ausgelacht für so etwas, auf der Bühne war es lustig.

B: Sie haben mal gesagt, es gibt auch guten Stand-up aber meist auf Englisch. Warum ist das so?

H: Es ist eine Kunstform, die erst in den 80-ern und 90-ern zu uns gekommen ist. Zur selben Zeit ist der Aufstieg des Privatfernsehens passiert. Die haben sich diese neue Form sofort unter den Nagel gerissen und Fernsehcomedy mit möglichst großer Reichweite gemacht. Deswegen hat Comedy hier den Ruf, den sie hat. Ich glaube aber, dass sich das längst geändert hat. Jetzt sind Leute erfolgreich wie Hazel Brugger, Torsten Sträter oder Till Reiners, die mit großartigem Witz auch gesellschaftlich relevante Themen ansprechen.

B: Ihr aktuelles Programm ist aber verglichen damit eher Kabarett, oder?

H: Es ist eine Mischung, eine Art verkleidetes Theaterstück, das am Anfang als Comedy daherkommt, aber dann wird es dramatischer Die Bühnenfigur ist aber ganz in Comedytradition ein verhaltensauffälliger Mann, dem man nicht trauen sollte.

B: Wenn sie also ankündigt haben, dass das aktuelle Ihr letztes Programm sei, muss man das auch nicht glauben?

H: Nein, nein, das ist nur ein guter erster Satz, da passen gleich alle auf. (lacht).

ÜBER SOCIAL MEDIA

B: Sind Sie eigentlich persönlich auch in den Sozialen Medien aktiv oder macht das alles Ihre Agentur?

H: Es kommt vor, dass ich arbeitsbezogen auf etwas aufmerksam machen möchte und das dann selbst mache, aber ich bin nicht privat oder mit einem Freundeskreis dort.

B: Das heißt, Sie kennen aber diese abgefahrene Parallelwelt…

H: Ja, ein bisschen. Aber zu stark möchte ich da nicht reinrutschen. Auch, weil ich einen sehr altmodischen Künstlerbegriff habe. Ich liebe Romane aus dem 19. Jahrhundert. Da blieben Autor*innen immer außen vor, haben ihr Leben geheim gehalten.  Drum hab‘ ich lieber, dass man von mir nicht allzuviel weiß und das was ich mache, für sich stehen soll.

B: Junge Comedians kommen aber kaum an Instagram und Co vorbei. Glauben Sie, das wird Comedy wieder so negativ beeinflussen wie damals das private Fernsehen?

H: Das glaube ich nicht, das Internet ist ja eine große Spielwiese, da kann auch jemand nicht so massenfähige*r ein ganz schön großes Publikum finden.

B: Nach zig Interviews mit Ihnen, die ich zur Vorbereitung gelesen habe, frage ich mich: Gibt es Fragen, die Sie unbedingt beantworten möchten, aber die niemand stellt?

H: Das wäre so etwas, was ich immer schon wollte, dass die Menschen wissen sollten. Aber diesen Drang hab ich genau nicht (lacht).

B: Nur auf der Bühne…

H: Da bin ich auch nicht ganz festzunageln, was ich genau sagen will. Das muss man dann immer erst herausfinden (lacht).

B: Ist Ihnen der ganze Medienrummel dann eigentlich lästig?

H: Er ist ja nicht immer, nur wenn so ein Ding, an dem ich jahrelang gearbeitet habe, an die Öffentlichkeit kommt. Zum Glück war es bisher auch nie so, dass es sich für mich am Schluss herausgestellt hat, dass das Ergebnis eher scheiße ist und ich muss trotzdem Werbung dafür machen.

B: A propos Medienrummel: Falls Sie irgendwann wieder einen neuen Brenner-Krimi machen würden, wäre der sicher riesig. Können Sie den Brenner-Fans Hoffnung machen? Wolfgang Haas hat ja zwischendurch auch weitere Brenner-Bücher veröffentlicht.

H: Ich glaube, als Brenner bin ich in Rente gegangen. Ich würde es aber sehr spannend finden, wenn man das mit einer anderen Besetzung neu aufrollen würde. So wie beim James Bond.

ÜBER MUSIK

B: Sie gelten als Fan klassischer Musik, langsam kommen Sie in ein Alter, wo das Sinn macht…

H: Das macht immer Sinn!

B: Gehen Sie gerne ins Konzert oder in die Oper?

H: Ich bin ein Klassikfan, der sehr selten ins Konzert geht. Ich steh so oft abends auf der Bühne und habe dann einen regelrechten Ekel davor, an einem freien Tag abends aus dem Haus zu gehen, dass ich dann lieber zuhause Musik höre. Wenn ich dann doch ins Konzert gehe, sitze ich gerne über dem Orchester, um Dirigent*innen zuzuschauen. Ich finde es immer sehr spannend, wie sie diesen Apparat dazu bringen, ihnen zu folgen. Oder wie sie dem Publikum suggerieren, sie täten es gerade (lacht).

B: Gibt es ein Musikstück, klassisch oder nicht, das Sie in letzter Zeit besonders gerne gehört haben?

H: Die Übertragung von Bernsteins Candide im Radio, die war super. Dieses Musical ist ja nach einem satirischen Roman von Voltaire entstanden. Alte Formen der Satire finde ich sehr inspirierend. Bevor ich ein neues Programm schreibe, lese ich immer was von Jonathan Swift. Der ist der Urvater aller Comedians, der hat einen ungeheuer bösen Witz. Der würde heute noch genauso funktionieren wie damals.

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