Hold ma bière!

Kunstlieder? Gibt’s auch aus Frankreich! Gänsehautwhirlpool und souffléhaftes Dahinschmelzen beim Konzert von Sopranistin Sabine Devieilhe und Pianist Alexandre Tharaud.

Sabine Devieilhe und Alexandre Tharaud /// Parlophone Records / Jean Baptiste Millot (c)

Sabine Devieilhe und Alexandre Tharaud /// Parlophone Records / Jean Baptiste Millot (c)

Das Kunstlied. Vielleicht die deutscheste aller Gattungen, geprägt von Schubert, Schumann, Brahms und wie sie alle heißen, unsere kroßartigen Krauts. Oder doch nicht nur? Hold ma bière, riefen Debussy, Fauré und Co. leicht empört im Chor, das können wir schon längst! Pardon Messieurs, nach dem gestrig-großartigen Liederabend von Sabine Devieilhe und Alexandre Tharaud weiß ich, wie recht ihr habt.

Etwas überrascht nahm ich direkt am Gang in der zweiten Reihe Platz. In diese Sitze pflanzt man traditionell eher halb taube Politiker*innen bei Eröffnungsgalas, Musikkenner*innen bevorzugen die mittleren Reihen, wo der Klang schon gemischt ankommt. Diesen allwissenden Kultursnobs (zu denen ich so gerne gehören möchte...) sei allerdings herzlich empfohlen, auch mal so einen extrem nahen Sitz auszuprobieren. Aus der Nähe erlebte ich die großartige Devieilhe als echte Frau aus Fleisch und Blut statt ferner Diva; als Hochleistungssportlerin statt trällernder Nachtigall.

Eine Extremsportlerin aus nächster Nähe

Ja, denn Sänger*innen sind Extremsportler*innen. Bei Devieilhe konnte ich aus drei Metern Entfernung bestaunen, wie sie mit dem Zwergfell die Töne stützt, wie sie ständig die so schwer auffindbaren inneren Räume öffnet, ihre Maske (Sängersprech fürs Gesicht) an die Musik anpasst, wie sie artikuliert, rechtzeitig und genug atmet, und dann auch noch ihre Hände ständig für irgendeine elegante Geste einsetzt. Das und noch viel mehr passiert in jeder Sekunde gleichzeitig, bei Profis wie ihr scheinbar mühelos. Wer aber sich schon mal an Stimmbildung versucht hat, weiß, wie gottverdammt schwer das ist. Von so nahem merkt man erst so richtig die immense Energie, die da reinfließt, da nimmt man auch in Kauf, dass man bei der Verbeugung fast eine Kopfnuss von Alexandre Tharaud bekommt. Wäre sowieso eine Ehre...

Nicht, dass Devieilhe nur ‘sportlich‘ gesungen hätte. Als sie Faurés berühmte Après un rêve sang, konnte man nicht anderes tun, als souffléhaft dahinschmelzen. Schon in der Aufnahme kommt es recht gut rüber, wie fein, weich und versatil ihre Stimme ist, wie stilsicher sie ihre Bögen spannt. Live war das um noch ein paar Levels genialer. Nach dem meinerseits etwas trüben, allerseits kalten und regnerischen Samstag war dieses Lied die perfekte Medizin, ich badete in Chills und Gänsehaut wie in einem warmen Whirlpool.

Vor Francis Poulencs Zyklus La courte paille brach Devieilhe die vierte Wand und erzählte uns in perfektem Deutsch, wie neu diese Lieder für sie beide seien. Davon merkte man nichts, die teilweise an englischen Humor erinnernden absurden Lieder sang sie sicher und mit intensivem schauspielerischen Einsatz. In Quelle aventure sang sie: „Ein Floh zog in seinem Wagen / einen kleinen Elefanten (...) der Elefant schleckte mit abwesender Miene / ein Glas Marmelade aus“. Wir lachten und störten sie dabei gefühlt, so sehr war sie vertieft in der Musik.

Faunfellchenweicher Debussy

Es folgte eine kleine Verschnaufpause für Devieilhes (wahrlich göttliche) Stimme, in der Alexandre Tharaud uns mit seiner eigenen Bearbeitung von Debussys Prélude á l'après-midi d'un Faune beglückte. Er holte dabei alle nur möglichen Klangfarben aus dem Steinway, um das Orchester so gut, wie möglich zu ersetzen. Seine schnellen Läufe waren teils so sanft, wie das Fell des Fauns hinten in der kleinen Mulde über den Hufen.

Louis Beydts ist ein so gut wie vergessener Komponist, seine Mélodies (Kunstlied auf Französisch) waren durchaus ausgrabenswert. Mir gefiel besonders L’oiseau bleu, dessen Text fast nur aus teils recht ausgefallenen Frauennamen wie Gwendoloéna, Carotte oder Genièvre besteht. Ravels Cinq mélodies populaires grecques würde man heute wohl als cultural Appropriation bezeichnen. Das Highlight der griechisch inspirierten Stückchen war Chanson des cueilleuses des lentisques, hier drehte sich Devieilhe zum offenen Flügel und sang teilweise hinein. Währen Tharaud mit seinen dezent lilanen Melanzanischuhen das Pedal drückte, schwangen die Seiten mit, was zu einem mystischen Echoeffekt führte.

Paul Verlaine: „Et qui tristes pleuraient dans les hautes feuillées, - Tes espérances noyées“. Und wie traurig weinten im hohen Laub deine ertrunkenen Hoffnungen. Devieilhes Engelsgesang brachte mir die einzigartige französische Sprache noch ein Stückchen näher ans Herz. Wie wir es nur schaffen jeden Tag nicht in den Zug zu steigen und endlich wieder nach Frankreich zu fahren, ist mir ein Rätsel... Zum Schluss flüsterte Devieilhe fast Spleen von Debussy, ein schmerzhaft intimer Moment.

Nach so einem phänomenalen Konzert hatten wir keine Wahl, als aus voller Lunge zu jubeln. Et voilà, dafür regnete es Zugaben. Ich erwischte nach dem Konzert zufällig den Social Media Manager von Sabine Devieilhe der mir erzählte, in London und Co. hätte es immer nur eine gegeben. Take that, London! Sabine Devieilhe tritt zum Glück schon am 20. Oktober wieder im Konzerthaus auf, bis dahin muss ich mich wohl mit ihrer neuen Platte begnügen, die ich in lauter Begeisterung gerade ersteigert habe...

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