„Ihr greift, ich seh, mit Eurem Urteil ein / Wie eine Hand in einen Sack voll Erbsen“
Wahrheit, Lüge, Macht und Korruption - Bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf wird Kleists zerbrochener Krug mit souveräner Kunstfertigkeit zusammengesetzt.
Der vielleicht einzige Nachteil von Freilufttheater ist seine Wetterabhängigkeit. Nachdem die Premiere der Sommerspiele Perchtoldsdorf ins Wasser gefallen war, konnte ich nun endlich meinen Besuch im Speckgürtel Wiens nachholen. Am Traumschauplatz vor der mittelalterlichen Burg Perchtoldsdorf ist die Bühne dieses Jahr als Mittelpunkt einer kreisförmigen Arena angelegt. Von den aufsteigenden Sitzreihen blickt das Publikum ringsum auf die Drehscheibe herab, auf der sich der Gerichtsprozess um den titelgebenden Krug abspielt.
Die Justiz hat einiges an Dreck am Stecken
Der Dorfrichter mit dem sprechenden Namen Adam (Kai Maertens) führt hier die Verhandlung über eine Tat, die zunächst als Lappalie erscheint, die er jedoch selbst begangen hat, während ihm unangenehmerweise ausgerechnet bei diesem Prozess ein Gerichtsrat aus der Stadt (Dominik Warta) auf die Finger (oder wohl eher auf den lädierten Kopf und den Klumpfuß) schaut. Nicht nur hat er den Krug zerbrochen, der Frau Marthe (Birgit Stöger) von so großer Bedeutung war, er hat sich auch der sexuellen Nötigung an ihrer Tochter Eve (Hannah Rang) schuldig gemacht, deren Verlobung mit Ruprecht (Phillipp Laabmayr) beinahe zerstört und nutzt hinterher seine Machtposition aus, um unbescholten davonzukommen.
Kleists brillanter Text spricht für sich…
Kleists Text ist ein Lustspiel mit ernstem Kern und bereits 200 Jahre alt und doch – darum auch ein Klassiker – zeitlos aktuell und vor allem in seiner sprachlichen Brillanz kaum zu überbieten. Jeder Blankvers besticht durch eine vollkommene Präzision und Dichte, jedes Wort ist voller Bildhaftigkeit und Mehrdeutigkeit und weist letztlich auf das Unvermögen hin, durch Sprache zur Wahrhaftigkeit zu gelangen. Und das Ganze obendrauf mit Sprachkomik auf einem Niveau, das mehrmalige Lektüre erforderte, um sie (annähernd) gänzlich zu durchschauen.
…und Regisseurin Veronika Glatzner lässt ihn sprechen
Doch genug zu Kleist. Es ist dem feinfühligen Regiekonzept Veronika Glatzners zu verdanken, dass dieses Lustspiel Lustspiel bleiben darf, ohne zu seichtem Klamauk zu geraten, dass Aktualität und Ernsthaftigkeit anklingen, ohne mit erhobenem Zeigefinger darauf hinweisen zu müssen und dass der Poesie des „Kruges“ ausreichend Raum gegeben wird. Die spärlich ausgestattete und optisch zurückhaltende Drehbühne (Marie und Paul Sturminger) bietet ausreichende Rahmung des Geschehens und vermittelt besonders die permanente Instabilität sowie den steten Perspektivwechsel, der auch der Handlung inhärent ist. Knapp und doch nicht unwesentlich bleibt auch der Einsatz von Musik (Michael Pogo Kreiner, Daniel Helmer): Einige Menuetttakte unterlegt von satten Bässen vom Mischpult setzen pointierte akustische Akzente, während auf visueller Ebene die schrill zusammengestellten Kostüme (ebenfalls Marie und Paul Sturminger) als Hingucker dienen.
Erneut können die Sommerspiele Perchtoldsdorf mit dieser Inszenierung darbieten, dass Sommertheater kein Lückenfüller der Spielpause der großen Bühnen sein muss. Hier dreht sich alles um das Wesentliche: einen genialen Text, große Schauspielkunst und ein Regiekonzept mit feinem G’spür. Mehr braucht es nicht. Außer eben schönes Wetter.