Klavierpapst reloaded

Von der Schwierigkeit, aus einer Duftwolke, die nach alter Dame riecht die Jugendlichkeit eines Pianisten über 70 rauszuhören - Rudolf Buchbinder mit zwei Tophits und drei weiteren Sonaten Beethovens.

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Stell dir vor, du sitzt allein in einem kleinen, elegant eingerichteten Raum mit Flügel und gekühlten Getränken. In zwei Minuten musst du raus auf eine grell beleuchtete Bühne, musst die drückende Einsamkeit für eine noch drückendere Präsenz von anderthalb Tausend selbsternannten Experten eintauschen. Und du musst spielen, vor all diesen kritischen Augen. Wohl wissend, dass der Eindruck, den du in den ersten 20 Takten hinterlassen wirst, beim Großteil die allgemeine Meinung über deine Leistung bestimmen wird. So funktionieren wir nun mal. Rudolf Buchbinder macht diesen Prozess seit 60 Jahren durch, trotzdem gelang ihm der Anfang von Beethovens Sonate Op. 22 nicht wirklich gut.

Aus der Altfrauen-Duftwolke heraus scheint alles altmodisch

Was er von sich gab, war bei weitem nicht so klar und logisch, wie die verlinkte sokolovsche Version, wirkte verwischt, sogar etwas shaky. Ich muss zugeben, mir fiel es besonders schwer, eine jugendlich frische Interpretation vorzustellen: Die weiß und gold glitzernde Lady neben mir hüllte mich in eine Wolke von edlem Altfrauengeruch. Als angehender Kritiker darf ich meine Meinung natürlich keineswegs nach den ersten paar Minuten bilden. Und siehe da, es wurde besser. Natürlich. Der Klavierpapst (Bezeichnung courtesy of Philipp Steurer, der über ein voriges Buchbinderkonzert berichtet hat) zauberte ein paar wirklich intensive meditative Momente aus seinem Ärmel. Im letzten Satz streichelten uns seine zarten Hände, wie eine Mutter ihr fiebriges Kind.

Nach einem kleinen Intermezzo (Op. 49/2 ist eine von den einfachen, kleineren Sonaten, die Beethoven wahrscheinlich für eine Schüler*in schrieb) folgte das klare Highlight: Die Pathétique. Es geht ziemlich wenig über die bombastisch gefühlsgeladene Grave, die das Stück einleitet. Buchbinder ließ nichts anbrennen und kostete die Spannung voll aus. Das Ganze hatte irgendwas tief Menschliches, die Stelle, an der die Hände über Kreuz spielen klang, wie eine hitzige Unterhaltung. Das Adagio (11:00) hätte noch etwas getragener sein können, vor dem Rondo (16:04) legte er dann seine Krawatte ab und spielte ein wahrlich krawattenloses Tempo.

Vielleicht kennst du auch diesen magischen Moment, irgendwann nach 23 Uhr an einem mies gelaufenen, ermüdenden Tag, wenn dich die Musik plötzlich viel stärker berührt in der erschöpft-einsamen Misere. Nach meiner Erstimpfung hatte ich so einen Moment, hoch zwei: Die (zugegebenermaßen sehr emotionsgeladene) Musik von Bakanic & Spaemann rührte mich am Abend zu Tränen. Auch diesmal ging es mir nicht wirklich blendend nach meiner Zweitimpfung, doch zu Tränen reichte es nicht.

Eine Zugabe kann auch Werbung sein

Das soll kein Vorwurf an der armen Buchbinder sein, auch wenn mich seine Waldstein-Sonate tatsächlich nicht ganz so vom Hocker haute, wie erwartet. Dieser drängende, unfassbar tolle Anfang war bei ihm etwas hastig. Danach musste er wohl oder übel das schnelle Tempo halten. Die 74-jährigen Finger schafften das überraschend gut, so richtig stimmig war das trotzdem nicht. Der nachdenkliche letzte Satz (14:14) war ein schöner Schluss, Buchbinder spielte ihn ähnlich behutsam, wie Pletnev. Als Zugabe machte der Papst dezent Werbung in eigener Sache: Er spielte den letzten Satz von der Sonate Op. 10/2, die beim nächsten Konzert der Reihe am 23. Juli den Auftakt bilden wird. Er wird da unter anderem die unglaubliche Hammerklaviersonate spielen, es wird sich lohnen.

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