“Just stay fucking normal”
Andreas Altmann ist zurück mit einem neuen Buch. Ein Interview aus Paris übers Reisen, schlaflose Nächte und die Sache mit der Selbstironie.
Andreas Altmann war schon fast alles in seinem Leben: Schauspieler, Dressman, Straßenbauarbeiter, Jurastudent. Heute ist er erfolgreicher Autor und Reporter - und hauptberuflich unterwegs. Neben seiner Kindheit mit einem gewalttätigen Vater und Reisen durch fast alle Teile der Welt schreibt er vor allem über eins: Begegnungen. Seit September gibt es sein neues Buch Morning has broken.
Bohema: Wie entscheidest du eigentlich, wohin deine nächste Reise geht?
Andreas Altmann: Reden wir nur von den Reisen, über die ich dann schreiben und ein Buch veröffentlichen will? Wenn ja, dann sind die Antworten ganz einfach: 1. Kenne ich die Gegend, das Land noch nicht? 2. Macht es mich an? Fühle ich mich hingezogen? Vermute ich, dass ich vor Ort Erfahrungen mache, die es wert sind, dass andere davon erfahren? Mit Ländern geht es mir wie mit Frauen und Männern. Bei den einen fühle ich, dass die mögliche Nähe viele Freuden, Einsichten und, vielleicht, auch Anstrengungen verspricht. Und bei anderen fühle ich das nicht. Wobei nie ausgeschlossen ist, dass ich mich irre.
B: Worum geht’s in Morning has broken? Warum dieser Titel?
A: Das ist eine Frage, ähnlich wie: „Wie bist du als Mensch?“. Ich vermute, auch darauf ließe sich schwer eine präzise Antwort liefern. Nun, ich will es einfach halten, denn der Untertitel des neuen Buchs muss unbedingt sein, sonst weiß der Mensch, der es lesen will, nicht, um was es geht, also: Morning has broken / Leben Reisen Schreiben, und die drei letzten Hauptwörter reichen, um eine Million Bücher zu schreiben. Es geht um Geschichten, die mit diesen drei Stichworten zu tun haben. Es ist ein Buch für Leute, die bewusst leben, die mit Begeisterung reisen und die haltlos Sprache lieben. Nee, das Reisen muss nicht sein, ich bekomme Mails von Leuten, die mir danken, weil ich die Strapazen auf mich nehme, und sie gemütlich im Schaukelstuhl davon lesen können. „Armchair travellers“, nennen sie in England diese Spezies. Jede und jeder, die/der mich liest, soll mir willkommen sein.
B: Du schreibst auch über deine Schlaflosigkeit. Geht das überhaupt, nur ein paar Stunden pro Nacht wegzudösen und dann aufnahmefähig zu sein?
A: Ich glaube, das ist genetisch, die einen Körper kommen damit besser zurecht, die anderen weniger. Zudem gibt es Zeiten, da packe ich tatsächlich fünf Stunden und bin bestens für den Tag gewappnet. Ja, es bleibt ein großes Geheimnis: Der Leib ist todmüde und will nicht schlafen, irgendwie unheimlich.
B: Wie sieht ein typischer Tag für dich aus? Gibt es bei dir überhaupt so etwas wie Alltag?
A: Natürlich gibt es den. Wichtig nur, dass man ihn einigermaßen sinnlich – alles, was die Sinne anspricht – gestaltet. Schreiben ist Maloche und ein Buch schreiben schwere Maloche. Das heißt, eine Struktur muss her. Ich bin Handwerker, also jeden Morgen ran an die Werkbank, die Schlachtbank, den Schreibtisch. Und Ausschau halten nach Wörtern und Sätzen, die passen.
Ich habe keine Visionen, mich überkommt nichts, ich muss mir jeden Buchstaben aus dem Hirn zerren.
Zwischen 14 und 15 Uhr bin ich leer, pleite, nichts mehr im Kopf. Dann beginnt das leichtere Leben: ins Café gehen und lesen, denken, sinnieren, abends Besuch empfangen oder ab ins Kino oder mit Freuden in einem Restaurant hocken. Plus gewiss ein paar andere Tätigkeiten, die man besser für sich behält. Ich kann beides, ich kann gut allein sein und ich kann mich in (intelligenter) Gesellschaft amüsieren.
B: Wie ist es für dich, so viele persönliche Geschichten mit der Öffentlichkeit zu teilen?
A: Das ist eine delikate Frage und die Antwort muss komplex sein. Über sich schreiben kann zu unvorstellbar peinsamen Ergebnissen führen. Weil entweder eine Elendsjeremiade zum Vorschein kommt oder man eine Hagiografie abliefert, eine Heldenprosa, in der der Schreiber oder die Schreiberin als “Master of the Universe” unterwegs ist. Wichtig wäre somit Ironie, noch wichtiger Selbstironie: sich nicht aufplustern, nicht aufblasen, am besten den Spruch von meinem Zenmeister beherzigen:
„Just stay fucking normal.“
Doch bevor es zum ersten Satz kommt, sollte man sich zuerst darüber klar werden, ob die persönliche Geschichte „bemerkenswert“ ist, ob es Leute geben könnte, die sie interessiert. Schon da fängt die Selbstüberschätzung an, weil manche glauben, dass jeder Furz in die Welt hinaus muss. Nein, muss er nicht. Ich, als Leser, will immer etwas lernen beim Lesen, etwas von der Welt erfahren, etwas von meinen acht Milliarden Nachbarn und Nachbarinnen.
B: Normalerweise stellst du als Reporter die Fragen. Was sind deine Tricks, damit dir Menschen von sich erzählen wollen?
A: Der erste „Trick“ geht so: mich (fast) nie als Reporter präsentieren, mit dickem Notizblock und drei Kameras vor dem Bauch. Nein, ich bin einfach ein Typ, der zufällig vorhanden ist, ein Zuschauer, ein Neugieriger.
Und dann versuche ich das, was ich in Japan von den Geishas gelernt habe, das „ii kimochi“ herzustellen, das „schöne Gefühl“, sprich, die Person, an die ich ran will, zu entspannen. Mit Sprache, mit sanfter, freundlicher Stimme. Ich glaube, nein, ich weiß, dass viele Frauen und Männer – wenn sie „offiziell“ befragt würden – entweder ungut übertreiben oder verstummen, das Gespräch ablehnen, weil sie fürchten, dass das Gesagte ihnen vielleicht schaden könnte. Hier ein paar Zeilen aus dem neuen Buch, aus dem Kapitel Beruf Reisen: 82 Behauptungen, es passt:
“Als Kind war ich immer fasziniert von katholischen Priestern, die Frauen und Männern die Beichte abnahmen. Nicht, dass ich eine Sekunde geglaubt hätte, dass ein Wildfremder anderen Wildfremden ihre Sünden vergeben könnte, nein, es schien mir einfach ein ungeheures Privileg, sie dazu zu bringen, ihre Geheimnisse und Heimlichkeiten preiszugeben. Inzwischen bin ich selbst Beichtvater geworden, eben Reporter. Nur ohne Anmaßung. Auch muss niemand vor mir niederknien, im Gegenteil, meist biete ich einen Stuhl und ein Essen an. Und mich, einen Zuhörer, wie man einen aufmerksameren nicht finden wird. Dafür – was für ein Geschenk – öffnet der Mensch sein Herz.”
B: Und wie machst du dir unbemerkt Notizen?
A: Indem ich meinem Gedächtnis Muskeln verschaffe. Und irgendwann eine Blasenentzündung vortäusche, so dass ich hinter verschlossener Toilettentür schnell ein paar Stichwörter kritzeln kann.
B: Was würdest du heute anders machen als früher?
A: Ich habe den Chanson „Je ne regrette rien“ von Edith Piaf nie verstanden, wie alle anderen Damen und Herren auch nicht, die nichts in ihrem Leben bereuen. So ein Standpunkt hat etwas Eitles, etwas Unfehlbares. Natürlich bereue ich gewisse Worte und Taten. Vor allem Fehler, verbal oder als Handlung, die sich wiederholen. Obwohl ich schon vor vielen Jahren begriffen hatte, dass das und das falsch war und ich dennoch das und das penetrant wiederhole. Weil ich schwach bin, abwesend, nicht konzentriert. Sätze, die Schmerzen verursachten, Handlungen, die ich heute eher als spießig und kleinlich erkenne. Oder das Fehlen von Großzügigkeit, von Nachsicht, von Mitgefühl.
Neue, originelle Fehler sind durchaus willkommen. Aber die alten, sie sollen aufhören.
Und, auch wahr, von manchen Irrtümern habe ich mich verabschiedet, dann überkommt mich das bravouröse Gefühl, dass ich wachse, dass ich nicht stehenbleibe.