„Nicht Größe spielen, sondern groß sein.“

Warum gehen wir ins Theater? Regisseurin Azelia Opak liefert im Gespräch ein Plädoyer für die Liebe zum Text, den Pathos und die Verzweiflung.

Coriolanus /// Julia Kampichler (c)

Seit gut einer Woche läuft das Theaterfestival ‚Europa in Szene‘ in den Kasematten in Wiener Neustadt. Neben dem Format ‚Reden!‘, bei welchem Schauspieler*innen historische und zeitgenössische Reden performen, wird u. a. Shakespeares Coriolanus auf die Bühne gebracht. Vor der Premiere ihres Stücks sprachen wir mit der jungen Wiener Regisseurin Azelia Opak über ihren Weg zu klassischen Stücken, Missstände und Chancen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft.

Bohema: Du hast kürzlich deinen Abschluss in Regie am Max-Reinhardt-Seminar gemacht. Wie angespannt bist du momentan, so kurz vor der Premiere?

Azelia: Ich bin ja schon länger im Beruf und habe auch schon meine Arbeiten öffentlich gezeigt. Mit 16 habe ich angefangen zu assistieren und bin ein wenig im Theater aufgewachsen. Und ich hab‘ schon immer groß geredet, aber jetzt kommt’s halt drauf an. Hätte man mir als 18-jährige gesagt, dass ich mit solch einer Ernsthaftigkeit am Max-Reinhardt-Seminar studieren und dann nach meinem Abschluss einen klassischen Text inszenieren würde, vor allem solch ein politisches Stück, ein Kriegsstück, ein Männerstück, dann wäre ich vermutlich ausgerastet.

B: Warum genau Coriolanus? Du scheinst dich schon länger mit diesem Stoff beschäftigt zu haben. Was reizt dich so sehr daran?

A: Das werde ich oft gefragt, da es eines der unbekanntesten und auch problematischsten Stücke von Shakespeare ist. Ich habe immer die einsamen, skandalösen Männerfiguren gehabt, gegen die sich die Welt verschworen hatte und die eine starke Beziehung zu einer Frau haben. Nach Heimito von Doderer und Thomas Bernhard wollte ich etwas machen, was nicht österreichische Dramatik ist, aber trotzdem eine besondere Beziehung zur Geschichte dieses Landes hat. Und mich interessieren vor allem Stücke, die eine Beziehung zum Nationalsozialismus haben, also die entweder zu jener Zeit gehyped oder dämonisiert und geächtet worden sind. Diese Stücke eigne ich mir dann an.

B: Populismus ist eines der zentralen Themen bei Coriolanus und im Begleittext zum Stück ist zu lesen, dass die moralische Bewertung der Wahl der politischen Mittel dem Publikum überlassen wird.

Azelia: Das ist eigentlich das Interessanteste für mich, also die Frage: Welche Kunst will ich machen? Will ich die Gesellschaft korrigieren? Will ich die Figuren therapieren? Will ich meinen Vorschlag zeigen und vorgeben, wie etwas gemacht gehört? Oder will ich der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und nicht die Geschichte kommentieren, sondern die Geschichte erzählen? Heute wird uns wieder bewusst, dass Dinge wie Krieg und Korruption etwas Urmenschliches und Existenzielles sind und leider auch allgegenwärtig. Die Figuren in klassischen Stücken sind viel komplexer, als dass man ihnen irgendwelche politische Schablonen aufsetzen könnte. Ich habe auch meine Werte, aber hauptsächlich geht es darum zu sagen:

Diese Welt ist komplex, viel komplexer als man denkt.

B: Damit schaffst du eine Bühne für die Fragen selbst und den Raum für die Auseinandersetzung mit den großen Fragen. Wie positionierst du dich dahingehend?

A: Mir liegt es da mehr am Text an sich. Ich lass mich da auch nicht von irgendwelchen Marketingstrategien missbrauchen. Gerade in der Theaterbranche, wo mich Leute schnell durch meine Biografie in eine bestimmte Kategorie drängen wollen, will ich eher sagen: ‚Kommt in meine Stücke und seht, wie eine Geschichte erzählt wird, in aller Vielschichtigkeit, in aller Größe an Dimension und Sprache. Ich gebe euch diese Überschaubarkeit, diese Übersichtlichkeit gar nicht, denn ich bin ja auch nicht die eine Wahrheit.‘ Eigentlich ist es das, was die alten weißen Männer schon immer im Theater gemacht haben. Und wir verkaufen uns meist im Gegensatz dazu mit nur einem Aspekt. Dass ich mir diese Freiheit jetzt als junge Frau nehme, das hat mich natürlich auch zehn Jahre Emanzipation in diesem Beruf gekostet.

B: Wie kamst du dann letzten Endes zu den klassischen, vermeintlich konservativen Stücken?

A: Manchmal fühle ich mich auch sehr einsam in dem, was ich da mache. Ich habe auch stark in der postdramatischen und postmigrantischen Szene gearbeitet, aber dann kam der Moment, in dem ich mir dachte: ‚I wanna play with the big boys.‘ Die Leute sind schockiert, wenn ich den Vater von Strindberg mache, aber würden es lieben, wenn ich eine persönliche Geschichte machen würde, mit orientalischem Vater usw., dann können sich mich nämlich wieder verkaufen und vermarkten. Aber mich interessieren klassische Texte tatsächlich sehr. Gerade weil ich diese politisch-moralischen Inhalte so radikal wie möglich erzählen will.

Es wird oftmals ein Skandal über die Stücke drüber gestülpt, obwohl ein viel interessanterer, tieferer Skandal in den Stücken selbst liegt

Und das sollte im deutschsprachigen Raum wieder in den Fokus rücken. Kunst ist Verstörung, Irritation. Das Wesen eines Künstlers ist nicht jemand, der die Welt verstanden hat, um Gottes Willen bitte, dann geh‘ in die Politik und mach‘ es besser. Es ist die komplette Verzweiflung, eine Seuche, wie Bernhard es beschreiben würde, eine Krankheit. Solche Leute braucht es auch in der Regie.

“Man muss das Theater lieben” /// Julia Kampichler (c)

B: Und was macht für dich den besonderen Reiz von klassischen Texten aus?

A: Man muss das Theater lieben und vertrauen. Wir begreifen durch das Theater Dinge glasklar, weil die Dimensionen so hoch sind, weil Bedingungen und Sehnsüchte der Figuren so überdimensional beschrieben werden. Ich habe den Eindruck, dass man heutzutage keinen Mut mehr zum Radikalen, zum Pathetischen, zum Drüberschießen hat und das finde ich extrem schade. Wir fühlen uns nur noch wohl, wenn wir ins Theater gehen. Deshalb mache ich diese Stücke. Manche denken sich, sie ist konservativ und macht den nächsten Shakespeare, aber das stimmt halt nicht. Wir sollten uns von dieser Korrektur, von dieser Verharmlosung, von dieser Abstumpfung entfernen.

Man kann klassische Stücke nicht machen, ohne sie ins Hier und Jetzt zu setzen, ansonsten hat man nur einen Staubfetisch. Doch das erfordert ein Handwerk, eine Schauspielerin dahin zu führen, dass diese Texte so greifbar sind, dass sie so authentisch und selbstverständlich erscheinen und ich mir denke: Sie ist wirklich so, sie denkt so, sie spricht so, das ist ihre Sprache, das ist ihr Streben. Also nicht Manipulation spielen, sondern manipulieren. Nicht Größe spielen, sondern groß sein. Das ist der Knackpunkt im Umgang mit klassischen Texten und so wird alles plötzlich frisch.

B: Danke Azelia! Alles Gute für die Premiere!

Coriolanus - Bis zum 16. Oktober beim Festival Europa in Szene

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