„Optimismus halte ich für lebensgefährlich.“

Seit gut zehn Jahren mischt Barbi Markovic mit ihren Romanen, Theaterstücken und Kurzgeschichten die deutschsprachige Literaturszene auf. Mit einem Thomas Bernhard Remix bekanntgeworden, gilt sie heute als eine der gewitztesten Autor*innen Österreichs. Bohema hat sie zum Gespräch getroffen und überraschende Antworten bekommen.

Barbi Markovic signiert ihren Roman Superheldinnen /// Anna Wiesner (c)

Bohema: Barbi Markovic, ich überfalle dich gleich zu Anfang mit einer poetologischen Frage. Du hast in einem Interview das Schreiben als „Kampf mit der eigenen Unzulänglichkeit“ beschrieben. Wie kann man das verstehen?

Barbi Markovic: Sehr eloquent für meine Verhältnisse (lacht). Schreiben hat den Vorteil gegenüber anderen Ausdrucksmöglichkeiten, dass man die Chance hat, in das Geschriebene zurückzugehen und es besser zu machen. Zu korrigieren, anders zu formulieren. Zweitens ist es schon auch ein Kampf, weil man dauernd dem ausgesetzt ist, was man nicht kann.

B: Beim Sprechen fühlst du dich unzulänglicher?

M: Ja. Aber egal in welchen Sphären meines Geistes ich mich bewege, ich habe immer ein bisschen das Gefühl: Das ist nicht toll, aber irgendetwas mache ich schon daraus. Das war glaube ich damit gemeint...

B: Im Roman Superheldinnen schreibst du von „von Teer überzogenen Untiefen unserer pessimistischen Seelen“. Eine geniale Formulierung. Bist du eine Pessimistin?

M: Es freut mich, dass dir der Satz gefällt. Ich mag ihn auch sehr gerne, dachte aber immer, dass er zu lang sei und die Menschen ihm gar nicht zuhören würden. Ich bin auf jeden Fall keine Optimistin. Optimismus halte ich sogar für lebensgefährlich. So ein bisschen das Schlechte anzudenken, und dann ist das Leben besser als das, das ist immer wieder meine Strategie.

B: In deinen Büchern wird bis zur Übertreibung geschimpft und die Boshaftigkeit gefeiert. Ist die Wut auch so etwas wie ein Umgang mit dem Pessimismus?

M: Der Pessimismus ist ein Zustand. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt versuche, mit ihm umzugehen.

Die Wut hat verschiedenste Gründe.

Zum Teil ist es auch eine stilistische Wut, weil ich das literarisch schätze. Die Tiraden, das Graben in den Tiefen...

B: Womit wir bei Thomas Bernhard angelangt wären. Du wurdest mit einer Bernhard Adaption von Gehen als Schriftstellerin bekannt. Aber nicht nur in Ausgehen sind deine Bernhard- Bezüge allgegenwärtig, sie ziehen sich durch dein gesamtes Werk. Was fasziniert dich so an diesem Autor?

M: Inzwischen denke ich nicht mehr so oft an Bernhard, außer wenn ich eingeladen werde, über ihn zu sprechen, in irgendwelchen seltsamen Kontexten (lacht). Ich habe gegenüber der Person Bernhard nie Verehrung verspürt, aber die Texte haben mich tatsächlich fasziniert, weil einiges davon meinen Geschmack zu treffen scheint: Tragisch-komische Übertreibungen und Tiraden. Mit Ausgehen bin ich damals in die Bernhard-Schule gegangen und habe gleichzeitig Deutsch gelernt. Thomas Bernhard war also mein Deutschkurs, er war die erste Sprache auf Deutsch, die ich hatte. Mittlerweile gehe ich vom Bernhard-Duktus wieder weg. Aber sicher ist einiges davon geblieben und einige Elemente von diesem Geschmack sind immer noch wesentlich.

B: Deine Erstsprache ist Serbisch. Tanja Maljartschuk hat unlängst gemeint, dass sie das Schreiben auf Deutsch zum klaren Denken zwingt, weil sie im Vergleich zu ihrer Erstsprache nur aus einem kleineren Wortschatz schöpfen kann. Kennst du dieses Gefühl?

M: Das kann sein. Ja, das habe ich auch schon von Beckett gehört. Aber ich habe lange nicht auf Serbisch geschrieben.

B: Wieso nicht?

M: Ich lebe in der österreichischen Literaturszene und schreibe für diesen deutschsprachigen Rahmen.

B: Also rein pragmatische Gründe?

M: Ja. Sprache ist für mich nur ein Werkzeug. Ich spiele das, was bestellt worden ist.

B: Du erteilst in deinen Büchern dem kapitalistisch-österreichischen Leistungsmythos à la Sebastian Kurz eine Absage, demnach man sich nur genug bemühen müsse, um es zu schaffen. Ist Leistung trotzdem auch eine Kategorie, in der du denkst?

M:

Der Leistungsmythos ist eine Lüge, unfair, unsolidarisch und unsympathisch.

Aber ich habe schon sehr viel persönlichen Ehrgeiz. Ich bin auf verschiedenen Niveaus auch infiziert vom Leistungsdenken, zum Beispiel vom Geniedenken seit ich klein bin.

B: Du wolltest ein Genie sein?

M: Ja, unbedingt. Das fand ich immer toll. Das nehme ich inzwischen nicht mehr so ernst, aber sicherlich ist etwas davon geblieben. Bemühen ist aber auch nicht das gleiche wie leisten. Ich bin eher für das Bemühen, so sehr man kann, für eine Sache, die man machen will. Aber Menschen nach ihrem Beitrag zur Wirtschaft zuzuordnen, da scheine ich stark dagegen zu sein.

B: Meine Generation, die rund um die Jahrtausendwende geboren wurde, ist jedenfalls eine, die panische Angst davor hat, ihre Zeit zu „verscheißen“. Die Optimierung unserer Lebensläufe hat schon im Kindergarten begonnen. Nun heißt dein zweiter Roman Die verschissene Zeit. Wie sehr unterscheiden sich die jugendlichen Protagonistinnen im Buch von meiner Generation?

M: In diesem Roman geht es um eine gesellschaftliche Schicht. Um Menschen aus der gleichen Generation, die in der gleichen Sauce schwimmen. Plötzlich war es wichtig geworden, von der Wiege an organisiert zu sein und einen klaren Plan zu haben. Nur haben sie ihre Jugend ganz anders verbracht und sind später kalt erwischt worden.

B: Deine Protagonist*innen müssten also – um es mit deinen Worten zu sagen – „Powerpointleben vorweisen können“, um zu bestehen?

M: Genau. Das war damals (im Belgrad der 90er Jahre) nicht verlangt und zum Teil auch nicht möglich.

B: Spürst du das auch für dich?

M: Ja, ich habe das hin und wieder gespürt. Mittlerweile habe ich mir aber ein Vorzeigeleben eingerichtet, ich könnte gut auf Powerpoint präsentieren, was ich in den letzten Jahren gemacht habe (lacht).

B: Beruhigt das? Oder stresst es?

M: Es beruhigt auf eine komische Art und Weise.

Aber ich lebe ein stressiges Leben.

B: Zu deinem Roman Die verschissene Zeit gehört auch ein von dir entwickeltes Gesellschaftsspiel. Welche Parallelen gibt es zwischen Gesellschaftsspielen und der Literatur?

M: Das Spiel war nicht als Allegorie oder Parallele gemeint. Es hatte praktische Gründe und ist viel grundlegender. Es ist das Material, auf dem der Roman basiert. Eine Maschine, aus der der Text entstanden ist. Eins ist klar: Man spielt viel zu wenig mit Spielen in der Literatur, da ist noch einiges zu holen. Spielmechanismen, Inhalte und Dynamiken sind sehr interessant fürs story telling. Damit möchte ich mich in der Zukunft noch mehr beschäftigen.

B: Wie kann ich mir das vorstellen?

M: In meinem Fall: Die Menschen sind im Zuge des Rollenspiels mit mir in die Erinnerungswelt der 90er Jahre, in eine Kindheit in Belgrad eingetaucht. Und aus dem Rollenspiel ist ein Drittel der Handlung des Romans entstanden. Die Handlung wurde also kollektiv erfunden und ist anderswo hingegangen, als ich es alleine hätte schreiben können. Inzwischen mache ich immer wieder solche Versuche.

B: Deine Texte fallen unter anderem auch durch die gegenderte Sprache auf. Etwas, das in literarischen Texten bisher selten ist. Die Schriftstellerin Eva Menasse etwa hat die gendergerechte Sprache als „pseudokorrekte Inquisition“ bezeichnet. Wie ist deine Haltung diesbezüglich?

M: Ich habe keine fixe Meinung dazu. Auch weil sich die Sprache noch nicht auf eine Lösung festgelegt hat. In den Superheldinnen habe ich an den Stellen gegendert, an denen es mir mein Gefühl gesagt hat, manchmal habe ich es auch übersehen, weil ich offenbar in meinem eigenen Sprachgebrauch noch nicht so weit bin. Bei der verschissenen Zeit war es ganz wichtig zu gendern, da wirkt es auch nicht ganz natürlich, denn es passt nicht zu der Zeit. Ich habe es absichtlich zum Extrem geführt, als Statement, weil ich eine Geschichte aus der Perspektive der Leute erzählen wollte, die normalerweise in der Geschichtsschreibung nicht zu Wort kommen. Hätte ich sie im Buch nicht sichtbar gemacht, ginge es wieder nur um Männer, Macht und Mafia. Ich wollte uns kleine Leute – mit Sternchen und -innen – sichtbar machen.

B: Und was würdest du Menschen entgegenhalten, die meinen, dass das Gendern die literarische Sprache zu sehr hemme.

M: Ich habe das Gefühl, dass so eine Aussage sehr normativ wäre und das liegt mir nicht. Aber andere können tun, was sie wollen. Und dann können wir darüber nachdenken, wie es wirkt.

Aber ich für mich fühle zumindest die Verantwortung darüber nachzudenken, ob man auch in der Literatur gendern kann und soll.

B: Wie sieht ein Barbi-Markovic-Schreibtag aus?

M: Schreiben ist eine Ausdauerübung. Zum Teil beginne ich wie in einem Büro in der Früh am Schreibtisch und tippe, dann verlagert sich das Ganze auf die Couch und ich schreibe in ein Heft. Dann kann ich auch das nicht mehr und gehe spazieren, spreche währenddessen in ein Handy. In Wirklichkeit versuche ich alles, damit ich möglichst viel an einem Tag schaffe. Egal wie.

B: Bist du also permanent damit beschäftigt, alles das, was du siehst und machst aus einer Beobachterinnenposition heraus zu tun, um es später aufschreiben zu können?

M: Zum Glück passiert es mir automatisch, dass ich das, was ich erlebe, speichere. Manchmal, wenn ich auf Reisen und alleine bin, bin ich im Beobachtermodus. Ansonsten bin ich eigentlich nicht fähig, mich aus der Kommunikationssituation mit Menschen rauszunehmen. Meine Hauptarbeit liegt eigentlich weniger im Beobachten als im Verbinden.

B: Apropos verbinden: Du arbeitest in den Superheldinnen viel mit Zitatcollagen, zum Beispiel mit Werbesprüchen und Straßenschildern. Wie kommen solche Versatzstücke in deine Literatur hinein?

M: Ich gehe lesend herum und finde vieles absurd. Der Ausgangspunkt bei Superheldinnen war ein konkretes Projekt, im Zuge dessen ich Städte abgeschrieben und sie dann miteinander verglichen habe. Irgendwann hatte ich wahnsinnig viel Material, das nach einer Geschichte gedrängt hat. Es schrie natürlich nach Kapitalismuskritik, denn die Kritik lag in den Texten selbst, weil es so absurd ist, was uns da erzählt wird. Damals habe ich also vieles auf den Straßen gelesen, heute bin ich leider kurzsichtig und sehe nicht mehr so gut (lacht).

B: Gibt es eine Stadt, die dir in dieser Hinsicht besonders ins Auge gefallen ist?

M: Der Vergleich war eigentlich das Interessante daran und die kleinen Kommunikationssituationen, die aus diesem Abschreiben entstanden sind. Ich habe mit Graz begonnen, wo ich Stadtschreiberin war, und wo ich diesen Titel wortwörtlich genommen habe. Sobald ich dort z.B. vor einem Laden etwas aufgeschrieben habe, sind sofort Menschen gekommen, die beunruhigt waren.

Und in jeder Stadt war für mich eigentlich das Spannendste, wie man mit Tauben umgeht, die ja jede Stadt bekämpft.

Auf welche Art das passiert, sagt so viel über die dortige Gesellschaft aus.

B: Das überrascht mich.

M: Die einen sagen beispielsweise: Wir vergiften die Tauben. Während die anderen das Füttern der Tauben bestrafen. Und auch Mülltonnen sind sehr interessant. In Graz, Wien und Berlin haben wir sprechende Mülltonnen. „Host an Tschick“ in Wien. „Gib Gummi“ in Berlin. Das kann sehr lustig und aufschlussreich sein.

Zum Schluss noch kurz gefragt:

B: Café Sette Fontane im 5. oder Café Eiles im 8.?

M: Sette Fontane!

B: Träumen auf Serbisch oder Deutsch?

M: Keine Ahnung. Ich träume, aber ich könnte dir nicht sagen, auf welcher Sprache.

B: Aus Verzweiflung lachen oder heulen?

M: Beides.

B: Satire oder Lovestory?

M: Überraschenderweise Liebesgeschichte. Ich mag das Wort Satire nicht. Es wirkt so, als wäre der Spaß dabei nicht Ernst.

B: Im nächsten Leben: Superheldin oder Millionärstochter?

M: Superheldin. Wäre vermutlich aber schon praktisch, Millionärstochter zu sein, dann könnte ich mein Geld teilen. Wobei: Man weiß nicht, ob man es dann auch täte. Auf Serbisch gibt es das Sprichwort: Wenn das Gehirn zum Verkauf stünde, würde jeder sein eigenes wählen. Man kennt nur das, was man selbst ist.

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