Pieces of a Woman – Verhandlung der Frau

Vanessa Kirby und Shia LaBeouf brillieren im Drama um eine Frau, die mit einer familiären Tragödie klarkommen muss

Foto: Benjamin Loeb, Pieces of a woman/NETFLIX, © Pieces Film, Inc.

Foto: Benjamin Loeb, Pieces of a woman/NETFLIX, © Pieces Film, Inc.

Vorsicht: Einige Punkte in diesem Review enthalten Spoiler

Die Vorbereitungen laufen. Das Familienauto ist gekauft. Die Karenz beginnt. Es kann sich nur mehr um Tage handeln. Doch als dann die Wehen tatsächlich einsetzen und die Fruchtblase platzt, kommt es doch anders. Die erwartete Hebamme für die Hausgeburt kann nicht kommen und schickt stattdessen eine Vertretung (Molly Parker). Zunächst scheint es glatt zu gehen, und das neugeborene Kind sieht seine Eltern durch seine blauen Augen an. So blau wie die sich verfärbende Haut des Kindes…

Die folgenden Monate zeigen bruchstückhafte Ausschnitte aus dem Leben von Martha (Vanessa Kirby) und Sam (Shia LaBeouf), die nun mit dem Tod ihrer Tochter klarkommen müssen. Dabei wird meist nur ein Tag aus dem jeweiligen Folgemonat herausgenommen. Während die beiden in den Trümmern ihres gemeinsamen Lebenstraumes stehen, rückt die Gerichtsverhandlung um die Schuldfrage immer näher. Bedrängt von Verwandten (u.a. Ellen Burstyn), Ärzten und der eigenen Trauer, müssen sie einen Weg finden, ihr Leben weiterzuführen, auf die eine oder andere Art und Weise. Und wie ein Damoklesschwert hängt die herannahende Gerichtsverhandlung über den Figuren.

Die dritte Person im desolaten Raum

Pieces of a Woman basiert auf den wahren Erlebnissen von Drehbuchautorin Kata Wéber und Regisseur Kornél Mundruczó. Nach der Totgeburt ihres Kindes mussten sie auch einen Weg finden, weiterzumachen. Weber ging damals allein nach London, als therapeutische Maßnahme schrieb sie das Drehbuch zum Film. 

Die erste halbe Stunde der 126 Minuten ist intensiv. Nach ein paar aufbauenden Szenen wird die Hausgeburt in einer 17-minütigen Plansequenz gezeigt. Die Kamera ist generell nah bei den Figuren und sorgt für ein intimes Verhältnis. Am Ende dieser 17 Minuten ist man emotional fertig und braucht erstmal eine Pause. Und die gibt einem der Film auch. Die darauffolgenden Sequenzen zeigen den mittlerweile banal wirkenden Alltag der Figuren, und wie sehr sie gebrochen sind. Smalltalk und leichte Unterhaltungen werden zu einer Qual. Martha hat auch aufgehört, sich die Nägel schwarz zu lackieren, mit fortschreitendem Film blättert die Trauerfarbe immer mehr ab. Zusätzlich dazu ist auch die Wohnung in einem immer desolateren Zustand, die Pflanzen gehen ein. 

In der Zwischenzeit sind die Kameraeinstellungen teilweise so gewählt, dass nur Ausschnitte des Körpers, die buchstäblichen titelgebenden Bruchstücke, zu sehen sind.

Die harmonische Resonanz im Schauspiel

Manche Filme sind in erster Linie Schauspielfilme und leben vorwiegend von den Performances ihrer Darsteller*Innen. Pieces of a Woman zählt definitiv dazu. Vanessa Kirby gibt eine Powerhouse-Performance. Sie trägt nicht nur den ganzen Film, sondern hat einige Gänsehaut und Tränen-Momente. Ihre Darstellung ist ergreifend und mitfühlend, zurecht hat sie dafür den Schauspielpreis für das Venice Film Festival gewonnen. 

Aber auch ihre Co-Stars sind brillant. LaBeouf spielt spitze und gibt vermutlich eine der besten Darstellungen seiner Karriere ab. LaBeouf ist leider seit einigen Jahren für seine Skandale und Eskapaden bekannt. Vor allem um den Release des Filmes herum wurden Anschuldigungen um sexuellen Missbrauch durch seine Ex-Partnerin laut. (Wir von Bohema sprechen uns entschieden gegen derartiges Verhalten aus, trennen jedoch zwischen dem Schauspieler und der Privatperson.) Sein Monolog über Resonanz ist eines der zentralen Leitmotive des Filmes. Der Subtext seiner Worte durchzieht den gesamten Film, so kehrt der Film immer wieder zu einer im Bau befindlichen Brücke zurück, die Stück für Stück erweitert wird. Die Harmonie des Innen- und des Außenlebens ist es, die gesucht wird. Besonders tragisch macht seinen Monolog aber die Tatsache, dass er nicht an seine Frau gerichtet ist.

Zuviel des Guten aber ist der Subplot um Marthas Mutter (Ellen Burstyn). Diese ist zwar ein wichtiger Teil in der Handlung, vor allem in Bezug auf ihre komplizierte Beziehung zu Sam, aber die Erwähnung ihrer Holocaustvergangenheit ist doch etwas „too much“. Nicht falsch verstehen, die Rede ist großartig, und Burstyn verdient eine Oscar-Nominierung hierfür, aber es wird damit ein weiteres Fass aufgemacht, der Film ladet sich hier doch mehr auf seinen Teller, als er essen kann. 

Die Frucht der Erkenntnis

Die erbaute Brücke ist nicht die einzige Metapher im Film. Immer wieder kommen Äpfel vor, eine Metapher für Fruchtbarkeit. Zusätzlich dazu ist der Apfel auch die biblische Frucht der Erkenntnis, und wird mit dem Sündenfall durch die Frau in Verbindung gebracht. Es ist auch kein Zufall, dass die Hebamme, die das Leben schenkt, und vor Gericht landet, Eve heißt. Vor Gericht steht die Frau selbst. Und erst, wenn es Martha gestattet ist, angemessen zu trauern, kann sie auch ihre innere Resonanz finden und weitermachen. 

Pieces of a Woman lebt vor allem durch sein Schauspiel. Vanessa Kirby, Shia LaBeouf und Ellen Burstyn verleihen ihren Figuren viel Tiefe, bringen so dieses harte Drama den Zuschauer*Innen näher. Die Performances gehören sicherlich zu den stärksten im vergangenen Kinojahr. 

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