Das Anti-Streichquartett

Exzentrisches Quartett-Unikum von Strawinsky - Wie ein Clown und eine Prise Trotz jahrelange Tradition brechen können.

Foto: Wikimedia commons

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Igor Strawinsky: Der Mann, der es schaffte mit einer Generalprobe einen der größten Skandale der Musikgeschichte zu verursachen – und welcher stets mit einem Barett zu Bett ging, weil seine Paranoia vor Verkühlungen genauso groß war wie seine Stilsicherheit. Obwohl besagter Skandal sich auf sein (damals) schockierendes Ballett „Le sacre du printemps“ bezieht, ist dieser vielleicht Ursprung, aber nicht das Ziel unserer Aufmerksamkeit.

Wir begeben uns in das Jahr 1914: Mitten in seiner fruchtbarsten Ballettphase - skandalträchtig, erfolgreich, berühmt, exzentrisch – schreibt Strawinsky plötzlich drei kleine Klavierstücke für vier Hände. Vier Jahre später wurden diese als „Drei Stücke für Streichquartett“, auch die „Grotesken“ genannt, veröffentlicht. Zwar beließ er diese Miniatur-Suite namenlos, aber als er sie zehn Jahre später abermals in ein Orchesterwerk umwandelte, erhielten sie äußerst charakteristische Beinamen: „Danse“, „Excentrique“ und „Cantique“.

Sieben Minuten sarkastische Musikgeschichte

Wie wir sehen, befasste sich der gute Igor fast fünfzehn Jahre seines Lebens mit einem Werk, das nicht länger als sieben Minuten dauert. Sieben Minuten voller Bilder, Protest und einer saftigen Revolution zwischen Notenzeilen. Gut, das war sowieso das Leitbild seines Komponierens - warum ist dieser Aufstand also so besonders?

Strawinsky hatte sich bis dahin nie mit dem Genre des Streichquartetts beschäftigt, und tat es danach auch nie wieder. In den letzten Jahrhunderten hatte die Besetzung von vier Streichern einen immensen Status in der Repertoireliste eines jeden Komponisten erreicht, eine Sparte für das Feinste der Kammermusik. Die Höchste Form des Zusammenklangs und der Verschmelzung, erreicht durch Perfektion der Kompositionstechnik und Klangsprache; vier Streicher als Harfe Amors, die Welt mit Liebe füllend – bis Strawinsky auf gut Wienerisch sagte: „Drauf gschissn“. (Eine Eigeninterpretation, Strawinsky sprach zwar Deutsch, aber sicher kein Wienerisch.)

Kehren wir in das Jahr 1914 zurück: Unser Protagonist Igor besucht London und sieht sich eine Vorstellung des Clowns Little Tich an, ein Komödiant und Akrobat mit dem außergewöhnlichen Markenzeichen, Stiefel mit 71cm langen Paddeln zu tragen.

Anscheinend amüsiert sich der Komponist dermaßen, dass er kurz darauf besagtes Werk schreibt. Immer noch empört und gleichzeitig beglückt vom Aufruhr in Paris, beschließt er nicht nur einen Scherz, sondern den Snobs der Salonmusik auch einen Strich durch die Rechnung zu machen – mir drei kleinen Stücken:

„Danse“, eine Maskerade schlechthin, von russischer Volksmusik inspiriert. Auf den ersten Blick nur ein einfaches Jahrmarkts-Lied, doch brodelt unter der Oberfläche Spott eines Kalibers, dem ausschließlich Strawinsky gewachsen ist. Er setzt alles daran, die vier Streicher so weit wie möglich voneinander zu entfernen, als ob er vier Plexiglas-Wände zwischen sie stellen würde (eine nur zu aktuelle Metapher). Vertauschte Rollen, vertauschte Lautstärken und ein rhythmisches Muster, welches geordnet klingt, aber so willkürlich ist, dass es die Musiker ins schwitzen bringt – ein Meisterwerk der Verhüllung, eine kleine Hölle im Mantel einer einfachen Melodie.

Auf diesen wilden Ritt folgt ein noch wilderer: die „Excentrique“. Warum auch etwas Melodisches oder gar Harmonisches komponieren, wenn man auch pures Chaos und beißenden Sarkasmus haben kann? An „Petrushka“ erinnernd, inkludiert Strawinsky fast alle Klangeffekte die für Streichinstrumente möglich sind - stößt damit an die Grenzen des Machbaren. Wild, spontan und lustig, es klingt nach einem aufregenden Zirkus, der die Musiker in noch größere Verzweiflung bringt.

Höhepunkt des Zynismus und ein Schluss, der für Bescheidenheit keinen Raum lässt

Und wenn man denkt, es geht nicht mehr schlimmer – dann kommt das dritte Stück: der „Cantique“. Strawinsky war von sakraler Musik fasziniert; in diesem Fall ist es aber keine Faszination, sondern purer Zynismus, der ihn antreibt. Die erste Hälfte erinnert an einen Sermon. Der Pastor predigt im gleichgültigen Ton (fast zombie-mäßig) und wird immer wieder durch einen Antwortpsalm der Gemeinde unterbrochen. Sobald einem die Haare komplett vom Nacken abstehen und man denkt es nicht mehr aushalten zu können, wird man plötzlich mit der Erlösung beschenkt: Es sind die letzten 20 Takte, welche Strawinsky bescheiden als „eines der besten Materiale das je geschrieben wurde“ bezeichnet hat. Ein Heulen des Windes, welches uns in ein Nichts und eine eventuelle Existenzkrise führt.

Nach alldem kehren meine Gedanken zum „Danse“ zurück. Strawinsky entwickelt das Stück innerhalb der sieben Minuten nicht nur vom Spott zur Philosophie des Lebens, er nimmt auch selber eine Maske ab, zeigt sich verletzlich. Der Welt ausgeliefert, mit solch einer Reichweite, blieb ihm nichts anderes übrig als zum Zyniker zu werden – zum Schauspieler und Entertainer. Vielleicht blieb dieses Stück auch deswegen immer ein bisschen zwischen den Giganten der Musikliteratur vergraben, die seinen Händen entsprungen waren.

...oder es war im Endeffekt der gleiche Einfluss, welcher ihn dazu veranlasste sich selber „Strawhisky“ zu nennen.

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