Was auch war zu beklagen für sie, als dass sie geliebt war?

Portrait de la jeune fille en feu - Ein sagenhaftes Drama über Weiblichkeit und Liebe

Foto: Portrait of a lady on fire, Lilies films/IMDb

Foto: Portrait of a lady on fire, Lilies films/IMDb

Wieso lässt man eine Liebe fallen, die einen das ganze Leben lang hätte begleiten können? Dass Orpheus sich nach seiner Liebsten Eurydike umdrehte, mag wohl manch einer nicht verstehen. Dass ihr dadurch der Aufstieg in die Welt der Lebenden verwehrt und somit die Zweisamkeit der beiden von den Tiefen der Unterwelt verschluckt wurde, lässt auch wenig Verständnis für Orpheus letzten Blick über die Schulter. Aber was, wenn „er die Erinnerung an sie wählte und sich deshalb nach ihr umdrehte?“ Eine mögliche Antwort auf die Entscheidung des Liebenden gibt uns dieses Zitat aus dem 2019 erschienenen, französischen Spielfilm „Portrait de la jeune fille en feu“ (zu Deutsch : Porträt einer jungen Frau in Flammen), welcher als eine Neuerfindung der Sage von Orpheus und Eurydike zu verstehen ist.

Die Regisseurin Céline Sciamma präsentiert in ihrem Film eine gleichgeschlechtliche Liebesgeschichte im 18. Jahrhundert - eine Thematik, die wohl zeitlos ist. Die Porträtmalerin Marianne (Noémie Merlant), welche als Frau dieser Zeit ihren Beruf nur unter männlichem Pseudonym ausüben kann, wird von einer Gräfin (Valeria Golino) auf eine abgelegene Insel in der Bretagne gerufen, um dort eine Porträtzeichnung ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) anzufertigen. Da die Zeichnung für die ungewollte Heirat der Tochter entstehen soll, versucht Marianne Héloïse heimlich aus denen von ihren Spaziergängen gewonnenen Gedächtnisbildern zu zeichnen.

Als Betrachter kann man miterleben wie sich die anfangs noch verhaltene und verschlossene Héloïse, von ihrem Schicksal sichtlich verletzt, nach und nach öffnet. Innerhalb von wenigen Tagen verdichtet sich eine ambivalente Spannung zwischen Kunst und Liebe, sowie den beiden Frauen, die vielleicht gerade aufgrund des Ablaufdatums ihrer gemeinsamen Zeit eine so starke Bindung zueinander aufbauen.

Verpackt in fein ausgewählten Farbpaletten wirkt der Film wie ein Gesamtkunstwerk, welches passenderweise dazu einen Filmtitel im Stile der Beschriftungen von Gemälden trägt 

Die Kameraposition spielt mit Nahaufnahmen, die manch einen an Ingmar Bergmans „Persona“ erinnern werden. Wie ihrem Vorläufer Bergman gelingt es auch Sciamma mit solchen Close-Ups nicht nur eine Intimität zwischen den zwei Frauen zu schaffen, sondern auch eine zwischen ihnen und dem Betrachter. In den Szenen der malenden Marianne vermitteln diese Detail-Shots eine erlaubte, beinahe gewünschte Anwesenheit des Betrachters. Die eigenen Augen dürfen hier jeden einzelnen Pinselstrich mitfühlen, mitverfolgen und mitzeichnen.

Neben dem Dienstmädchen Sophie (Luàna Bajrami) und der Mutter sind die Geliebten im Grunde genommen die einzigen Akteurinnen dieses Films. Diese starke, präsente Weiblichkeit in der begrenzten Zahl der Darsteller paart sich mit wenigen Schauplätzen, was den historischen Hintergrund des Films deutlicher werden lässt.

Ein Handlungsstrang, ein Handlungsort, ein Handlungszeitraum – die dominierenden, aristotelischen Einheiten des Theaters im 18. Jahrhundert

Die Regisseurin treibt die Art des geschlossenen Dramas mit dem bewussten Absehen von Filmmusik auf die Spitze. Umso mehr berührt den Betrachter folglich ein Ausschnitt aus Vivaldis 'Vier Jahreszeiten', welcher sich in der entsprechenden Szene perfekt in seiner musikalischen Gänze entfalten kann. Abgesehen von Wasserrauschen und Feuerknistern, welches – so ambivalent es auch klingen mag – als eine perfekte Symbiose zwischen Héloïse (Wasser) und Marianne (Feuer) symbolisiert werden kann, legt das Geschehene jedoch Wert auf seine geräuscharme Erscheinung und überlässt dem Film so die emotionale Wirkung.

So still das Äußere des Films auch scheinen mag, so sorgsam und rar ausgewählt die Dialoge geführt werden, so laut ist das, was der Film in dem Betrachter auslöst. Gefangen in diesem Gefühl hält die Auseinandersetzung mit dem Erlebtem noch lange an. Ganz gleich, ob das Reflektieren von Sinneseindrücken, das dringende Bedürfnis nach Antworten und Alternativen der Sage von Orpheus und Eurydike oder etwas ganz anderes, irgendetwas wird der Film jedem mit auf den Weg geben.

Manche Kunstwerke können ihren Betrachter daran erinnern, wie schmerzhaft schön, bereichernd und ewig eine Liebe sein kann. „Portrait de la jeune fille en feu“ ist zweifelsohne eines dieser Kunstwerke – auf das man gerne zurückblickt.

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