Salzburger Superfrauen

Die Salzburger Wundercellistin Julia Hagen und Wahlsalzburgerin Mirga Gražinytė-Tyla bewiesen im Konzerthaus mit Saint-Saëns und Schumann, dass ihre Heimatstadt musikalisch deutlich mehr als Mozartwahn und die teuren Festspiele bietet.

Foto: Wikimedia Commons

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Julia Hagen hat mich mit ihren Cellokünsten schon bei ihrem Auftritt im Eröffnungskonzert nach dem Lockdown sehr überzeugt, wobei ich nach so langem Entzug wahrscheinlich auch von der erstbesten Passant*in am Käseschlagzeug ziemlich angetan gewesen wäre. So hörte ich besonders gespannt auf ihren ersten markanten Triolenlauf, mit dem nach einem kurzen Orchesterakkord Camille Saint-Saëns‘ Cellokonzert-Hit startet.

Ja, sie ist tatsächlich großartig

Um es kurzzufassen: Ja, sie ist tatsächlich großartig. Etwas länger und à la Kritiker: Sie ist technisch brillant, auch die wirklich fordernden Doppelgriff-Läufe sowie die mindestens so schweren künstlichen Flageoletts waren sauber und rhythmisch makellos. Zudem entlockte sie ihrem wunderhübschen Barockcello einen golden-warmen Klang (leuchtend Goldbraun, das schrieb ich in mein schlaues Notizheftchen und merkte erst später, dass ich damit genau die Farbe ihres Instruments mit ihrem Klang assoziiert hatte... da ist noch Luft nach oben Herr Kritiker...), den sie aber geschickt variierte bis hin zur metallisch-hellen A-Saiten-Power.

Bei der Reprise des Eröffnungsthemas am Ende des Stückes, das offiziell ein ganz langer zusammenhängender Satz ist (sich in Wahrheit aber doch recht klar in klassische Abschnitte teilen lässt) legte Hagen das letzte bisschen Bravheit ab. Sie warf ihre Haare wild um sich und hatte nicht die kleinste Mühe, sich gegen das spielfreudige Orchester durchzusetzen, das zu Beginn ungern ins leiseste Piano zurückging. Eine dramaturgisch sehr wirksame Steigerung vonseiten Hagens, die aber die Frage zulässt, ob sie vielleicht schon früher etwas mehr Gas hätte geben können. Vielleicht tat sie das ja beim zweiten Konzert des Abends um 20:30.

Filigrane Nachtigallsklänge aus dem Cello

Nicht, dass sie vor dem Finale nicht toll gespielt hätte. Besonderes Highlight: Als sie für wenige Sekunden ganz ohne Orchester in einem glasklaren Pianissimo vogelgesangähnliche Feinheiten von sich gab. Nachtigallen müssten so filigran singen, aber was weiß ich schon von Nachtigallen... Am Schluss klatschten wir fleißig und bekamen dafür unseren Lohn: die Sarabande aus der ersten Cellosuite von Bach, der Bibel aller Cellist*innen. Dieses göttliche kleine Stück (ich kenne nur eine schönere Sarabande, die aus der 2. Suite) kann man mit viel Pathos, langsamen, langgezogenen Doppelgriffen spielen, wie Mischa Maisky, und das Ergebnis wird toll sein. Es funktioniert aber ebenso gut à la Hagen: Ihre Version war eine luftige, helle Architektur wie aus Glas, mit tänzerisch-virtuosen Verzierungen bei der Wiederholung.

Im zweiten Teil durfte das Mozarteumorchester mit Schumanns 2. Sinfonie zeigen, was es draufhatte. Und es hatte einiges drauf: Trotz der nicht bombastisch großen Besetzung brachten die Salzburger*innen mit dem hammergeilen ersten Satz den ganzen Saal zum Vibrieren. Mirga Gražinytė-Tyla, eine kleine dünne Frau (kaum einen Kopf größer auf einem höheren Podest als die sitzende Hagen) hatte eine unglaubliche Präsenz und die Musiker*innen voll im Griff, trieb sie mit elegant-expressiven Bewegungen an. Im Scherzo (12:13) waren die schnellen Läufe zwar nicht ganz klar, das machte das Orchester aber mit strahlender Freude wett.

Seine 2. Sinfonie (chronologisch eigentlich die 3.) schrieb Schumann in einer Zeit der Depression. Seine Therapie: Bach. Vielleicht nicht ganz wissenschaftlich aber durchaus nicht chancenlos auf Erfolg wie ich selbst berichten kann. Die intensive Beschäftigung mit dem Leipziger Altmeister merkt man am ehesten im langsamen dritten Satz (19:18): Das wunderschöne Thema übernahm Schumann direkt vom Anfang der Triosonate aus dem Musikalischen Opfer. Ein weiteres Zitat verbaute Schumann im letzten Satz (28:40): Beethovens Lied Nimm sie denn hin, diese Lieder. Dieser romantische Gedanke (aller Wahrscheinlichkeit mit Gedanken an Clara Schumann eingefügt) wurde schließlich von einem großen Finale abgelöst, bei dem wir alle nochmal richtig durchgepustet wurden. Was für eine Energiebombe Gražinytė-Tyla ist, sah man am Ende an ihrem Gesicht, das auch noch nach mehrmaligem Verbeugen knallrot war.  

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