Selbstbetitelte Selbsthilfe

Inmitten von Trennungsschmerz und Trauerverarbeitung hat Sophie Lindinger Heilung in der Musik gefunden. Nun lässt sie uns auf ihrem Solo-Debüt daran teilhaben.

Sophie Lindinger /// Hanna Fasching (c)

Je nachdem in welcher Formation Sophie Lindinger auftritt, stellt sie gleich mehrere ihrer Talente unter Beweis, was sie zu einer Schlüsselfigur der österreichischen Indie-Szene macht. Nun ist ihr Solo-Debüt erschienen, benannt nach ihr selbst. Es ist die wahrlich intime Introspektive einer jungen Frau, die aus Trauer und Schmerz neue Kraft schöpft. Im Interview erzählt sie, warum sie nicht mehr über ihre Grenzen geht, Videospiele gut für sie sind und wann sie Unterstützung von außen gebraucht hat.

Bohema: Es gibt Artists, die bringen erst nach einigen erfolgreichen Alben ein self-titled Album raus und dann gibt es jene, die ihr Debüt mit dem eigenen Namen benennen. Auf dich trifft beides zu. War es für dich von Anfang an klar, dass deine erste Soloplatte deinen Namen tragen soll?

Sophie Lindinger: Ich habe sehr lange überlegt, was ein guter Titel wäre, und nichts hat es geschafft, das einzufangen, was das Album sein soll. Als ich realisiert habe, dass man ein Album self-titlen kann, hat es Klick gemacht und Sinn für mich ergeben, weil das ja quasi ich bin.

Das ist das innerste von mir, das intimste. Nichts könnte das mit einem Wort beschreiben.

B: Du hast dein Album nach deiner Trennung geschrieben, gleich zu Beginn der Covid-19-Pandemie.  Hat dir das Lockdown-Setting den nötigen Raum dafür gegeben?

SL: Es war einfacher zu schreiben, weil ich mehr Zeit hatte, aber ich glaube, dass es dadurch auch schwieriger war. Wenn ich Gefühle in mir habe, die zu unerträglich sind, um sie in mir zu behalten, dann muss ich sie irgendwo extern speichern und das sind meistens Songs. Und auch wenn ich busy gewesen wäre, hätte ich bestimmt Songs geschrieben, weil es nicht anders gegangen wäre. Aber dann hätte ich dem Album vielleicht nicht so viel mitgeben können, wenn ich es nicht gerade für mich behalten hätte. Ich hatte niemanden, dem ich es zeigen konnte.

Da habe ich gelernt auf mich selbst zu hören und das äußere Feedback zwar zu schätzen, aber nicht als absolut zu nehmen.

B: Im Song Happy Pills singst du über Antidepressiva. Hast du in der Zeit, in der das Album entstanden ist, Therapieerfahrungen gemacht?

SL: Ich habe kurz vor der Trennung damit angefangen, weil ich da schon sehr depressiv war. Medikamente gab es aber erst ein Jahr später. Es hat noch sehr lange gedauert, bis ich mir eingestehen konnte, dass es nicht eine Art von Failure ist, wenn man plötzlich Medikamente nehmen muss, sondern eher Stärke, weil man sich endlich eingestehen kann, dass man Hilfe braucht. Und es ist anscheinend sehr schwierig für Menschen das zuzugeben.

B: Hatte die Musik dann therapeutische Wirkung?

SL: Immer. Ich glaube, deswegen habe ich es so lange ohne Therapie ausgehalten, weil es in dem Moment, wo ich es schreibe eine therapeutische Wirkung hat, in dem Moment, in dem ich es dann produziere, und dann später, wenn alles fertig ist und ich es live spiele, dann ist es wieder eine ganz andere Ebene von Therapie und das ist echt cool.

B: Man könnte meinen, Mental Health kommt immer mehr im Mainstream an. Wie schätzt du das ein?

SL: Ich finde das ist etwas, wofür sehr viel mehr Awareness geschaffen wird, aber man merkt, dass es noch lange braucht, bis es bei allen ankommt. Ich kriege noch immer mit, wie manche Leute ein wenig schockiert sind, wenn sie wissen, dass ich Medikamente nehme oder wenn ich offen darüber spreche, was in mir passiert oder warum ich Dinge nicht machen kann. Nicht irgendwelche Ausreden zu erfinden war für mich einer der ersten Schritte.

B: Also bist du in deinem engsten Umfeld auf Verständnis gestoßen?

SL: Ja. Ich habe es verlangt. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber niemand von meinen engsten Freunden hätte da komisch reagiert, weil die ja auch ihre Themen haben. Viele haben dann angefangen, das auch zu kommunizieren, was voll schön war. Aber zuhause am Land, bei der Familie oder wenn man mit Leuten dort zu tun hat, ist das ganz was anderes.

Selbsthilfe-Songs

Auf ihrem Album besingt Lindinger das morgendliche Kaffee-Ritual mit der liebsten Person, lässt 15 Jahre Beziehung Revue passieren und bricht mit generationsübergreifenden Traumata. Es ist eine Reise vom Selbstmitleid hin zur Selbstliebe.

B: Der letzte Song auf deinem Album, The Winner, klingt wie ein Blick nach vorn. Es geht um Dating. Wie stehst du inzwischen dazu?

SL: Ich bin echt dankbar für die Erfahrungen. Als ich den Song geschrieben habe, war ich in einer Situation, wo ich wirklich Interesse an jemanden hatte, aber es war trotzdem immer ein Hinhalten. Irgendwann bin ich dann am Boden gesessen und habe mich gefragt, wie ich nach dem Breakup jetzt schon wieder in so einer emotionalen Situation gelandet bin. Da habe ich den Song mit ein bisschen Ironie und Schmunzeln niedergeschrieben. Damals hat es mich natürlich genervt, aber jetzt kann ich darüber lachen.

B: Du konntest also nach 15 Jahren Beziehung viele Erfahrungen nachholen.

SL: Absolut. Auch wenn man oft glaubt, es war ein Fehler, ist es eigentlich gut gewesen. Man hat jedes Mal irgendwas von sich selbst entdeckt – was man braucht oder was man nicht braucht; was man unbedingt will und was man gar nicht will.

B: Wie bist du an die Produktion herangegangen?

SL: Normalerweise weiß ich sofort, wie ein Song klingt, den ich mache. Bei diesem Album gab es Songs, bei denen jemanden gebraucht habe, der von außen draufblickt, weil es teilweise einfach zu emotional für mich war. Deswegen war es wichtig mit René produktionstechnisch zusammen zu arbeiten.

Die bewusste Alleskönnerin

Als Produzentin, Multiinstrumentalistin, Songwriterin und Sängerin bei renommierten Acts wie Leyya und My Ugly Clementine hat sich Sophie Lindinger in die oberste Riege der Musikszene in Österreich gespielt. Nun produziert sie für aufstrebende Artists und lanciert ihrer Solokarriere – ohne dabei ihr geistiges Wohl aufs Spiel zu setzen.

B: Du hast dich über die Jahre als Schlüsselfigur der österreichischen Indie Szene etabliert. Worauf kommt es an, um sich in der österreichischen Musikindustrie zu behaupten?

SL: Ich habe lustigerweise letztens wieder darüber gesprochen, wie schwer ich es mir gerade vorstelle, als neuer, junger Artist in Österreich gerade etwas zu machen. Wir (Leyya, Anm.) waren damals genau in einem Aufschwung von österreichischer Musik drin. Das war ein Moment, wo man keine Macht darüber hat. Und solche Momente werden seltener, wenn in Phasen wie jetzt gerade zu viel auf einmal passiert, weil die Pandemie so viel zurückgehalten und gekostet hat, dass man als junger Artist gerade einfach umso mehr kämpfen muss als davor. Was natürlich jetzt nicht heißen soll, dass wir nicht gekämpft haben, aber es war glaub ich damals trotzdem noch mehr Kapazität für junge Bands da.

B: Effort heißt nicht automatisch Erfolg so wie ich das verstehe …

SL: Wir haben immer gesagt, wir wollen alles so gut es geht machen bis zu dem Punkt, an dem man es nicht mehr selbst in der Hand hat, weil wir dann zumindest sagen können, wir haben wirklich alles gemacht, was in unserer Macht steht. Ich glaube, dass ist ein sehr großer Ansporn, aber auch eine sehr arge Art von Perfektionismus, der, wenn man ihn jahrelang durchzieht, auch sehr erschöpfend ist. Das Gute ist, dass wir ab einem gewissen Punkt gesehen haben, es geht wohin damit und wenn man mehr Bestätigung bekommt, dann hat man auch immer wieder die Motivation alles zu geben.

B: Das heißt, du verfolgst diesen Ansatz weiterhin?

SL: Always. Ich muss mich nur manchmal zügeln, weil ich meine mentale Gesundheit jetzt viel mehr beobachte. An einem gewissen Punkt war ich so überarbeitet, dass ich dann ein ¾ Jahr nicht arbeiten konnte. Da muss ich jetzt meine Grenzen setzen und deshalb sage ich alles mir in der Macht Mögliche. Das heißt, dass die Grenze zu meiner mentalen Gesundheit nicht mehr in meinem möglichen Bereich ist.

Ich gehe nicht mehr über meine mentalen Grenzen dafür, weil das einfach nicht gesund ist.

Mentale Mantras

Im Video zu Say My Name leitet Lindinger eine Selbsthilfegruppe, bevor sie selbst zur Therapierten wird und sich mit all ihren Emotionen konfrontiert sieht. Eine Situation, die Sophie am besten in den Griff bekommt, wenn sie Musik macht. Aber auch andere Hobbies zeigen Wirkung…

B: Nachdem du auch malst, dachte ich kurz, das Albumcover sei ein Selbstporträt. Es ist aber von Barbara Moura.

SL: Das ist lustig, das ist ein bisschen wie bei dem Sound, das konnte ich nicht selbst machen. Das war wieder etwas, das ich von außen gebraucht habe.

B: Welchen Effekt hat die Malerei auf dich?

SL: Es ist eine ganz andere Art und Weise zu erzählen. Ich habe während der Zeit, in der das Album entstanden ist, viel gemalt. Man sagt ja so schön: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Und das waren die Worte, die ich in der Musik nicht verwenden konnte.

Ich glaube, wenn man sich die Bilder ansieht und die Musik dazu hört, kennt man sich aus.

V. l. n. r. I drink too much, acrylic on canvas, 50x70; Where you end and I begin, acrylic on cardboard canvas 30x50; They went too far, acrylic on canvas, 50x70

B: Du hast im Gaming ebenso ein Hobby gefunden, wobei man dir auch via Stream zusehen kann.

SL: Das ist mein Anxiety Relief. Videospiele sind für mich eine Flucht in etwas unmenschliches. Ich kann einfach mein ganzes Menschsein auflassen und in diesem Spiel existieren. Und das nimmt mir in dem Moment viel Schmerz weg – und danach auch. Manchmal ist es trotzdem recht einsam, weil ich nicht so viele Leute habe, die mit mir gemeinsam spielen. Deswegen habe ich mir gedacht, wenn ich streame, dann mache ich es nicht für Geld, sondern weil ich dann vielleicht nicht ganz allein beim Spielen bin.

B: Musikalisch stehst du jetzt zum ersten Mal allein im Rampenlicht und trittst nicht als Teil einer Band auf. Wie ist das für dich?

SL: Ich glaube ich bin jetzt endlich bereit dafür. Ich bin jetzt schon lange im Musikbusiness und habe mich als Frontperson lange nicht wohl gefühlt. Bei Leyya habe ich auch lange gebraucht, bis ich das akzeptieren konnte.

Jetzt kann ich damit umgehen und es genießen.

B: Könntest du sagen, ob du lieber allein oder in einer Band Musik machst?

SL: Es hat beides seinen Reiz. Ich spiele schon extrem gerne live mit Band, weil man da sehr viel Dynamik reinbringen kann. Wenn man allein spielt, hat man nur Gitarre und Stimme, da muss man Dynamik mit ganz vielen anderen Dinge erschaffen. Dafür kann man viel intimer sein und mehr Emotionen rüberbringen. Das ist mir aber teilweise so unangenehm während eines Songs, dass ich danach meist irgendwelche blöden Jokes auf der Bühne mache.

Meine Konzerte sind dann immer so: 😊☹😊☹

Wer sich selbst davon überzeugen möchte, besucht am 5. April die Rote Bar im Volkstheater. Dort findet nämlich Sophie Lindingers Album Release Show statt.

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