Kitschig, bitchig, große Kleinkunst

In der Sargfabrik lief die vierte Staffel von Drag Lab an. Auf dem Weg zur Institution hat das Format nichts von seiner radikalen Offenheit verloren.

Drag Lab /// (c) Studiohimmelbauer /// (c) Edit: Jakob Flash

Beim zweiten oder spätestens dem dritten Besuch hat man es raus: Wer voll auf seine Kosten kommen will, bringt sich links der Saalmitte in Stellung. So lässt sich den Abend über immer wieder ein Blick auf den Flecken Bühne erhaschen, an dem sich die Queens, Kings, und Quings Hälse reckend auf einen Haufen scharen. Statt sich hinter den Kulissen die Nase nachzupudern oder Instagram zu checken, warten sie hier auf ihren eigenen Auftritt. Und recht haben sie – bei Drag Lab geht es schließlich um Präsenz.

Drag als Ereignis

Der Name ist Programm: Jede Woche wird vor mal johlendem, mal pfeifendem Publikum drauflosexperimentiert, was man bei Musik in Clublautstärke mit Papiermaché, Schminke, ein paar Schnäppchen vom Humana, Voguing-Tanzschritten, und nochmals Schminke für alle Sinne berauschende Alchemie treiben kann. An den beiden ersten Mittwochsvorstellungen der neuen Staffel liefern sich zwei Drag Kings, denen man durch Pluderhosen und Mühlsteinkragen den royalen Titel abnimmt, mit phallischen Lanzen ein Duell darum, wer nun der Männlichere von ihnen sei.

Ein Duett mit einer Handpuppe aus Tennissocken geht überraschend tief unter die Haut. Der Look und das Mienenspiel einer weiteren Performerin können nur als „Junggesellinnenabend, über den man noch lange pikiert schweigen wird“ beschrieben werden. Jemand, der sich laut Liedtext danach sehnt, endlich Mensch zu sein, zerfetzt mit entrücktem Blick das über den Torso gespannte schwarze Latex und wühlt in Organgewebe herum. Bei Tageslicht würde man ihm seine Herkunft aus der Bastelkiste wohl ansehen –  im Hier und Jetzt der Vorführung lässt es dennoch einen leisen Brechreiz aufsteigen.

Neu im Rampenlicht

Vor der Show erläutert mir Metamorkid, wie sich Drag Lab in einer Szene positioniert, die in weiten Teilen immer noch Untergrundcharakter besitzt, sich aber seit den letzten Jahren nicht mehr ganz so fernab des kulturellen Mainstreams befindet. Gemeinsam mit dem von ihr als Drag Labs „Göttervater“ bezeichneten Dopa Mania hat Metamorkid – „eher so die betrunkene Tante“ – das Format im Sommer 2021 als Bühne für queere Nachwuchskünstler*innen gegründet. Die erste Staffel fand noch in einem Gastgarten statt, seitdem steigert sich die Kapazität der Veranstaltungslokale kontinuierlich. Kommen dürfen alle, die die offene und lustvolle Zuschaustellung von Vielfalt wertschätzen können; auftreten auch. Drag Lab ist zugänglich, aber nicht auf dieselbe Weise, wie ein Drag-Brunch zugänglich ist, nämlich professionalisiert und im Wesentlichen nicht schwerer verdaulich als die Waffeln und Mimosas. Zugänglich ist es, weil in jedem Augenblick ein Anders‑Werden, um sich selbst treu zu bleiben, in der Luft liegt.

Die erhöhte Sichtbarkeit außerhalb der Szene hat auch ihre Schattenseiten: Drag ist über die letzten Monate auch hierzulande zur bevorzugten Zielscheibe politischer Angriffe aus dem konservativen bis rechtsextremen Lager geworden. Man liest Schlagzeilen wie „Attacke auf Rosa-Lila Villa wegen Drag Queen Lesung“ (Heute, 29. März) und „Drag Queens – FPÖ gegen ,Transgenderagenda‘“ (Wiener Zeitung, 24. März). In der Sargfabrik im 14. Bezirk, Österreichs größtem selbstverwalteten Wohn- und Kulturprojekt, ist Drag einfach Teil der Stadtlandschaft.

Und für einen Abend vergisst man beinahe darüber zu sinnieren, dass Dominik Nepp dazu gezwungen werden sollte, in seinen Tiraden wenigstens die Namen der Verhetzten – furchteinflößender Gestalten wie Rainer Unfug, Zirkuspferd, oder Billa Hadid – zu nennen. Vielleicht würde das endgültig klarstellen, dass ,obszöne Selbstdarstellung‘ ziemlich oft in Hemd und Anzugjacke stattfindet.

Die nächsten Termine von Drag Lab sind am 19. und 26. April.

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