„Textformen brechen, ausprobieren und überraschen“
Ein ausverkauftes Burgtheater, fünf Tage Euphorie und Zusammenhalt: Francesca Herr spricht über die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Wien.
Die 26. deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften waren vom 2. bis zum 6. November in Wien. Pressesprecherin Francesca Herr redet mit uns über den Reiz von Poetry-Slam, die Probleme der Szene und philosophiert über die Bedeutung der Worte.
Bohema: Nach 25 Jahren kommen die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften nach Wien. Wie ist es dazu gekommen?
Francesca Herr: Bisher fehlten für solch ein Event die Strukturen, seit 2014 sind wir als Verein FOMP (Fear Of Missing Poetry) bemüht, diese aufzubauen und werden die Meisterschaften dieses Jahr ausrichten. 2019 stand endlich fest: Die Meisterschaften werden in Wien ausgetragen. Da gab es nur Jubel und Applaus!
Francesca Herr schwärmt von Wien, der Stadt, die zum Träumen einlädt und gleichzeitig mit ihrer verkehrstechnischen Vernetzung punkten kann. Außerdem hält sie das teaminterne Gemunkel nicht vor uns geheim, dass Wien das Potenzial hat, die besten Meisterschaften seit langem zu bieten.
B: In den letzten Jahren waren Österreicher*innen eher selten unter den ersten drei Plätzen der Meisterschaften. Eröffnet der diesjährige Austragungsort in Wien mehr österreichischen Poet* innen die Möglichkeit, am Wettbewerb teilzunehmen?
F: Es gibt einen ganz genauen Schlüssel, eine Formel, der die Verteilung klarstellt: Die Anzahl der Poet*innen wird an der Größe des Landes bemessen, an der Zahl der Slams, die nominieren dürfen usw. Welche Nationalität auch immer, unser Fokus ist, dass wir FLINTA* mehr nach vorne holen wollen. Denn nicht zu wenig österreichische Poet*innen sind ein Problem, sondern das Übermaß an cis Männern im Poetry-Slam.
B: Für die Slam-Meisterschaften wurde ein Awareness-Team aufgestellt. Weshalb ist Diversität und Awareness so bedeutsam und welche Aufgaben übernimmt das Team?
F: Der Fokus liegt auf Awareness, da es uns als Team extrem wichtig ist. FOMP möchte auf allen Veranstaltung ein Umfeld schaffen, in dem sich das Publikum, die Auftretenden und die helfenden Hände willkommen fühlt. Auch die Slam-Szene ist nämlich betroffen von MeToo-Geschichten und aktuellen Gerichtsverfahren. Die Notwendigkeit ist vorhanden, aus diesem Grund muss das Awareness-Team einen verpflichtenden Workshop diesbezüglich besuchen. Die Mitglieder sollen Ansprechkanal darstellen und ein wachsames Auge haben. Wir wollen einfach nicht, dass weiterhin weggeschaut wird.
B: Die Poetry-Slam-Szene ist bunt und vielfältig. Was, denkst du, ist so anziehend an dieser Vielfalt?
F: Der Mix. Und der Überraschungsfaktor.
Das ist, worin die österreichische Szene auch sehr gut ist: das Brechen mit Textformen, das Ausprobieren und Überraschen durch Unerwartetes.
Die handwerklich herausragenden Texte mit einer abgestimmten Performance, Begeisterung pur.
B: Kann es möglicherweise auch daran liegen, dass sich die Leute in diesem Mix wiedererkennen und zugehörig fühlen?
F: Klar, es schwebt immer ein Zugehörigkeitsgefühl mit. Das Publikum ist nicht nur gewünscht, es gehört zum Poetry-Slam, als Zuschauerinnen und als Jury. Dadurch fühlen sich die Menschen miteinbezogen. Zusätzlich wird die Szene auch immer diverser, die Poet* innen kommen von allerorts und eigentlich spielt auch die Sprache keine so große Rolle, wenn die Performance dich packt. Außerdem ist die Slam-Szene sehr zugänglich durch das „offene Listen“ Format, in dem jeder bei kleineren Bewerben auftreten kann.
B: Die Poetry-Slam-Szene wird größer, You-Tube wird zunehmend reicher an Videos aus der Szene. Entsteht hier ein neuer Weg, Jugendlichen die Literaturszene näher zu bringen? Gerade, weil der Slam sehr interaktiv ist?
F: Mit Sicherheit. Ich denke, es ist Aufgabe einer jeden Szene, dass sie sich um den Nachwuchs kümmert. Poetry-Slam wird sehr oft als Mittel von anderen benutzt, um die jungen Menschen zu erreichen. Nicht zu Unrecht, denn es ist ein gutes Werkzeug, um Jugendlichen zu zeigen, wie sie Sprache verwenden, mit ihr spielen und sich selbst dabei ausprobieren können.
“Nun haben wir das Problem, dass die Szene tendenziell weiß und akademisiert ist”.
F: Wie erreichen wir jene, die nicht selber zu Veranstaltungen kommen? Die nicht wissen, was Poetry-Slam ist und dass es existiert? Daran müssen wir als Szene noch mehr arbeiten.
Die Slam-Szene trägt die Hoffnung, durch die Meisterschaften mehr Gehör in Österreich zu finden und in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden. Francesca Herr meint, Poetry Slammer*innen sollten sich auch mehr zutrauen und an ihr Handwerksgeschick glauben, auch stolz darauf sein. Poetry-Slam-Erfahrung sei nichts, das es zu verheimlichen oder abzustreiten gelte. Scham habe hier nichts zu suchen.
B: Poetry-Slam ist sehr vielfältig, facettenreich und wagt sich an tabuisierte Themen heran. Könnte Poetry-Slam Raum für eine kreative Auseinandersetzung mit komplexen Themen bieten? Oder Themen, die man sich sonst nicht traut, anzusprechen?
F: Klar, wie jede Kunstform und jede Ausdrucksweise. Poetry-Slam findet im öffentlichen Raum statt und ist somit etwas Politisches, denn die Menschen, die es machen, sind politisch. Seien es queere Personen, people of colour oder andere Gruppen: Wir müssen den richtigen Leuten eine Stimme geben und Themen ansprechen, die sie betreffen und beschäftigen.
B: In Anbetracht von Katastrophen in unserer Welt wie dem Ukrainekrieg, können denn Gedichte und Worte manchmal auch zu viel sein? Oder sogar unbedeutend?
F: Unbedeutend glaube ich prinzipiell nie, weil es immer irgendeinen Grund gibt, weshalb jemand Worte niederschreibt. Wie zielführend sie manchmal sind, sei dahingestellt. Aber natürlich kann es manchmal zu viel sein, so wie alles. Wichtig ist, dass es Stimmen gibt, die laut sind in Momenten von Ungerechtigkeit und auch weiterhin laut bleiben. Wenn ich als nicht betroffene Personen einen Text schreibe, benötige ich Fingerspitzengefühl: Was bewirke ich damit? Ist es notwendig, dass ich diesen Text schreibe? Manchmal sollte man die Betroffenen für sich sprechen lassen. In anderen Situationen ist es essenziell, dass ich laut bin für andere, weil wir nicht von den Betroffenen erwarten können, dass sie ständig für sich alleine kämpfen.
B: Wird andererseits manchmal ein zu hoher Anspruch an Poetry-Slam gestellt, dass er Aufklärungsarbeit leisten muss und nicht einfach für sich stehen kann?
F: Grundsätzlich wird häufig davon ausgegangen, dass Poetry-Slam politisch sein muss. Ich denke, es muss nicht jeder Text eine Bedeutung, eine tiefe Message, haben. Tereza Hossa beispielsweise schrieb einen Text über so etwas Banales wie das Kaffee-Kochen. Du kannst auch nur der Sache wegen einen Text schreiben.
“Du musst nicht den Anspruch haben oder glauben, du wirst mit deinem Slamtext die Welt retten”.
Stimmt schon, das wird dem Poetry-Slam oft unterstellt. Es gibt vielleicht auch Leute, die das annehmen, aber das wird nicht funktionieren.
B: In Wien stehen diese wunderschönen Räumlichkeiten zur Verfügung, das Burgtheater, das Konzerthaus und so weiter. Was muss das für ein Gefühl für die Poet*innen sein, dort vor Publikum auf der Bühne stehen zu können?
F: Ist okay. (lacht) Es ist unfassbar toll, im größten Sprechtheater im deutschsprachigen Raum vor 1340 Personen auftreten zu können. Das motiviert enorm. Und ich bin stolz darauf, dass Poetry-Slam zwischen diesen altehrwürdigen Gemäuern eine Bühne erhält. Das unglaubliche Gefühl, das Burgtheater nach zwei Tagen ausverkauft zu haben, ist eines, das daran erinnert: Stimmt, dafür machen wir die ganze Arbeit.
B: Wie erfahren muss man denn sein, um bei so diesem Wettbewerb antreten zu können?
F: Grundsätzlich musst du nicht erfahren sein, du musst gut sein, um bei einer der Landesmeisterschaften zu gewinnen und später für die deutschsprachigen Meisterschaften nominiert zu werden. Unter den Poet*innen sind Leute, die noch sehr frisch in der Szene sind.
B: Eine allerletzte Frage: Bist du selbst schon mal auf der Bühne gestanden als Poet*in?
F: Ich habe eine sehr, sehr kurze Slamkarriere hinter mir, sagen wir so. Ich habe gemerkt, wie unfassbar viel Arbeit und Vorbereitung in die Performance gesteckt werden muss, damit die Texte auch wirken. Deshalb habe ich aufgehört und bin jetzt hauptsächlich Veranstalterin und Moderatorin. Mal schauen, vielleicht stehe ich irgendwann wieder slammend auf der Bühne.
B: Vielleicht im Burgtheater.
F: Vielleicht im Burgtheater bei den nächsten Meisterschaften. (lacht)