Ein (fast zu) braver Jungspund und tiefe Emotionen

Ein mozartkugelhafter Mozart gefolgt von der von den Symphonikern meisterhaft ausgeführten Bedrückung und Leidenschaft von Mahlers 5. Symphonie: Stimmungsschwankungen im guten Sinn im Konzerthaus.

Lecker? /// Niesel Reghenzani, Wiener Symphoniker, Bohema (c)

Das junge Gesicht mit ehrlichem Lächeln, ein spritziges Auftreten und die bemerkenswerte Texttreue des 27-jährigen Kanadiers Jan Lisiecki verzauberte das Konzerthaus. Fehlerfrei und mit großer Konzentration und Sauberkeit sorgte er für viele „Bravo“-Rufe und Standing Ovations.

„Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten“

Doch dem Reichtum an Aufmerksamkeit und Politesse, den sauberen, frischen, reinen und engelsgleichen Klängen, die uns Lisiecki bescherte, stand ein Mangel an Ausdruckskraft und Leidenschaft gegenüber.

Die Originalpartitur von Mozarts KV 467 enthält außer den Noten nur wenige Hinweise auf die Spielweise. Jedoch wissen wir, spätestens seit Harnoncourt (selbst ein Symphoniker), dass Musiker wie Mozarts Vater Leopold, Bachs Sohn Carl Philip Emanuel und viele andere uns sehr detaillierte Hinweise hinterlassen haben, wie diese Noten zu lesen sind, um ihnen mehr Expressivität und Passion zu verleihen. Immerhin steht das Beste in der Musik nicht in den Noten, wie schon Gustav Mahler sagte. Pianist*innen wie Friedrich Gulda hatten schon davor durch Intuition einen Weg gefunden, einen anderen, nicht allzu braven Mozart wiederzubeleben. Diese Expressivität fiel bei Lisiecki fast aus.

Die Zugabe, die passend herbstliche, allerdings etwas kitschige Nocturne Op. 9/2 von Chopin, wiederum sehr brav und strikt dem Notentext folgend gespielt, stellte einen passenden Abschluss zu diesem höflichen, sauberen, mozartkugelhaften Mozartconcerto dar.

Und weg war die gute Laune

Nach der Pause, die Lisiecki fleißig damit verbrachte, Autogramme zu verteilen und Fotos zu machen, erwies sich die 5. Symphonie Gustav Mahlers als starker Kontrast zur positiven Stimmung.

Nach dieser Welle an musikalischem Konformismus, für den Mozarts Klavierkonzert gesorgt hatte, brauchten unsere Ohren nun das zweideutige Klangbild, das nur das Altmodische, das Gefühl von Bedrückung, und die Faszination des Trostlosen, die von Mahler so gut zum Ausdruck gebracht wurde, vermittelt werden kann. Mahlers Fünfte Sinfonie bot uns das abblätternde Weiß einer alten Fassade, in einer einzigartigen Mischung aus Verlassenheit, Leidenschaft und Rausch, die so manchen Zuschauer in Tränen versetzte.

Omer Meir Wellber, von dieser Leidenschaft erfasst, dirigierte, wie es der Komponist selbst früher immer zu tun pflegte, springend und mit großen Gesten, sodass er am Ende des letzten Satzes sichtlich erschöpft und schweißgebadet dastand.

Da dieses Konzert nur das erste einer zweiwöchigen Europatournee ist, werden auch viele weitere Städte wie Amsterdam, Hamburg und Barcelona diese Leidenschaft Mahlers genießen können, doch nirgends wird sie so perfekt mit dem Ambiente harmonieren wie mit dem düsteren und faszinierenden, fast tragischen nächtlichen Wien, von dem man beim Verlassen des Konzerts ergriffen wurde.

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