Travel Guide: Station 3, Barwy Ochronne, Polen

Nächster Halt: Sommercamp. Ein Kampf der Generationen und Ideologien in der idyllischen polnischen Provinz. Flare Jeans inklusive. 

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Um genau diese Zeit vor drei Jahren befand ich mich gerade in der polnischen Masurengegend auf einer mehrtägigen Bootstour. Und obwohl so ein Paddel ungefähr der Länge eines Babyelefanten entspricht, finden meine Urlaubsreisen heuer wohl oder übel hauptsächlich vor dem Fernseher statt. 

Der Sommer ist für viele eine Zeit grenzenloser Möglichkeiten, ob man ihn nun im Gastgarten, am Strand, im Grenzstau oder in Balkonistan genießt. Für Kinder, und Eltern die auch mal einen kinderlosen Urlaub genießen wollen, gibt es noch eine Möglichkeit: Das Sommercamp. Wobei jenes in Barwy Ochronne (1977, Krzysztof Zanussi), zu Deutsch Tarnfarben, eher für bereits ältere Schüler ausgelegt ist. Worum geht es in diesem Film also?

„Falsch, aber dafür bewusst handeln“

Die gesamte Handlung des Films erstreckt sich über nur wenige Tage einer, von mehreren Schulen organisierten, Tagung. Den Höhepunkt dieses Treffens bildet ein Wettbewerb an Referaten im Feld der Linguistik, mit zugehöriger Preisverleihung durch den Rektor. Daneben findet eben alles statt, was eben zu einer solchen Zusammenkunft dazugehört: Lagerfeuer, Baden gehen, Trinkgelage und Romanzen. Wobei wir hier bei Bohema derartige Beziehungen zwischen Lehrern und (in diesem Fall) Schülerinnen natürlich in keinster Weise gutheißen. Das ganze im schicken Look der 1970er Jahre, Flared Jeans und furchtbare Frisuren soweit das Auge reicht.

„Ich tue, was ich tue, aus reiner Bequemlichkeit“

Doch das gesamte Sommercamp mit all seinen Facetten dient hauptsächlich als Kulisse für die beiden zentralen Charaktere und deren Dynamik und Konflikte. Auf der einen Seite der noch relativ junge und vergleichsweise unerfahrene Lehrer Jaroslaw (Piotr Garlicki), auf der anderen der etwas ältere Lehrer und Vorsitzende der Tagung Jakub (Zbigniew Zapasiewic). In ihnen verkörpert treffen zwei Welten aufeinander. Jaroslaw ist vor allem eines: idealistisch und rechtschaffend. So setzt er sich sehr für einen Schüler ein, doch am Wettbewerb teilnehmen zu dürfen, obwohl er die Anmeldefrist um einen Tag verpasst hat. Soll sein, so Jakub, aber auf eigene Verantwortung. Denn Jakub ist alles aber bloß kein Idealist, er verkörpert Zynismus, Pragmatismus und Bequemlichkeit in einem. Während Jaroslaw das „richtige“ tun will, will Jakub nur keine Schwierigkeiten. Auch dass gewisse Juroren vom Rektor ausgeladen wurden, lässt ihn kalt.

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Jakub weiß wie die Welt funktioniert, er weiß auch, wem es zu drohen oder zu schmeicheln gilt. Er richtet es sich schon, auf seine Weise. Man muss seinem Ranghöheren nicht zustimmen, sich nur bewusst sein, dass er der Einzige ist, der einem helfen kann. So kann er nur schelmisch Grinsen, als Jaroslaw versucht, seinem Gewissen („ein Klotz“) zu folgen und sich für seine Schüler und „Gerechtigkeit“ einzusetzen. 

„Was wäre das Leben ohne Lügen“

Wer mit Zanussi und seiner Filmographie vertraut ist weiß, dass es bei seinen Filmen meist um mehr geht, als es zunächst den Anschein hat. Seine Charaktere haben oft einen akademischen Hintergrund und sind oftmals insbesondere von den Naturwissenschaften fasziniert. So auch hier. Ständig versucht, auf unendlich provokante und sekkante Weise, Jaroslaw aus der Reserve zu locken, drängt er ihn von Diskussion zu Diskussion. So philosophiert man über Moral, Ideologie, Recht und Unrecht, Gewissen und dem „Überlebenskamp“. All das im Kontext der Naturwissenschaften einerseits, der Tagung und dem gesamten Schulwesen andererseits. Das Argument dafür, dass es Zanussi hierbei wiederum um mehr, namentlich dem Leben im sozialistischen Polen der 70er Jahre geht, lässt sich zumindest guten Gewissens in den Raum stellen.

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Tarnfarben ist kein Film, den man als besonders cinematic bezeichnen würde. Es gibt nicht die eine große Szene, es steht nicht weltveränderndes auf dem Spiel. Die Konflikte, insbesondere aber auch die Komik, entstammt den Dialogen und Konfrontationen der beiden Charaktere. Mit der Tagung geht auch der Film zu Ende, das Leben geht weiter. Alles was wir sehen ist ein Einblick in den – keineswegs fehlerfreien – Charakter zweier Menschen, und wie sie versuchen, sich auf ihre Weise in der Welt zurechtzufinden. Und manchmal ist das auch mehr als genug.

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