Und irgendwann ziehen wir dann raus in die Cloud
Radikale Holländer, Waldorfschüler unter Terrorverdacht und quasselnde Haushaltsgeräte - Sandra Schüddekopf inszeniert am Theater Drachengasse eine Zukunftsdystopie voll absurder Komik.
Es ist Freitagabend, punktgenau 20 Uhr, die Live-Übertragung aus dem Theater Drachengasse startet. Eine schnarrende Computerstimme aus dem Off fordert dazu auf „jetzt bitte die Mobiltelefone auszuschalten“ und ruft die Schauspieler*innen auf die Bühne. Ironischerweise vibriert wenige Minuten später mein Handy neben mir, weil ich soeben noch einmal den Link für die heutige Veranstaltung empfange und das Ding natürlich nicht ausgeschaltet habe. Im Nachhinein scheint mir dieser Moment ein äußerst passender Kommentar zu diesem Abend gewesen zu sein.
Willkommen in einer Welt, in der alle Ex-Waldorfschüler als potenzielle Terroristen eingestuft werden
Wir schreiben das Jahr 2040. Die digitale Revolution hat ihren mehr oder weniger vorhergesehenen Lauf genommen, die intelligente Technik durchdringt jede Sphäre unseres Alltags. Wer die Webcam abgeklebt und von 1984 Albträume bekommen hat, muss jetzt sehr stark sein. Denn im Zukunftsszenario von (R)Evolution (Yael Ronen und Dimitrij Schaad) treffen Sprachassistenten wie Alecto sämtliche Entscheidungen für uns, Kinderplanung läuft über einen Katalog (aber Vorsicht: jedes Upgrade kostet extra!) und Leute, die an der Waldorfschule waren, werden als potenzielle Terroristen eingestuft. Gefährlicher als die sind eigentlich nur mehr Holländer. Deren Land steht nämlich längst unter Wasser, darum sind sie heimatlos, wütend und radikal geworden.
Aber auch Tatjana (Maddalena Hirschal) könnte bald zum Verhör eingezogen werden. Sie war zwar weder Waldorfschülerin, noch hat sie Kontakte zu den Naturalisten, doch Alecto hat bereits genau berechnet mit welcher Wahrscheinlichkeit sie in den nächsten Monaten Schicksalsschläge erfahren und einen Nervenzusammenbruch erleiden wird. Da kann man nicht vorsichtig genug sein. Denn Terrorismus beginnt bekanntlich im Unterbewusstsein… zumindest laut Alecto, und der hat hier schließlich das Sagen.
Für gut neunzig Minuten können wir die dystopischen Szenen aus dem Alltag von Tatjana, Stefan, Ricky, Lana und René beobachten, so, wie Alecto sie zu jeder Zeit beobachtet. Was auch passiert: Big Brother (in dem Fall: Nela-Valentina Pichl an der Kamera) ist stets wachsam und fängt die Absurdität des Augenblickes und auch des Raumes für uns ein. Dieser ist nämlich inklusive Sitzreihen komplett in Folie gehüllt (Bühne: Martina Mahlknecht) und wird mal in blauen, dann wieder in rötlichen Farbtönen beleuchtet, sodass unter keinen Umständen Wohlfühlatmosphäre entstehen kann.
Die Probleme der Zukunft: Haushaltsgeräte, die ihre Goschen nicht halten können
Doch Regisseurin Sandra Schüddekopf zeichnet keineswegs eine ausschließlich düstere Zukunftsvision. Vielmehr gelingen durch bewusste Übersteigerung Momente von grotesker Komik, etwa wenn René (Sebastian Wendelin) mal wieder der Kragen platzt, weil seine Haushaltsgeräte plappern, piepsen und vibrieren und einfach nicht stumm zu kriegen sind, oder Ricky (Felix Rank) so sehr auf VR steht, dass er seine Rente in der Cloud plant…
Am Ende bin ich dann aber doch sehr erleichtert, dass ich den Laptop zuklappen kann und nicht Alecto fragen muss, wie ich mich jetzt fühle oder was ich als nächstes tun soll.