Wie eine weiße Leinwand
Hier darf man für die Kunst auch gerne die Decke aufreißen und die Fassade besprühen: Sina Albers und Aliza Peisker (Bohema) im Gespräch mit Alexandra Grausam, Leiterin von das weisse haus.
Bohema: Wie entstand die Idee des Namens?
Alexandra: Inhaltlich, das war auch damals schon mit der Namensgebung der Fall, soll das weisse haus ein Ort der Diskussion, ein Off Space und White Cube sein. Wir stellten uns die Frage, was ein White Cube ist und was er erfüllen muss. Das weisse haus an sich soll wie eine weiße Leinwand sein, um jungen Künstler*innen eine Plattform zu geben.
B: Also ein Ort, wo jede*r Künstler*in einen neutralen Raum zum freien Arbeiten vorfindet?
A: Ja, genau. Da uns als Non-Profit-Organisation meistens Räume auf Prekariumsbasis zur Verfügung stehen und ansonsten gerade unbenutzt sind, sind manche Räumlichkeiten provisorisch, die Wände ungestrichen zum Beispiel, was für manche Künstler*innen herausfordernd ist. Es geht dann darum, dass alle Beteiligten die Gegebenheiten so nehmen, wie sie sind.
B: Passt sich die Kunst dann dem jeweiligen Raum an, im Sinne einer „Symbiose von Kunst und Raum“?
A: Die Künstlerinnen, die sich auf den Raum beziehen und mit diesem arbeiten, haben sich natürlich immer leichter getan. Wir hatten viele Gäst*innen, welche sich den herausfordernden Räumen angenommen haben. Jetzt gibt es viel mehr Galerien und Orte, welche solche Konzepte bedienen, wo man nie weiß, welche Räume einen erwarten. Aber damals, als wir angefangen haben, war das noch ungewöhnlich.
B: Wir haben uns die aktuelle Ausstellung von Nina Schuiki angeschaut. Sie hat zwei Kunstwerke extra für die Ausstellung konzipiert; man kann also sagen, dass Schuiki zu jenen Künstlerinnen gehört, die mit dem Raum gearbeitet haben.
A: Definitiv. Sie hat mit den Fenstern an der Außenfassade gearbeitet, was vorher noch niemand gemacht hatte. Wir regen dazu an, viele Bereiche mit einzubeziehen, wie eben die Fassade, Fenster, den Vorgarten, Garagen, Keller (…). Das macht das Erlebnis der Besucherinnen noch umfassender. Dies hat sich auch gewandelt. Der Auftrag war es primär, jungen Künstler*innen, die gerade frisch von der Uni kommen, Möglichkeiten zu bieten. Mit der Zeit kam auch der Wunsch auf, jungen Kurator*innen Raum zu geben, gerade auch für experimentelle Projekte.
B: Eine Kurator*in braucht ja auch immer eine Künstlerin, mit welcher man arbeiten kann – wie finden sich Kuratorin und Künstler?
A: Von der Idee des Berufsbildes her ist es meistens so, dass Kurator*innen Künstler*innen kontaktieren, die sie interessant finden und die sie gerne einladen möchten, um ein Projekt zu realisieren. Wir arbeiten viel international, sehen unsere Rolle aber auch darin, in Österreich lebende Positionen zu zeigen.
B: Diesen Punkt, auch Kurator*innen mit einzubeziehen, fanden wir spannend. Auch die gebotene Möglichkeit, auf dem Weg zwischen Uni und der Arbeit in großen Institutionen, zu üben und Erfahrung zu sammeln.
A: Genau. Mich hat es auch immer gereizt, Risiken einzugehen. Wir haben zum Beispiel dem Künstler Christian Eisenberger für eine Woche ein ganzes Stockwerk überlassen, ohne zu wissen, was er dort tut. Ein anderer Künstler hat in einer Ausstellung bei uns die Decke aufgerissen, um eine Lichtinstallation in den Dachboden zu hängen. Ich finde es schön, wenn die Künstlerinnen und Kuratoren zu Experimentieren anfangen.
Auch finde ich es fast nicht mehr möglich, nicht in irgendeiner Form politisch aktiv zu sein. Wir versuchen deshalb gerade in den letzten Jahren, auch inhaltlich Themen anzureißen, welche gerade eine Relation und Aktualität haben.
“Qualität ist nicht Quantität.”
B: Hat die Politik mit den Jahren also mehr und mehr im weissen haus Einzug gehalten?
A: Als wir 2007-2008 anfingen, lag der Fokus wirklich darauf, jungen Künstler*innen Raum zu geben. Ich kann mich erinnern, dass viele Leute wegen des Namens gefragt haben, ob das weisse haus einen politischen Hintergrund habe. Die Antwort dazu war nein, der Name ist nicht primär so gemeint; dass das weisse haus inhaltlich politisch geworden ist, würde ich aber schon sagen.
Es ist auch eine Herausforderung zu bestimmen, wie man sich politisch äußern will. Man muss und kann nicht immer jeden erreichen, das haben wir gelernt. Wir wollen uns nicht fragen, wie wir möglichst viele Besucherinnenzahlen erreichen, sondern wie wir unter anderem politisch und/oder künstlerisch aktiven Menschen eine Plattform bieten können. Qualität ist nicht Quantität.
B: Den meisten Künstler*innen geht es ja darum, eine Emotion oder Reaktion in den Betrachter*innen auszulösen, dafür sind ja kein Hintergrundwissen zu den Werken oder große Namen zwingend notwendig.
A: Generell setzen wir viel auf Vermittlung. Ich finde, Galerien sind eigentlich der perfekte Ort, um Diskurse zu schaffen und um möglichst viele Positionen zeigen zu können. Wir versuchen, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Deshalb bieten wir möglichst jeder Besucher*in eine kostenlose Führung an oder veranstalten andere Happenings, wo man mit den Künstler*innen in Kontakt kommen kann.
B: Wir finden dieses Konzept, unter anderem jungen Künstler*innen die Möglichkeit zum Üben zu geben, Vermittlungsstelle und Safe Space auf Vertrauensbasis zu sein und freie Diskurse zu ermöglichen, sehr gut.
A: Und dieses Experimentieren funktioniert auch meistens. Die Idee des Safe Space ist uns sehr wichtig und wir machen uns immer Gedanken darüber, wie wir diesen kreieren können.
(Das Interview wurde der Länge und dem Verständnis wegen bearbeitet und gekürzt.)
BEGRIFFS-ABC
das weisse haus: Kunstverein und Non-Profit-Organisation, in der internationale Künstlerinnen und Kuratoren erste Erfahrungen im Ausstellungsbetrieb machen, lernen und experimentieren können. Als aktive Vernetzungsplattform bietet es den Künstler*innen ein professionelles institutionelles Umfeld in Form von Diskursen, Ausstellungen, Artists in Residence etc. Du bist selbst eine junge Künstler*in/Kurator*in? Dann wende dich gerne an das weisse haus!
Off Space: Nichtkommerzielle, unabhängige Ausstellungsräume für junge, unetablierte zeitgenössische Kunst, die oft in Ateliers, zwischengenutzten Räumen oder in Privatwohnungen realisiert werden. Im Vergleich zu Galerien und Institutionen ist das Programm flexibler und kostengünstiger gestaltbar.
White Cube: Ausstellungskonzept, Kunst in weißen Räumen auszustellen, um die Architektur deutlich hinter das Kunstwerk zu stellen und einen neutralen Raum zu bieten.
Nina Schuiki: Die 1983 in Graz geborene Künstlerin ist in Berlin ansässig, von ihr ist die aktuelle Einzelausstellung Tomorrow I Will Leave. Die Ausstellung läuft noch bis zum 30.10.2021.
Kurator*innen: Gestalten und betreuen Ausstellungen und Sammlungen. Auch erhalten und bauen sie die künstlerischen und wissenschaftlichen Bestände von z.B. Museen aus. Das Wort kommt vom lateinischen curare (pflegen, sich sorgen um).