Wie offen kann ein Mensch im öffentlichen Raum sein?
Das LOT im 10. Bezirk - Wie eine transdisziplinäre Kunstraum-Eröffnung mich zum Nachdenken gebracht hat.
Schon bei meiner Anreise mit der 6er Bim und dann auch vor dem LOT denke ich mir: Irgendwie sieht Wien heute ein bisschen aus wie Berlin. Vielleicht liegt es am 10. Bezirk, vielleicht auch daran, dass ich bis jetzt nur wenig Zeit in Berlin verbracht habe. Das nächste, was mir auffällt, sind die Gäste des Abends. Alles sehr hippe, coole und v. a. schöne Menschen mit viel Ausstrahlung, die auf ihre jeweilige Art zeigen, dass sie irgendwas mit Kunst zu tun haben.
Das LOT beschreibt sich selbst als Hotspot für transdisziplinäre Kunst in Favoriten und wurde von sechs Künstler*innen verschiedener Sparten gegründet. Sie bieten neben eigenen Ausstellungen und Projekten ihren Raum auch anderen Kunstschaffenden für deren Arbeit an. Ich betrete also - nachdem ich die Location und die Menschen bewundert habe - den Raum mit den rustikalen Ziegelwänden. Das erste, was ich sehe, ist eine Foto- und Podcastreportage über das Leben von Jugendlichen im 10. Bezirk. Hier wird sich mit der Umgebung auseinandergesetzt, auch O-Töne von Anwohner*innen, die berichten, welche Kunst sie sich in ihrem Bezirk wünschen würden, erzählen davon.
Ein Stück Haut mit einer Einwegkamera ablichten in einer Rotlichtkabine
Es gibt zwei Stationen in dieser Ausstellung, die mich besonders faszinieren: Die erste ist ein kleiner Raum, der mit DESIRE betitelt wurde. Rotes Licht empfängt mich. Dort mache ich genau nach der Anleitung zuerst mit einer Einwegkamera ein Bild von einem Stück meiner Haut, das ich (nicht) mag und schreibe dazu eine Erinnerung auf einen Zettel. Ich komme mir sehr bei mir, sehr vertraut vor, obwohl ich hier, heute Abend fast niemanden kenne. Es fühlt sich schön an, für einen Moment so verwundbar zu sein. Niemand sieht mir zu, aber jemand wird dieses Foto sehen und diesen Zettel lesen. Maren Streich, die diesen Raum gestaltet hat, nutzt DESIRE als Recherche für ein Projekt, das sie nächstes Frühjahr im öffentlichen Raum realisieren will.
Mein zweiter Favorit ist HOMO HAPTICUS. Ich stelle mich in eine telefonzellengroße Kabine, hinter mir wird die Tür zugemacht und ich drücke Play auf einem alten iPod shuffle. Eine männliche Stimme bittet mich, die Augen zu schließen. Und auf einmal füllt ein treibender Bass den kleinen Raum aus, der in diesem Moment meine ganze Welt zu sein scheint. Ich bin sofort drin in diesem Rave, der alleine stattfindet. Nur für mich. Das Unfassbare für mich ist, dass ich nicht nur für die anderen Besucher*innen der Ausstellung sichtbar beginne zu tanzen (da nur eine Glastür diesen Raum von der Außenwelt trennt), sondern dass ich die anderen Menschen, die man von einem Rave um sich herum kennt, wirklich spüren kann.
Ich bin alleine und fühle trotzdem die rhythmisch wippende Masse
Während mir beschrieben wird, was gerade in meinem Körper passiert und welches Hormon ausgeschüttet wird, wird mein Atem schwerer. Dieses Mal aber nicht wegen der Maske, sondern weil ich das Gefühl habe, seit fünf Stunden im Club zu tanzen. Ich kann den Schweiß der anderen, Hände, die mich zufällig berühren, um mich herum spüren. Ich wippe im Beat und kann nicht mehr aufhören zu grinsen. Meine Haut, die all diese Berührungen vermisst hat, scheint ein Eigenleben zu führen.
Und ich frage mich: Wie offen, authentisch und damit verletzlich zeigen wir uns eigentlich in der Öffentlichkeit? Wie viel davon ist uns möglich? Der rote DESIRE-Raum war schon ein sehr intimes Erlebnis für mich, nur hat mir niemand dabei zugesehen. Beim Tanzen vielleicht schon - ich weiß es nicht, meine Augen waren ja zu.
Ein Raum voller privater Momente
Meine letzte Station beim LOT-Opening ist eine Lesung per Bluetooth-Kopfhörer. Ich muss zugeben, dass ich nicht alles voll mitgekriegt habe, da die Stimmung um mich herum so faszinierend war. Ein paar von uns Anwesenden hören etwas, was die anderen nicht hören - schon wieder ein sehr privater Moment. Und im Gegensatz zu anderen Kunstevents, komme ich mir dieses Mal nicht außen vor vor, denn manche Gesichter kenne ich sogar von irgendwo her. Das LOT hat eine gemeinschaftliche Stimmung geschaffen, die alle irgendwie abholt. Ich werde erst gefragt, ob ich Drehzeug habe und dann, wie ich denn auf diese Mauer hochgekommen bin. Irgendwie bin ich mittendrin und es fühlt sich richtig gut an.
Das LOT gibts auf Instagram und auch bald auf ihrer Website. Oder bei der nächsten Veranstaltung live vor Ort. Es lohnt sich.