Zwei Schicksale im Regen der Zerstörung

„Mama, ist meine Zukunft wirklich so düster?“ - Das Werk X-Petersplatz zeigt mit Gott ist nicht schüchtern die fatalen Auswirkungen des Syrischen Bürgerkrieges.

Foto: Alexander Gotter, WERK-X

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Zweimal wurde das Theaterpublikum in dieser Spielzeit aufgrund der Corona-Maßnahmen schon vertröstet, letzten Donnerstag war es soweit: Die österreichische Erstaufführung der Romanadaption von Gott ist nicht schüchtern (Olga Grjasnowa) kam im Werk X-Petersplatz auf die Bühne – vor leeren Rängen. Denn: Die Inszenierung unter der Regie von Susanne Draxler feierte per Video-on-Demand ihre Online-Premiere.

Amal und Hammoudi stellen zwei menschliche Schicksale in den zerstörerischen Fängen des syrischen Bürgerkriegs dar, zwei Lebensgeschichten, die sich ab einer abrupten Wende eher wie Albträume lesen lassen. Folter, Überwachung, öffentliche Bloßstellung und körperliche Bedrohungen zwingen den Mediziner und die politisch engagierte Schauspielerin dazu, nach Europa zu fliehen. In Berlin treffen sie einander wieder – hier setzt das Stück an.  

Amal: „Und was stimmt mit dir nicht?“

Hammoudi: „Ich habe zugesehen, wie neunhundertsiebzehn Menschen starben.“

Foto: Alexander Gotter, WERK-X

Foto: Alexander Gotter, WERK-X

In der 1 ½ stündigen Aufführung bespielen Diana Kashlan in der Rolle der Amal und Johnny Mhanna als Hammoudi die Bühne. Aus den Rückblenden auf unzusammenhängende Begegnungen und Eindrücken aus dem kriegsgeschundenen Syrien entsteht eine Narration, die sich nicht von Raum- oder Zeitgrenzen bändigen lässt. Aus einem anfänglichen Dialog zwischen den Protagonist:innen erwächst ein Netz von Figuren, Erfahrungen und Begebenheiten. Sie sprechen übereinander und miteinander, erzählen sich etwas und erzählen über etwas, sie verkörpern Verwandte, Freunde, Soldaten oder Beamte oder ganz einfach sich selbst.

Amal: „Ich dachte, die Demonstration wäre genehmigt.“

Vater: „Wer hat dir erlaubt zu denken?“

Der Bühnenraum kann alles sein, ohne dabei Anspruch auf Eindeutigkeit zu erheben. Mal findet man sich im Krankenhaus wieder, in einem Wohnzimmer, an einer Bar oder in einer leichengesäumten Pathologie im städtischen Krankenhaus – dabei ist die Ausstattung simpel. Helle Holzkonstruktionen, die wie große Legosteine anmuten, werden von den SchauspielerInnen bewegt und nach Notwendigkeit aufgestellt, umgelegt oder verschoben.

Bühne als Möglichkeits(t)raum

Es ist ein ständiges Tun, das Bühnenbild ist nie vollendet, sondern befindet sich permanent im Umbau. Plastikvorhänge können in einem Moment die Kulisse für eine erotische Duschszene sein und im anderen schon für die knallenden Geräusche einer Bombenexplosion sorgen. Starre Gliedmaßen von Schaufensterpuppen sind zuerst reglose Requisite und plötzlich die Leichname von Verstorbenen, die in erzählten Geschichten noch einmal lebendig werden. Hawy Rahman sorgt mit seinem minimalistischen Bühnenbild für eine starke Symbolik, die in einem ständigen Wechsel Türen öffnet und schließt. Jedes Element ist mehrdimensional angelegt, im Bühnenbild und darüber hinaus.

Foto: Alexander Gotter, WERK-X

Foto: Alexander Gotter, WERK-X

Hammoudi: „Mama, ist meine Zukunft wirklich so düster?“

Mutter: „Gott wird es richten.“

Kashlan und Mhanna machen in ihren Rollen aus einer politischen Tragödie etwas Privates, etwas erschreckend Menschliches. Bei aller Aussichtslosigkeit blitzen doch Momente der Hoffnung auf, die just in nächster Sekunde im Keim erstickt werden, um anschließend wieder neu aufzuflammen. Draxlers Inszenierung lebt von ihrer Sprunghaftigkeit, von ihrer Unkalkulierbarkeit. Liebe, Glaube und Hoffnung sind dabei keine leeren, religiös geprägten Schlagworte, sie sind Teil des Menschseins, Teil von uns.

Das Gute am digitalen Rahmen: Die geschnittene Fassung ist noch bis zum 03. März 2021 um Mitternacht kostenlos verfügbar.

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