Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Erste Eindrücke vom Crossing Europe Film Festival 2023: A Blast - Ein Film über wirtschaftliche Zwänge, gesellschaftliche Normen und eine Frau, die sich von all dem lösen will.

© Homemade Films

Was ist, wenn man in dem Leben, das man sich über lange Zeit aufgebaut hat, todunglücklich ist?  Genau vor diesem Problem steht Maria, sie lebt mit ihren 2 Kindern in Athen, während ihr Mann die meiste Zeit als Kapitän auf See verbringt, nebenbei hilft sie im Lebensmittelladen ihrer Mutter aus. Den Film über begleiten wir sie dabei, wie sie zu der Einsicht kommt, dass sie mit ihrem aktuellen Leben unzufrieden ist, versucht einen Schlussstrich zu ziehen und alle aktuellen Beziehungsgeflechte, mit Familie und Freunden, aufzulösen. Durch Schnitte springen wir dabei immer wieder in den Zeitlinien hin und her, zwischen den Anfängen, der Beziehung mit ihrem Mann und der Gegenwart. Das verwirrt anfangs etwas als Zuschauer:inn, da die Zeitsprünge nicht näher eingeordnet werden, muss man sich als Zuschauer:inn selbst darin zurechtfinden. Uns wird dabei zu Beginn eine Beziehung gezeigt, die von sehr viel Leidenschaft geprägt ist, man sieht die beiden fast ausschließlich leichtbekleidet im Bett, es könnte argumentiert werden, dass die Beziehung von vornherein nur von der sexuellen Anziehung der Beiden zueinander getragen wird.

Zeitlich ist die Geschichte in dem krisengebeutelten Griechenland der 2010er Jahren verortet. Dabei wird auch inhaltlich immer wieder darauf Bezug genommen, wie wirtschaftlicher Druck das Leben von Menschen beeinflusst und einschränkt. So findet Maria an einem Punkt im Film heraus, dass ihre Mutter und ihr Lebensmittelladen hochverschuldet sind und sie die Tatsache lange Zeit vor ihrer Familie geheim hielt. Von da an, ist finanzieller Druck ein konstantes Thema im Film, das unterschwellig immer mitschwingt – so kann „A blast“ auch als Kapitalismuskritik gelesen werden.

© Homemade Films

Besonders hervorzuheben, ist das Verhältnis der Frauen Figuren zu den männlichen. Laut feministischer Filmtheorie wird die Frau im breiten Mainstreamkino zum Schau Objekt, es sind oftmals die männlichen Figuren, die die Handlung vorantreiben, wie beispielsweise in „Transformers“ mit Meghan Fox, indem die Schauspielerin einzig und allein als „Eye-Candy“ fungiert und sonst nichts zum Film beiträgt. Dieses Verhältnis wird hier umgedreht, während ihre Mutter, im Rollstuhl sitzend, immer noch das Sagen über den kleinen Lebensmittelladen hat, tritt ihr Ehemann kaum in Erscheinung und fügt sich dem Willen seiner Frau. Als der Mann ihrer Schwester, der insgesamt auch passiv auftritt, die Hand gegen Marias‘ Schwester erhebt, wird er kurze Zeit später von Maria Windel weich geprügelt. So kann auch Marias‘ ausbrechen, aus ihrem Leben, als Akt der Rebellion gegen das Patriachat verstanden werden. Ihrem Mann sieht man außerdem auch sehr oft leichtbekleidet, sodass argumentiert werden könnte, er fungiert hier als Eye – Candy, außerdem ist Yannis, von dem sie auch finanziell abhängig ist, die meiste Zeit auf See und so sehen wir Maria den Großteil des Filmes über, wie sie zuhause auf ihn wartet, sie gibt sogar Ihr Studium auf, um mehr für Familie und Kinder da zu sein, bis sie sich schließlich eben auch von diesem Abhängigkeitsverhältnis löst.

Gezeigt wurde der Film im Zuge der Tribute Sektion des Crossing Europe 2023, die dieses Jahr der Schauspielerin Angeliki Papoulia gewidmet wurde, die hier die Hauptfigur spielt. Die Wandlung von Maria zeichnet sich nämlich nicht nur durch die Handlung ab, allein durch verschiedenes Auftreten von Maria, in den unterschiedlichen Zeitpunkten des Filmes, wird uns als Zuschauer bewusst, dass hier eine veränderte Frau vor uns steht. Im Q&A nach dem Film erzählt uns Papoulia, dass die Rolle auch schauspielerisch eine Herausforderung für sie dargestellt hat. Sie identifiziere sich während dem Prozess immer sehr stark mit ihren Figuren. Um den Bruch, den Maria hinterher durchläuft, überzeugend zu performen, versuchte Papoulia, tatsächliche Beziehungen zu den anderen Figuren aufzubauen, was den Bruch hinterher auch für sie persönlich nicht einfach gemacht hat. Auf die Rezeption des Filmes innerhalb Griechenlands angesprochen, sagt Regisseur Tzoumerkas, dass der Film sehr kritisch aufgenommen wurde, was wohl vor allem an der Hauptfigur und den gesellschaftlichen Problemen innerhalb Griechenlands liegen würde, die wohl ziemlich gut getroffen wurden. Laut Tzoumerkas stellt a "A Blast" einen Vertreter des griechischen Undergroundkinos der 2010er Jahre dar.

© Phillip Kaiser

Am Ende zeichnet „A Blast“ eine untypische Frauenfigur, eine Frau, die unbequem ist, die sich nicht ihrem Schicksal fügt, ja sogar dagegen aufbegehrt. Das allein macht ihn zu einem wichtigen Film – ich will mehr Filme mit unbequemen Frauenfiguren sehen! Auch, wenn der Film bereits 2014 veröffentlicht wurde, machen ihn seine Themen zu einem leider auch heute noch sehr aktuellen Film. Die Art wie Angeliki Papoulias‘ Rolle angelegt ist, macht es für Zuschauer:innen etwas schwer mit ihr mitzufühlen  - dabei sollte doch jedem klar sein: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.

Previous
Previous

So, wie wir miteinander sind…

Next
Next

ESC 2023: What (the hell) we know so far