„Ach geil, es gibt ein Outbreak in China. Das passt ja ur gut zu unserem Stück.“

Wie aus einer surrealen Produktion des OFF Theaters Realität wurde - Ernst Kurt Weigel über vergangene Produktionen, Brecht, Parallelwelten und neue Wahrnehmungsräume.

Foto: Walter Mussil, (c) DAS OFF THEATER

Foto: Walter Mussil, (c) DAS OFF THEATER

Es arbeiten 13 Personen im Off Theater. Die Mitarbeiter:innen werden dreimal die Woche getestet. Es wird geprobt und gefilmt, währenddessen eine Lüftungsanlage eingebaut und Heizungen saniert. Im Theater wird man kreativ. Während einer Pandemie eben umso mehr. Ernst Kurt Weigel – künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Off-Theaters, Regisseur und selbst Schauspieler – verliert ganz bestimmt nicht Humor, Energie und Schöpfertum während dieser Krise. Mit seinem Ensemble blickt er tief in die menschliche Seele und entwickelt durch das Bühnenformat des Mash-Ups gemeinsam mit seinen Schauspieler:innen die Stücke. Die letzte Produktion - THE.HELDENPLATZ.THING - erzählt grotesker Weise von einem (außerirdischen) Virus, der sich auf der Welt ausbreitet. Das Stück wurde nur ein einziges Mal aufgeführt. Neben der positiven Stimmung, die ich hier im Off-Theater selbst ein Jahr nach Pandemie-Start mitbekomme, wird auch mal auf Wiener Art gesudert. Und das zu Recht.

Wie habt ihr den Start der Pandemie wahrgenommen?

Die Theater sind hypernervös gewesen – von Anfang an. Vor allem auch, was das Publikum betrifft. Letzten Herbst – mit contact tracing, Abstand halten, mit diesem ganzen Pipapo. Mit Desinfektionen. Mit Fiebermessen haben wir angefangen – im Herbst. Was dann nicht mehr ging, weil ist klar: Als es kälter geworden ist, kannste nicht mehr Fieber messen, weil alle Leute natürlich eine sehr geringe Hautoberflächentemperatur hatten. Wenn beispielsweise jemand mit dem Radl gekommen ist, muss er sich erstmal 10 Minuten abkühlen, weil du dann ja oft stark erhitzt bist. Drum haben wir das dann irgendwann weggelassen, weil wir dann gesehen haben, dass es auch so geht: Mit Abstand und Masken.

Konntet ihr weiter proben?

Proben durften wir immer. Es gab ja wilde Diskussionen darüber; dürfen wir proben, dürfen wir nicht? Das war ja auch nicht so ganz klar. Aber im Prinzip ist es wie in jedem Betrieb: Wo du es vermeiden kannst, vermeidest du es und gehst ins Homeoffice. Aber das geht halt beim Schauspiel nicht. Du kannst wochenlang vor Zoom sitzen und Konzepte ausarbeiten, aber irgendwann ist Schluss damit. Da musst du dann auf die Bühne und miteinander agieren.

Wie sah das mit euren Produktionen währenddessen aus? 

Mit THE.HELDENPLATZ.THING hatten wir am 10. März 2020 Premiere. Grotesker Weise geht es bei dem Stück ja um einen Virus. Es geht um einen außerirdischen Virus, der alle mit Antisemitismus ansteckt. Wir haben uns monatelang damit beschäftigt: Was ist, wenn eine Pandemie ausbricht? Was sind die Auswirkungen einer Pandemie? Das war völlig absurd. Als wir im Jänner begonnen haben zu proben, hieß es plötzlich: Da bricht wirklich eine Pandemie aus. Das lief total parallel ab. Und wir meinten noch: Ach geil, es gibt ein Outbreak in China. Das passt ja ur gut zu unserem Stück. Wir haben sogar auf den Original-Karten den Slogan drauf: Get infected now (lacht). Das war der Slogan unserer Produktion. Naja… und da sind wir all diese Sachen durchgegangen. Dieses Misstrauen, das Glauben oder Nicht-Glauben, das Verleugnen von dem Virus und dieses ‘Das ist doch keine Krankheit; das ist doch nur ‘ne Haltung‘ und so weiter. Diese abstrusen Erklärungen und Verschwörungstheorien – die habe ich nicht so vorausgesehen. Das kam in unserem Stück nicht vor.

Ausschnitt aus dem Programmheft, pls get infected

Ausschnitt aus dem Programmheft, pls get infected

Wie ging es dann weiter?

Na dann wurde es richtig spooky. Du bist im Premierenfieber und bekommst nichts so richtig mit. Als die Premiere dann stattfand und der Bezirksvorsteher reinkam und mir nicht die Hand geben wollte, sondern nur den Ellenbogen hingehalten hat, ist mir bewusst geworden: Alle, alle Zuschauer hatten schon Panik sich anzustecken. Es hatten auch schon einige vorher abgesagt. Was komplett ungewöhnlich ist – Premierenkarten gibt niemand zurück. Das war auch die einzige Vorstellung, die wir hatten. Das Stück wurde nie wieder gezeigt und es wird auch nie wieder gezeigt. Das ist schon eingestampft.

Das Bühnenbild ist schon längst verkauft. Das aufwendige Bühnenbild muss gelagert werden. Das ist für das Theater unmöglich so lange zu tragen. Das Bernhard.Ensemble wartet auf keine weitere Öffnung. Kurzerhand wird aus dem Stück ein Film gemacht. Ein Film, der das Geschehen nicht bloß abfilmt, sondern immersiv und interaktiv arbeitet. So wie die Stücke sonst auch funktionieren. Die Kamera, die uns den Raum zum theatralen Geschehen eröffnet, wird als Mitspieler aufgefasst.

Wie habt ihr eure Aufführungen während der Pandemie erlebt?

Es war super nett, dass die Vorstellungen sofort wieder ausverkauft waren und die Leute sofort wieder zurückgekommen sind. Darum habe ich auch überhaupt keine Angst, dass sie nach dem Ganzen nicht wieder zurückkehren werden, aber allein die Tatsache, dass da alle Leute mit Masken drin saßen war schon scheiße eigentlich. Das drückt total auf die Stimmung. Vor allem beim Moreno war klar, dass wir immersiv arbeiten wollen. Aber wir konnten nicht an die Zuschauer ran. Außer mit 2-Meter Sicherheitsabstand. Vieles ist nicht so aufgegangen wie wir wollten. Jetzt haben wir halt auch alle gewartet, gewartet, gewartet, aber dennoch ist nichts passiert.

Das war das depperte an der Regierung. Dass sie nicht einfach gesagt haben: So, bis Weihnachten ist zu. Dann schauen wir, wie es weiter geht.‘ Sondern immer dieses: ‚Ja, vielleicht die nächsten drei Wochen.‘ Kennst eh die berühmten: ‚Jetzt die nächsten Wochen sind entscheidend…‘ Ja, fuck you! Das glaubt dir eh keiner mehr. Ich habe schon im Dezember gesagt, wir werden bis zum Sommer nicht aufsperren. Und ich zittere jetzt schon vor dem Herbst. Ich zittere, weil ich auch nicht glaube, dass wir im Herbst so einfach aufsperren. Also ich glaube schon, dass wir aufmachen. Nur halt unter extremen Bedingungen.

Das Off-Theater stellt sich den neuen Herausforderungen

Das Theater bleibt digital mit dem Publikum in Kontakt. Fährt kurzerhand ins Burgenland, um mit dem offenen Haus Oberwart (OHO) live zu streamen.

Man lernt ja voneinander. Ich lerne ja auch von diesen Leuten, die jetzt schon Erfahrungen haben mit dem ganzen Streaming. Damit haben wir auch wieder was gelernt. Ja hey cool – Pandemie, wir können eh nicht spielen. Somit beschäftigen wir uns ganz intensiv mit diesen Dingen. Und schauen, was man da machen kann. Vielleicht bringt es uns etwas bzw. gehe ich ja auch so weit zu sagen: Wenn es mal wieder soweit ist, habe ich ein paralleles Publikum.

Foto: Günter Macho, (c) DAS OFF THEATER

Foto: Günter Macho, (c) DAS OFF THEATER

Plant ihr somit dann auch, parallele Formate einzuführen?

Ja, absolut. Drum mache ich auch mit bei der Offensive der Digitalisierung der klassischen oder analogen Kunst. Das geht dann auch soweit, dass wir einfach während der analogen Vorstellung 20 Minuten live einsteigen. Das muss das Publikum gar nicht mitkriegen. ODER wir sagen zu jemandem im Publikum: Können Sie bitte mitfilmen? Sie sind heute das Kamerateam 1. Da gab es doch früher auch dieses Kamerakind bei 1, 2 oder 3 mit Michael Schanze … (lacht). Solche Sachen. Das find ich lässig. Entweder es hat dann eine Wirkung oder keine. Das heißt also man muss sich umtun. Man muss diese Medien auch bespielen. Es ist eine Herausforderung, aber man muss es nur wollen. Dass das nicht das gleiche ist, ist eh klar.

Das Publikum wird selbstverständlich schmerzlich vermisst. Dennoch sieht Ernst Kurt Weigel auch hier das Positive:

Wenn du selber daheim im Bett streamst kannst du essen, du kannst rauchen dabei; das ist schon cool. Du kannst Theater und Kultur so konsumieren wie es der Brecht immer wollte. So wie Kino halt, ne? Dass das aber nicht das Ende der Fahnenstange ist, wissen wir ja. Aber ich lerne sehr viel davon.

Und er hält seine Mitarbeiter bei Laune. Der Alltag fehlt. Die Projekte fehlen. Sich aufraffen und gemeinsam etwas kreieren. Vor Publikum und mit dem Publikum. Daher müssen kurzerhand Parallelwelten geschaffen werden. Bei dem Streaming sind alle an Board. Das Licht; der Ton; die Kostüme. Ein Stück Normalität eben. Der Theaterbegriff soll weiter gehen. Theater soll formen – auch in dem es sich selbst weiter formt.

Machst du dir dennoch Sorgen um das Theater?

Nein, da mache ich mir keine Sorgen. Weil warum? Die Leute werden nach wie vor gerne weggehen. Sie werden natürlich als erstes zum Heurigen gehen oder sich auf der Donauinsel besaufen (lacht). Aber neee. Sie lechzen ja alle nur danach. Selbst ich freue mich wieder auf die nächsten Theaterbesuche. Als Theatermacher bist du ja auch einfach beruflich so oft im Theater. Du gehst ja auch zu den Kollegen.

Was bleibt noch zu sagen?

Irgendwann wird das auch alles funktionieren. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann spielen wir auch morgen.

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