Vom Laufsteg ins Kloster - Mission impossible?

Victoria’s Secret-Flügel so weit das Auge reicht, großes Drama und ein schnulziges Zwischenspiel, das auch du mitpfeifen kannst - Massenets Thaïs im Theater an der Wien.

Die Versuchung: Josef Wagner (Athanaël), Nicole Chevalier (Thaïs), (c) Werner Kmetitsch

Die Versuchung: Josef Wagner (Athanaël), Nicole Chevalier (Thaïs), (c) Werner Kmetitsch

Jules Massenets Oper Thaïs wurde im Theater an der Wien vom Regiegiganten Peter Konwitschny inszeniert und für die Kameras aufgeführt. In einer knackig gekürzten Version bringt er dieses selten gespielte Werk gehaltvoll und tiefgründig auf die Bühne: Nicht einmal zwei Stunden (!) dauert der Stream – Zeit, die man sich unbedingt nehmen sollte, um in diese Produktion einzutauchen.

Antiquiertes Frauenbild: Häckchen

Der Inhalt des Stücks ist schnell erklärt: Athanaël, ein Einsiedlermönch aus Alexandria, macht es sich zur Mission, die berühmteste Kurtisane Ägyptens (Thaïs) zu seinem Glauben zu bekehren. Anfangs lacht die begehrte Thaïs ihn noch aus, doch er erwischt sie in einer Krise der Vergänglichkeit und Liebe, die sie erkennen lässt, dass ihr Leben so nicht weiter gehen kann. Bekehrt und gehorsam lässt sie mit dem Mönch ihr Hab und Gut zurück, um durch die Wüste ins Kloster geleitet zu werden. Mission completed könnte man sagen, doch das wäre zu einfach. Athanaël will die schöne Thaïs nämlich nicht mehr aus dem Kopf gehen und er kehrt zum Kloster zurück, um ihr seine Liebe zu gestehen - allerdings zu spät, denn Thaïs stirbt gerade in freudiger Erwartung des Himmelreichs.

Nicole Chevalier (Thaïs) wird erleuchtet, daneben Mitglieder:innen des Arnold Schoenberg Chors, (c) Werner Kmetitsch

Nicole Chevalier (Thaïs) wird erleuchtet, daneben Mitglieder:innen des Arnold Schoenberg Chors, (c) Werner Kmetitsch

So mancher wird sich jetzt die Frage stellen, was an dieser kitschigen Geschichte interessant oder tiefgründig sein soll, da wirken sogar die knappen zwei Stunden zu viel. Tatsächlich haben wir es in dieser Oper aber mit zwei sehr spannenden Entwicklungen zu tun, die komplett aneinander vorbeilaufen: Thaïs flieht von ihrem Prostituierten-Dasein in den Glauben während Athanaël durch Thaïs zurück zur irdischen Liebe findet (und dabei sein wirklich gestörtes Frauenbild offenbart). Die zwei Hauptdarsteller:innen haben also beide einen großen inneren Konflikt zu bewältigen und verpassen sich in ihrer Entwicklung dabei.

Flügel à la Victoria’s Secret

Peter Konwitschny, ein Könner der Personenführung, lässt die Geschichte vor einem Rundhorizont-Vorhang und einer nur karg bestückten Bühne spielen. Sei es ein Sandhaufen, ein Laufsteg oder ein Sofa – diese Produktion mit schauspielerisch absolut talentierten und engagierten Darsteller:innen braucht nicht viel Dekoration, um große Eindrücke zu vermitteln. Herausstechend sind die Flügel, die in unterschiedlichen Versionen bis zu Thaïs Bekehrung getragen werden und mit denen sie in Victoria’s Secret-Manier einen starken ersten Auftritt hinlegt.

Roberto Sacca (Nicias), Nicole Chevalier (Thaïs), Arnold Schoenberg Chor, Statisterie des Theater an der Wien, (c) Werner Kmetitsch

Roberto Sacca (Nicias), Nicole Chevalier (Thaïs), Arnold Schoenberg Chor, Statisterie des Theater an der Wien, (c) Werner Kmetitsch

Nach diesem glamourösen Eindruck lernt man das Revue-Girl allerdings genauer kennen: Sie geht auf einen Kameramann los, nimmt Drogen und verzweifelt, als sie sich in einem Augenblick allein vor dem Spiegel abschminkt. Mit dabei ist hier ein kleiner Amor, der später von Athanaël im Kampf gegen die aufflammende Begierde prompt erschossen wird – ein sehr starkes Bild, von denen es in dieser Produktion noch mehr gibt.

Der größte Hit: ein Zwischenspiel

Der absolute Hit dieser Oper ist ein symphonisches Intermezzo: Die Méditation, die für Solo-Violine und Orchester geschrieben ist und den Vorgang der inneren Umkehr der Kurtisane schildert. Im Theater an der Wien ist hier das großartige ORF Radiosymphonieorchester unter der Leitung von Leo Hussain zu hören. Weiters glänzen Nicole Chevalier und Josef Wagner in den anspruchsvollen Partien der Thaïs und des Athanaël, die von einem hervorragend singenden, wie spielenden Ensemble und Chor umgeben sind.

Knappe 2 Stunden Zeit für einen Kulturabstecher in die französische Oper? Dann nichts wie in die ORF TV-Thek, dort ist die Aufnahme der Thaïs bis nächsten Sonntag verfügbar.

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