Anders über das Ende nachdenken

Franz-Xaver Mayr und Korbinian Schmidt realisieren mit Der Anfang, das Ende am Theater Drachengasse eine experimentalfilmische Skizze über das Altwerden.

Foto: Marcella Ruiz Cruz, Theater Drachengasse (c)

Foto: Marcella Ruiz Cruz, Theater Drachengasse (c)

„Hallo mein Kind…“, so beginnt der einleitende Text, der vor mir auf dem Bildschirm erscheint, Wort für Wort, Zeichen für Zeichen, als würde er auf meiner Tastatur getippt. Die Nachbarin sei neulich verstorben, lese ich weiter, und es sei an der Zeit, uns über das Altern zu unterhalten. Denn das betrifft uns schließlich alle, ob wir wollen oder nicht.

Was als Theaterstück geplant war, wurde coronabedingt zur Filmcollage.

Es folgen szenische Fragmente, mal prosaisch, dann abstrakt und wortlos, aneinandergereiht zu einer fünfundvierzigminütigen filmischen Collage: Der Anfang, das Ende (Regie: Franz-Xaver Mayr und Korbinian Schmidt). Was als Uraufführung auf der Bühne des Theaters Drachengasse geplant, dann verschoben und schließlich abgesagt wurde, manifestiert sich nun als Film live im Netz. 

Zu sehen sind etwa: Einzelpersonen die, den Blick frontal in die Kamera gerichtet, von persönlichen Erfahrungen und Schicksalen mit der letzten Lebensphase und darüber hinaus mit dem Sterben, dem Tod, berichten. Dann Cut. Auf dem Bild breitet sich langsam eine Blutlache aus. Cut. Eine Person in Fuchsmaske (Kostüme: Korbinian Schmidt, Verena Geier) erzählt von Alkoholproblemen und multiplem Organversagen. Cut. Ein Chor, der aus ein und derselben mehrmals vervielfältigten Frau besteht. Cut. Atmosphärisches Summen im Hintergrund. Ein Ball aus Metallmüll pendelt, an einem Faden hängend, im Kreis. Ein Schnipsel hier, ein Schnipsel dort. Buntes Licht darauf gerichtet, dessen Farbton sich allmählich ändert. Keine Verortung im Raum ist hier noch möglich. Fade-in. Effektspielereien am Computer. Fade-out.

„Von wem es kein Bild gibt, der kommt nicht vor.“

Dann ein weiterer Monolog. Während es Konfetti auf ihn regnet, erklärt ein Rothaariger quasi die Ikonografie des Alters in der Werbung, spricht von „best-agern“, die strahlend und kräftig in grüne Äpfel beißen. Und von der anderen Seite des Altwerdens: Jener, die nicht gezeigt wird, weil sie niemand sehen will. Jener Seite, die düster und beklemmend ist, über die nicht gesprochen und an die vielleicht nicht einmal gedacht werden will. Obwohl sie doch zum Leben dazugehört, unweigerlich. Sie lässt sich bloß eben nicht vermarkten. Des Rotschopfs Worte prasseln auf die Kamera ein. Dann cut. 

Foto: Marcella Ruiz Cruz, Theater Drachengasse (c)

Foto: Marcella Ruiz Cruz, Theater Drachengasse (c)

Am Ende von Der Anfang, das Ende bin ich unsicher, ob das tatsächlich schon das Ende vom Ende, also von Anfang und Ende… war. Was wie ein ausgedehnter Prolog wirkt, ist nach einer Dreiviertelstunde ohne Dramaturgie, ohne Dialog oder jegliche Interaktion der Figuren vorüber. Es ist und bleibt eine Skizze, ein Fragment voller Gedanken und Bilder zu einer hochinteressanten, hochsensiblen Thematik, die letztlich jedoch nur angerissen und wie eine lose Sammlung von Ideen am Reißbrett präsentiert wird. Im besten Falle liefert der kurze Abend einen Impuls, anders über das Alter nachzudenken. Es besteht allerdings das Risiko, dass dieser Impuls unter einer dicken Schicht von Glitzerkonfetti, Stoffnudeln und Computereffekten erstickt wird.

 

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