Queer Cinema aus queerer Perspektive

Retropspektive Women I Love über Barbara Hammer: weil wir auch heute noch gegen gesellschaftliche Stereotype ankämpfen müssen und uns eine lange, holprige Fahrt bis zur Gleichberechtigung bevorsteht.

Foto: Barbara Hammer, Women I love (1976) 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Foto: Barbara Hammer, Women I love (1976) 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Queere Geschichte - ein Thema, das bereits Nico Reiter in einem Artikel auf Bohema angeschnitten hat – heute aus Hammers queerer Perspektive.

Als die 2019 verstorbene Künstlerin und Aktivistin Barbara Hammer in den 70er-Jahren Film an der San Francisco University studierte, suchte sie vergeblich nach authentischen queeren Repräsentationen in der Filmwelt. „There was a blank space“, erklärte sie in einem Interview mit Cheryl Dunye. Also nahm sie die Sache selbst in die Hand und schuf als erste offen lesbische Filmemacherin „Filme über Frauen für Frauen“.

Wahrheit oder Fiktion?

Hammer sah sich mit einer patriarchalen Filmwelt konfrontiert. Männer schrieben das Drehbuch, hielten die Kamera und spielten die Helden. Das Beste: Sie drehten auch Filme über lesbische Frauen. Für Hammer ein Witz. Sie suchte einen Weg, um queere Geschichte neu zu schreiben - aber aus queerer Perspektive. Das gelingt ihr auf humorvolle Weise in History Lessons. In Nitrate Kisses ergründet sie, wer überhaupt die Geschichte schreibt und wer von dieser ausgeschlossen ist. Was ist Fiktion, was Wahrheit? Unsichtbare Menschen, zu denen auch sie als Lesbierin, Frau und Künstlerin gehörte, sind die Stars ihrer Filme. Damalige Tabuthemen - lesbisches Begehren, Geschlechterrollen, Krankheiten, das Altern und der Tod - sind Dreh- und Angelpunkte ihrer Experimentalfilme.

Foto: Barbara Hammer, Nitrate Kisses (1992) 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Foto: Barbara Hammer, Nitrate Kisses (1992) 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Körper und Sex werden in ihrer natürlichen Pracht zelebriert. Indem sie die Bilder überlappt, dupliziert, ineinander verschwimmen lässt oder einfärbt und mit Musik bzw. Klängen überspielt, vermeidet sie bewusst den voyeuristischen Blick. Gleichzeitig erlaubt ihr diese Arbeitsweise, eine Verbindung zwischen historischen Ereignissen herzustellen und Szenen früherer Aufnahmen mit aktuellen zu überblenden: Geschichte ist Teil unserer Gegenwart. Deshalb heißt die Ausstellung, die nach einem ihrer Filme benannt ist, auch Women I love und nicht Women I loved.

„Haptisches Kino“- mit den Liebenden in Berührung

Im Franz Josefs Kai 3 widmet man ihr zum ersten Mal in Österreich eine retrospektiv angelegte Ausstellung, die über 20 filmische Arbeiten in chronologischer Reihenfolge zeigt. Ein kleines Manko der Ausstellung ist die Lautstärke: nicht alle Filme sind mit Kopfhörern zugänglich, sondern teilweise mit voller Lautstärke auf Wände projiziert, sodass man gewisse Aufnahmen kaum versteht. Hier wären separate Räume oder Kopfhörer wünschenswert.

Foto: Barbara Hammer, Dyketactics, 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Foto: Barbara Hammer, Dyketactics, 16-mm-film © Estate Barbara Hammer

Am Beginn sehen wir ihre frühesten 16 mm Filme I Was/I Am, Dyketactics und Menses, in denen das Sehen und Fühlen im Zentrum steht. Neben mit Bildern von im Wald tanzenden Frauen, einer Prinzessin, die zur Bikerin wird und eierlegenden Frauen, sticht einem vor allem die Sexszene in Dyketactics ins Auge. Die Kamera gleitet schamlos über die nackten Körper, streichelt sie beinahe selbst und vermittelt den Zuschauer*Innen sinnliche Unmittelbarkeit. Das Publikum soll zum Fühlen und Handeln angeregt werden.

“My life changed through touching another woman whose body was similar to my own. My sense of touch became my connection to the screen.”

In den 80ern griff sie Krankheiten, wie die Aids-Pandemie, experimentell, aber stets mit kritischem Blick, auf. Den falschen Umgang mit der Krankheit und die damit einhergehende Homophobie verarbeitet sie im Film Snow Job. Zeitungsausschnitte, wie Aids outcast says hate hurts as much as dying, Gov wants to close gay baths und Deadly Virus of Hate, und TV-Nachrichtensendungen leuchten vor im Hintergrund fallendem Schnee.

Im letzten Ausstellungsraum führt sie uns in A Horse is not A Metaphor (2008) durch ihre Chemotherapie - unverblümte Bilder von ihr im Krankenhausbett, immer schwächer werdend, bis hin zur Genesung. Hier überblendet Hammer Bilder von Krankenhausaufenthalten mit an Wiedergeburt anklingenden Badeszenen und hoffnungsvollen Reitszenen durch die Landschaften im Weiten des Westens, übertönt mit mystischer Musik. Ein Appell das Leben zu genießen – egal, ob mit oder ohne Krankheit.

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