Auf, auf nach Budapest!

Klassische Konzerte um Mitternacht mit jung-hippem Publikum, ein erhebender moderner Konzertpalast und ein verspielter Sezessionssaal – Ein Porträt des Budapester Musiklebens in drei Konzerten.

Sezessionspracht in der Musikakademie /// Zeneakadémia, Fazekas István (c)

Kannst du dir unsere exzellent-arroganten Philharmoniker vorstellen, wie sie nach einem Abendkonzert ein zweites Mal um Mitternacht spielen? Und dann noch mit lauten jungen Menschen auf Sitzsäcken im Orchester verteilt? Das Budapest Festival Orchestra macht das regelmäßig, schon seit Jahren. Wer bitte? Nun, das BFO hat zwar nicht den stolzen historischen Background anderer Toporchester, es wurde erst in den 80ern von Iván Fischer gegründet. Doch schon seit Jahren belegt es zuverlässig gute Plätze in der Top 10 verschiedenster globaler Orchesterrankings. Nicht umsonst, Fischer ist ein Meister der Innovation, des Lustmachens. Hat man einmal eines seiner teils ausgefallenen Konzepte erlebt, will man immer mehr.

Endlich sind die Alten in Minderheit…

Am Samstag um Mitternacht stand ein buntes junges Publikum in der Budapester Burg Schlange, um die besten Sitzsäcke zu ergattern. Durchschnittsalter: 30. Endlich mussten sich mal die junggebliebenen Grauhaarigen in der Minderheit fühlen. Ich fand einen tollen Platz in der ersten Reihe, direkt vor der Soloflöte, die im rein französischen Nachtprogramm viel zu tun hatte. Fischer (dessen Humor auf Bohema schon Thema war) erzählte zunächst zur allgemeinen Belustigung von Debussys ständig wechselnden Frauen und kam zur Konklusion, der Mann müsse genauso verspielt und offen sein, wie seine Musik, in diesem Fall die sinfonische Dichtung Printemps.

Das idyllische Plätschern am Beginn von Ravels Suite zu Daphnis et Chloé zerlegte für uns Fischer zunächst in die einzelnen Stimmen, erst dann erklang das Stück ganz. Die riesige Orgie am Schluss, wie Fischer sie bezeichnete, war Gänsehaut pur: Mitten im Orchester ist das Klangerlebnis unvorstellbar geil. Erleben kann man das auch in Wien immer wieder, bei der Reihe Im Klang der Symphoniker muss man allerdings unbequeme Kartonhocker und reinquatschende Kleinkinder in Kauf nehmen. Zudem entfällt das prickelnde Gefühl, um Mitternacht ins Konzert zu gehen. Am 11. Februar gibt’s diese Möglichkeit wieder, gut möglich, dass ich wieder hingehe...

Eine Legende in der zweiten Reihe

Das alte Zentrum des Budapester Konzertlebens ist die Musikakademie. Dessen wunderschöner Sezessionssaal gehört auch für musikfremde Tourist*innen zum Must-See-Programm. Der besondere Aufhänger meines Besuchs: Bei Brahms’ Sextett Op. 18 ergänzte mein Kindheitsstar Miklós Perényi das Keller-Quartett. Dieser besonders feine Cellist (diese Aufnahme sagt alles) studierte noch bei Pau Casals, dem wohl wichtigsten Cellisten der Neuzeit. Schade nur, dass Perényi meist nur eine begleitende Unterstimme in der zweiten Reihe hinter László Fenyő brummte. Ihn nochmal auf der Bühne zu sehen, war trotzdem ein Erlebnis.

So richtig mit Vollgas waren die sechs Musiker*innen erst ab dem leckeren zweiten Satz (11:38) dabei. Ich konnte nichts dazu finden, würde aber drauf wetten, dass Brahms hier ungarische Volksmusik als Inspiration nahm. Das tat er ein Leben lang gerne (bei weitem nicht nur in seinen berühmten Ungarischen Tänzen), nachdem er mit 20 auf einer Tournee mit dem Ungarn Ede Reményi eine Kostprobe bekam. In der zweiten Konzerthälfte gesellte sich die großartige Elisabeth Leonskaja am Flügel zum Quartett, um beim supergeilen Brahms-Quintett Op. 34 dem Quartett zu zeigen, dass man aus der Musik noch mehr Feinheiten rausholen kann.

Zwei Konzerte an einem Abend? Aber sicher!

Mein Konzertmarathon war an diesem Abend noch nicht vorbei, ich eilte durch die weihnachtlich dekorierte Stadt in das MÜPA. Ich liebe Wiens alte Konzertsäle, ein klein wenig schmerzt es mir doch, dass wir bei zwei solchen Prachtbauten kaum die Chance auf einen modernen Konzertsaal haben. Schade, denn das Gefühl, in so einem futuristischen Akustikwunder der Musik zu lauschen ist nochmal anders. Allein für diese Erfahrung lohnt es sich, nach Budapest zu fahren. Die mehrfach prämierte, durchsichtige Akustik des Saals kam dem Tenebrae Choir sehr gelegen: Die fast surreale Präzision des englischen Spitzenchors kam zumindest bei mir im Parkett eins zu eins an.

Das Programm war auf den ersten Adventssonntag maßgeschneidert, alte und neue Kompositionen für die Festzeit. Besonders beeindruckend: Veni, Veni von Adrian Peacock, sowie natürlich Allegris legendäres Miserere, das der junge Mozart angeblich nach nur einem Hören in der Sixtinischen Kapelle aus dem Kopf perfekt aufgeschrieben hat. Das etwas schnellere Tempo passte gut zur Akustik, der Schluss gelang gänsehäutend.

Lust bekommen auf einen kleinen Budapest-Trip? Per Flixbus oder Bahn ist man schnell und preiswert da, die Konzerte billig (für 10 Euro bekommt man oft schon die beste Kategorie) und die Stadt wunderschön. Ab März ist auch die historische Oper nach langer Renovierung offen, ist wie die Staatsoper, nur gemütlicher.

Auf diesen Websites bekommt ihr auf Englisch einfach Tickets:

MÜPA

Akademie

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