Ein Trip in den Zoo

Stilistischer Eklektizismus, eine reduzierte Frame-rate und Kritik an US-Gesellschaft und Tierparks. Dash Shaws zweiter Spielfilm Cryptozoo.

Als ich in der vierten Klasse von meiner Lehrerin nach meinem Traumberuf gefragt wurde, antwortete ich, ohne zu zögern: „Kryptozoologe“. Auf die verwirrten Reaktionen im Klassenzimmer erklärte ich schließlich stolz, dass es sich dabei um Forschende handelt, die in Expeditionen auf der ganzen Welt nach unbekannten und mystischen Tierarten suchen. Im Laufe meines zweiten Lebensjahrzehnts musste ich mich leider mit der tragischen Realität arrangieren, dass es vielleicht doch nicht ganz so einfach ist, eine solch aufregende Karriere einzuschlagen. Jetzt sitze ich hier in Wien, studiere irgendwas mit Film und Medien und werde durch die Sichtung von Dash Shaws Cryptozoo auf dem diesjährigen Slash-Filmfestival mit meinen kindlichen Sehnsüchten konfrontiert.

Eine Welt voller Einhörner und Drachen

Cryptozoo, an diesem Projekt arbeitete der amerikanische Comicautor/Animator Dash Shaw (My Entire High School Sinking into the Seadie letzten vier Jahre. Wir tauchen ein in eine Welt, die von mystischen Kreaturen wie Einhörnern und Drachen bewohnt wird. Diese müssen sich jedoch von den Menschen, von welchen sie als bloße Figuren von Schauergeschichten wahrgenommen werden, verstecken und stoßen bei doch vorkommenden Begegnungen auf Angst und Ablehnung. Eine kleine Gruppe von Menschen (Kryptozoologen oder so!) hat es sich jedoch zur Lebensaufgabe gemacht, diese gefährdeten Wesen aufzuspüren und ihnen in einer gigantischen Parkanlage, dem Cryptozoo, ein friedliches Leben zu ermöglichen.

Im Zentrum steht nun die Tierärztin und Kreaturen-Finderin Lauren Grey, die mit der Gorgone Phoebe auf der Suche nach einem Baku ist, einem japanischen Fabelwesen, dass sich von den Träumen der Menschen ernährt. Doch auch weniger idealistische Tierjäger sind auf der Suche nach diesem, da sie versuchen, die sogenannten Kryptiden an das US-amerikanische Militär als biologische Waffen zu verkaufen. Hinzu kommt noch, dass sich zwei Außenstehende eines Nachts in den Park verirren...

Eine Collage aus den verschiedensten Stilen

Cryptozoo ist in erster Linie ein Film, der durch seine unverkennbare psychedelische Optik hervorsticht. Die Formen auf der stets sehr flach konstruierten Leinwand sind in jeder Einstellung mit einer Unmenge an (meist sehr gesättigten) Farben gefüllt. Hierdurch kommt es gemeinsam mit der Tatsache, dass es sich nicht nur um sehr bunte, sondern vor allem um sehr viele Objekte im Bild handelt, zu einer vollkommenen Reizüberflutung des Publikums, welches sich im Laufe des Films gänzlich von seiner gewohnten Realitätswahrnehmung verabschieden muss.

Shaw bedient sich hierbei vermeintlich zufällig zusammengewürfelt der verschiedensten Kunst- und Animationsstile. Es kommt da schon einmal vor, dass farblose Figuren, die wie schnell angefertigte Konzeptskizzen ihrer selbst wirken, gemeinsam mit Objekten aus Wasserfarben oder skurrilen - scheinbar aus verschiedenen Bildern zusammengestellten - collagierten Kreaturen die Leinwand füllen. Auch die Hintergründe variieren ständig irgendwo zwischen Bleistiftzeichnung und Jackson Pollock Gemälde. Shaws eklektischer Stil, gemeinsam mit der mythologischen Handlung, erweckt hierbei Erinnerungen an Eiichi Yamamotos Film-Kunstgalerie-Hybriden Belladonna of Sadness, wobei die kreativen surrealen Kreaturen Assoziationen an die wundervollen Werke von Rene Laloux (La Planète sauvage) wecken.

Reduzierte Bildrate als Schutzwall gegen das Aufwachen aus dem filmischen Traum

Neben dieser stilistischen Verspieltheit müssen sich die Zuschauenden auf eine – wohl als Folge des geringen Budgets - sehr reduzierte Bildrate als zweites Merkmal von Shaws Stil einstellen. Diese fordert das Publikum, welches bereits die unzähligen bunten Eindrücke verarbeiten muss, noch weiter, wobei es zumindest bei mir zu gewissen Erschöpfungserscheinungen kam. Man muss dem

Film hierbei jedoch zugutehalten, dass dieser Effekt im Kontext des Surrealismus gewiss eine interessante Wirkung hat. Schließlich stellen Träume - eines der Hauptmotive genannter Strömung - immer nur reduzierte Wirklichkeiten dar. Alle luziden Träumer*innen werden mir zustimmen, dass die zu intensive Konzentration auf die Umgebung und Details eines Traumes, letztendlich immer zu einem Erwachen aus dieser Welt führt. Wenn sich Träume auf einen bestimmten Informationsgehalt reduzieren müssen, um zu bestehen, ist es also nur konsequent, wenn sich auch am Traum orientierte Kunst entsprechend an dieses Gesetz hält. Irgendwo muss Cryptozoo als traumhaftes Werk bei seinem sonstigen Overflow an Reizen ja Abstriche machen, um uns nicht zu einem Erwachen aus Shaws träumerischer Fantasie zu verleiten.

Reflexionen der US-Gesellschaft

Inhaltlich lassen sich in Shaws Film einige Reflexionen zur US-Gesellschaft wiederfinden. Zunächst lässt sich unmittelbar eine Kritik am amerikanischen Militarismus vorfinden, die sich in dem Versuch äußert die mystischen Wesen, als biologische Waffen zu missbrauchen. Hierbei will die US-Regierung mithilfe des traumfressenden Bakus die Träume und Hoffnungen der subversiven Kräfte im Land auslöschen, um auf ewig den Status quo aufrechterhalten zu können. Nicht gerade subtil...

Zusätzlich wird auch vor allem im Umgang mit Kryptiden humanoider Form Rassismus thematisiert. Allen voran steht hierbei die Gorgone Phoebe, welche sich sehnlichst wünscht, gesellschaftlich akzeptiert und mit ihrem menschlichen Partner in der Mitte der Gesellschaft leben zu können. Sie wird jedoch dazu gezwungen, im Alltag ihre Schlangenhaare zu verstecken. Bei Missachtung der erzwungenen Identitätsverschleierung kommt es zu einem direkten Ausbruch von Gewalt.

Shaws Reflexionen verlassen hierbei nie gewohnte Muster und bilden lediglich eine nett gemeinte Parabel auf Rassismus und Militarismus. Immerhin bieten sie uns innerhalb des verwirrenden stilistischen Spektakels ein gewohntes Element, an dem wir uns als Zuschauende etwas festhalten können.

Was behandelt ein Film namens Cryptozoo wohl noch?

Selbstverständlich behandelt der Film auch die von seinem Sujet klar vorgegebene Thematik der Zoos und des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier. Auf der einen Seite stehen die „guten“ Menschen, welche die Kryptiden gefährlich bevormunden und versuchen mit Idealismus ihre doch eher an Pokémon als an Artenschutz erinnernde Sammelleidenschaft zu rechtfertigen. Eine Verlockung, der auch wir als Zuschauende nachgeben, wenn wir innerlich verlangen, immer mehr dieser fantastischen Wesen präsentiert zu bekommen. Auf der anderen Seite stehen jedoch die Kryptiden, die am Ende dank des hier speziesistisch ausgelegten White Savior Complexes in einem - zugegebenermaßen schön gestaltetem - Gefängnis leben müssen.

Auch die in tierschutzinteressierten Kreisen oft geführte Debatte über den Konflikt von Tierwohl/Artenschutz und kommerzieller Rentabilität von Zoos wird ausgiebig behandelt. In dieser Hinsicht ist Cryptozoo auch hier in seiner Botschaft etwas vorhersehbar, wobei man Dash Shaw natürlich zugutehalten muss, dass einem doch etwas empathisch orientiertem Regisseur kein großer Spielraum in derBehandlung zum Thema „Zoo“ zur Verfügung steht. Was soll er und denn sonst sagen? Dass es toll ist, Tiere in kleine Käfige zu sperren?

Letztendlich folgen wir einem sehr desorientierenden Film, der es schafft, ein einfaches, blockbusterartiges Handlungsgerüst durch Traumlogik und extreme stilistische Verspieltheit zu einem sinnbetäubenden Trip werden zu lassen. Hierbei wird ein simpler - wenn auch gut gemeinter - Diskurs über die amerikanische Gesellschaft und den Sinn von Tierparks eröffnet. Die große Stärke des Films ist aber sicherlich der äußerst kreative Stil, der das Werk als Summe seiner Sub-Stile zu einem einzigartigen Cocktail der Animationskunst werden lässt. Cryptozoo ist keineswegs leicht zu

konsumieren, was auch an der reduzierten Bildrate liegt, welche zwar innerhalb eines surrealistischen Werkes sehr interessant ist, aber abgesehen von Überlegungen zur Form für die meisten Zuschauenden wohl eher als hemmendes Mittel gegen den befriedigenden Filmgenuss in Erscheinung treten wird. Mein kindliches Ich würde den Film aufgrund seiner surreal- psychedelischen Natur und besagter Bildfrequenz wahrscheinlich trotz seines Inhalts nicht zu schätzen wissen, aber für mein heutiges Ich wird er durch diese gerade erst richtig interessant.

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