Aus dem Tagtraum gerissen

Auf ILLUSION verschmelzen Requiems höllischer Hardcore und Antheas himmlischer Hyperpop zu einem eindringlichen Kontrastprogramm.

Die Protagonistinnen von ILLUSION /// Alessandra Ljuboje (c)

Pop und Metal, zwei musikalische Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Pop als ubiquitäres Massenprodukt, Metal als eher düsteres Nischengenre. Den Versuch, beides im Sinne des Nu-Metal der 1990er miteinander zu vereinbaren, unternahmen jüngst internationale Künstler*innen wie Grimes, Poppy oder Rina Sawayama. Nun wagen sich mit Requiem, dem Soloprojekt von Hardcore-Vokalistin Julie Hill, und Anthea zwei Acts aus Wien an diese brisante Melange und servieren uns mit ihrer neuen Single ILLUSION ein tagträumerisches Fegefeuer.

Bohema: ILLUSION wird als Versuch, Pop und Metal zu verbinden, beschrieben. Welchen gemeinsamen Nenner gibt es zwischen den beiden?

Julie Hill: Vor allem im modernen Metal wie „Metalcore“ gibt es recht ähnliche musikalische Strukturen wie im Pop. Es wird nicht immer „geschrien“, sondern es gibt durchaus auch Bands, die sich „clean“ Vocals bedienen. Zudem gibt es im Metal wie auch im Pop sehr eindringliche Refrains, die man sich schnell merkt und mitsingt. Ich höre auch privat viel Pop und finde es großartig (lacht).

B: Worum geht es in dem Song?

JH: In ILLUSION geht es um die Flucht in eine alternative Realität, um die Wirklichkeit kurz zu vergessen. Darum, sich einen Traum auszumalen, in dem man sich „zu Hause“ fühlt. Gesungen dargestellt wird das von Anthea. Ich hingegen stelle die „brutale“ Wirklichkeit dar: den Fall zu Boden, die Rückkehr zum harten Alltag. Eine Illusion also. Permanentes Tagträumen gilt oft als Trauma Response. Und da ich mich viel mit Mental Health und Selbstheilung beschäftige und mich das Tagträumen von klein auf begleitet, war es mir wichtig dies in dem Song umzusetzen.

Zwischen Hardcore …

Julie Hill spielt seit 2018 in der Wiener Hardcore-Band Dregs. Um ihre eigenen Ideen umzusetzen, startete sie 2021 ihr Soloprojekt Requiem, bei dem sie auf makabre Goth-Ästhetik und melodisch-mystischen Gitarrenriffs setzt. Als Produzent und Instrumentalist für ihre Songkonzepte steht ihr dabei Powernerd zur Seite, mit dem sie sich vor fünf Jahren im Zuge ihrer gemeinsamen Tätigkeit als Fachsozialbetreuer*in angefreundet hat.

B: Dein Stil wird für manche vielleicht düster wirken, in deinen Lyrics habe ich aber immer auch eine empowernde Botschaft herauslesen können. Was möchtest du mit deiner Musik mitteilen?

JH: Empowerment war mir immer schon sehr wichtig. Bei „Dregs“ habe ich eher über politische und feministische Themen geschrieben, bei „Requiem“ geht es mir mehr um die Verarbeitung meiner eigenen Gefühle & Vergangenheit sowie Spiritualität. Mit meinen Texten möchte ich eine gewisse Stärke vermitteln und greife Themen auf, die vermutlich viele betreffen. Da mir Mental Health ein wichtiges Anliegen ist, möchte ich andere Menschen dazu animieren, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und bei Bedarf Support zu holen. Für mich ist Musik ein wichtiger Zugang, wo ich mir viel Feedback holen und mich mit anderen Menschen verbinden kann.

… und Hyperpop 

Eine solche Verbindung ist zwischen Julie und Anthea entstanden. Kennengelernt haben sich die beiden 2019 bei einem Hardcore-Konzert im Venster99. Da sie dieselbe Leidenschaft zur Metal- und Hardcore-Musik teilen, gab es für Julie keine andere Person, mit der sie lieber kollaboriert hätte. Antheas federleichte Vocals bilden dabei einen spannenden Kontrast zu ihrem False-Chord-Gesang.

Im Oktober 2021 erschien mit XEA die Debüt-EP von Anthea. Darauf verschreibt sie sich voll und ganz dem Hyperpop, einem Genre, das vom britischen Label PC Music begründet wurde, und in dessen von künstlich-verzerrtem Autotune-Gesang und kaleidoskopischer Elektronik geprägtem Sound, zahlreiche queere Künstler*innen eine Ausdrucksform gefunden haben.

Demnächst erscheint Powernerd‘s Single Violence via Lazerdisc Records, zu der Julie Guest Vocals beigetragen hat. Außerdem arbeiten die beiden gerade an Requiems Debüt-EP Cycle of Abuse.

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