Eine Ode an den Journalismus
Die Kreativität von Wes Anderson scheint keine Grenzen zu kennen. In The French Dispatch transformiert er ein fiktives Print-Magazin in ein Leinwand-Potpourri aus kinematographischen Finessen.
Wes Anderson entführt uns in das fiktive französische Städtchen Ennui-sur-Blasé (nomen est nur teilweise omen!). Dort leitet Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) das titelgebende, feuilletonistische Magazin The French Dispatch, für das er eine Crew aus talentierten Expat-Journalisten zusammentrommeln konnte. Im Jahr 1975 erleidet Howitzer Jr. einen letalen Herzinfarkt. Da er in seinem Testament verfügt hatte, dass das Magazin nach seinem Tod nicht mehr publiziert werden soll, wird eine letzte Ausgabe zusammengestellt, bestehend aus vier wegweisenden Artikeln vergangener Editionen.
Vier journalistische Meisterleistungen
„The Cycling Reporter“ von Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) ist ein kurzes Stück journalistischer Geschichtsforschung. Darin radelt Sazerac durch Ennui, stellt wichtige Lokalitäten des Städtchens vor, vergleicht Vergangenheit und Gegenwart eines jeden Orts und schildert so, wie viel und doch wie wenig sich Ennui über die Jahre verändert hat.
„The Concrete Masterpiece“ von JKL Berensen (Tilda Swinton) ist ein kunstgeschichtliches Porträt des Malers Moses Rosenthaler (Benicio del Toro). Dieser sitzt im Knast und findet in Gefängniswärterin Simone (Léa Seydoux) seine Muse. Noch-Mitinsasse Julien Cadazio (Adrien Brody), der eine Kunstgalerie besitzt, kauft ihm das erste Bild mit dem Titel Simone, Naked, Cellblock J, Hobbyroom für ein paar Zigaretten ab und stilisiert Rosenthaler damit zur bahnbrechenden Neuheit der Kunstszene, was in einem Gefangenenaufstand gipfelt.
„Revisions to a Manifesto“ von Lucinda Krementz (Frances McDormand) gleicht einer nicht immer ganz neutralen Kriegsberichterstattung. Die Journalistin begleitet die Studentenunruhen in Ennui. Trotz ihrer Neutralität lässt sie sich auf eine Amour fou mit Zeffirelli (Timothée Chalamet), dem Anführer der Studenten, ein und hilft ihm, sein Manifest zu schreiben. Doch schon bald wird Zeffirelli vom Blitz getroffen, woraufhin ein Foto zum zentralen Widerstandssymbol wird.
„The Private Dining Room of the Police Commissioner“ von Roebuck Wright (Jeffrey Wright) sollte eigentlich eine Gastronomie-Kritik des Kochs Nescaffier (Steve Park) werden, der sich einen Ruf als Revolutionär der französischen Polizeimahlzeiten gemacht hat. Doch kaum hat Wright am Tisch des Polizeichefs (Mathieu Amalric) Platz genommen, wird dessen Sohn entführt. Eine actionreiche Rettungsmission beginnt, die nun den Hauptteil dieses Magazinbeitrags ausmacht.
Scheinbar grenzenlose Kreativität
Mit The French Dispatch scheint Andersons Kreativität ein neues Ausmass anzunehmen. Die aberwitzig konstruierten, temporeichen Episoden strotzen vor akribisch detaillierten Bildkompositionen, dass man bei einmaligem Anschauen des Films beinahe davon erschlagen wird. Allein die ersten 30 Szenen benötigen alle ein eigenes, jeweils völlig unterschiedliches Set.
So wie der Plot ein Best-of der Gesamtheit der bisher publizierten Magazinartikel widerspiegelt, kann man den Film auch auf einer abstrakteren Ebene als Best-of verstehen: eine Kompilation von Andersons filmischem Können. Der komplette Film ist im 4:3-Format aufgenommen, ist von zweidimensionalen Set-Miniaturen gesäumt und enthält in der letzten Episode eine längere Comic-Sequenz, die zu den witzigsten Momenten des Films zählt. Dabei treibt Anderson jede eingesetzte Filmtechnik auf die Spitze, hält sie aber gerade noch in einem Rahmen, der nicht ermüdend übertrieben wirkt.
In Kombination mit dem 70er-Jahre-Setting wird so eine idealistische Nostalgie erzeugt. Damit zollt Anderson dem perfekten, erstklassigen Journalismus Tribut, was auf der technischen Ebene wunderbar funktioniert. Allerdings handeln die Figuren alles andere als konsequent nach journalistischen Leitsätzen. Vor allem die von Frances McDormand verkörperte Figur, die es mit der Neutralität nicht so genau nimmt, bringt somit leise Misstöne in die Hommage ein.
Halb Hollywood ist dabei
Die Liste an weltberühmten Ensemblemitgliedern ist derart lang, dass sie das Ausmass dieses Artikels sprengen würde. Doch der Fakt, dass Weltstars wie Saoirse Ronan, Christoph Waltz oder Willem Dafoe lediglich Zwei-Minuten-Cameos haben, in Dafoes Fall sogar ganz ohne Dialog, dürfte einen guten Eindruck der vorhandenen Starpower vermitteln. Die meisten Darstellenden gehören bereits seit mehreren Filmen zu Andersons Stamm-Ensemble und kennen seinen Stil bestens. Doch auch Neulinge wie Benicio del Toro, Timothée Chalamet oder Jeffrey Wright gliedern sich beinahe perfekt in den Anderson-Kosmos ein, indem sie etwa nach innen gerichtete Emotionalität mit einem nach aussenhin gespielten Stoizismus überdecken – Wright und del Toro auf den Spuren des von Ralph Fiennes gespielten Gustave M. aus The Grand Budapest Hotel (der übrigens auch ein Anderson-Neuling war und sich kongenial in das Gefüge einfügte) – oder mit unerwartet komischen, verbalen Ausbrüchen Andersons Antirealismus gerecht werden. Allerdings muss man sagen: All die Namen auf dem Filmplakat beeindrucken zwar nach aussenhin, doch wirkt das Verheizen einzelner Stars in Kurzauftritten fast schon verschwenderisch. Würden sie aber fehlen, wäre The French Dispatch nicht komplett.