Currentzis canceln?
Warum wir hoffen sollten, dass der umstrittene Teodor Currentzis nicht in Russland verschwindet, was in der Debatte um ihn schiefläuft und was Dirigentenkollege Christian Thielemann von ihm und der Lage hält.
Als junger Mensch fühlt man sich in der Klassikszene zwischen ergrauten Sakkos und Haaren manchmal etwas fehl am Platz. Besser geht es unsereinem in Konzerten des ausgefallenen Stardirigenten Teodor Currentzis. Seine außergewöhnlichen Programme, stürmisch-aufregenden Interpretationen und exzentrischen Looks (gerne auch Dr. Martens und Undercut) locken ein junges, buntes Publikum an. Ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal in der ganzen Szene.
Ein Gergiev 2.0?
Gerade wird es um Currentzis aber eng. Kurz vor Ostern wurde im Konzerthaus sein Benefizkonzert für die Opfer des Ukrainekrieges abgesagt, danach wurde er mit seinem Orchester MusicAeterna in Paris und München ausgeladen. Es scheint nur eine Frage von Tagen sein, bis Markus Hinterhäuser sein Engagement bei den Salzburger Festspielen auflöst. Der Grund? Er sei ein Gergiev 2.0 und würde Putin-Propaganda machen, meint Journalist Axel Brüggemann, dessen schaumig-wütenden Newsletter im Klassikmagazin ‘Crescendo‘ die Speerspitze der Angriffe auf Currentzis waren. Zur Erinnerung: Valery Gergiev machte jahrelang Wahlkampf für Putin, soll Taufpate seiner Kinder sein (oder andersherum?), dirigierte für die russischen Truppen auf der Krim usw. So einer sei also Currentzis?
Tatsächlich ist die Lage keineswegs so eindeutig. Currentzis‘ Orchester sitzt seit 2019 in St. Petersburg und ist als freies Orchester auf Sponsoren angewiesen. Einer der wichtigsten ist die VTB-Bank, die zu 60% in Staatsbesitz ist und jetzt auf der Sanktionsliste steht. Damit ist das Ensemble tatsächlich von russischem Geld abhängig. Currentzis äußerte sich zwar vor dem Krieg immer wieder kritisch über Putins System, bei der aktuellen Repression in Russland kann er sich aber kein geschriebenes Statement erlauben.
“Militante Moralapostel”
Er sprach stattdessen musikalisch per Programmänderung: Mit einem ukrainischen Stück, Schostakowitschs Fünfter (Protestmusik gegen Stalins Diktatur) sowie mit Strauss‘ Metamorphosen (eine Reaktion auf das zerstörte Europa nach ’45) sprach Currentzis für Kenner*innen eindeutig. Diejenigen, die immer noch vehement auf ein Statement pochen, sind seine Hater*innen, militante Moralapostel (wie der Wiener Doyen der Musikkritik, Wilhelm Sinkovicz schrieb) oder Ukrainer*innen. Verständnis habe ich nur für Letztere. Das tatsächliche Problem ist seine finanzielle Abhängigkeit, nicht das Fehlen irgendeines Persilscheins.
Das Konzerthaus stellte mittlerweile klar: Der Verkauf von Tickets der Currentzis-Konzerte der nächsten Saison wird so lange eingefroren, bis er sich von der VTB trennt. Von der Website des Orchesters ist die Bank mittlerweile verschwunden, vielleicht ist eine unabhängige Finanzierung kurz vor der Verkündung. Das könnte ein Grund sein, warum die Salzburger Festspiele immer noch an ihm festhalten. Intendant Hinterhäuser ist unter großem Druck, wenn er keine Chance für eine Distanzierung Currentzis‘ von seinen Sponsoren sehen würde, hätte er ihn wohl schon fallen lassen. Dass hinter den Kulissen mit Volldampf an einer unabhängigen Finanzierung gearbeitet wird, ist jedenfalls anzunehmen.
Was meint der konservative Wagnerfachmann Thielemann?
„Wäre ich ein Veranstalter, würde ich Currentzis jetzt wahrscheinlich trotzdem einladen, er müsste sich nur irgendwie vom schmutzigen Geld befreien“, meinte Dirigent Christian Thielemann vor kurzem bei einem Publikumsgespräch im Musikverein. Und weiter: „Auch wenn ich musikalisch oft anderer Meinung bin, schätze ich sehr, dass es nie langweilig ist, was er macht.“ Guter Punkt! Currentzis ist kein Musikgott, natürlich ist nicht alles toll, was er macht. Aber er ist immer mit 150% dahinter, macht keine halben Sachen. Kaum jemand probt so viel und intensiv, wie er und das führt regelmäßig zu bombastischen Konzerten. Tschaikowskis Pathétique bei seinem letzten Auftritt in Wien war ein derart aufbrausend-tragisches Erlebnis, wie ich es bis dato in einem Konzert kaum erlebt hatte. Das war noch viel gnadenlos-verbitterter als in der verlinkten Aufnahme.
Currentzis zu verlieren wäre auch für die zeitgenössische Musik ein großer Verlust, so publikumswirksam vermittelt außer ihm kaum jemand moderne Komponist*innen. Der Grieche gehört zu den wenigen, die klassische Musik nicht nur erhalten, sondern auch weiterdenken. Mit Performances, mit dem Zusammenspiel zwischen Musik und Kunst, mit seiner offensichtlichen Ambition, Neues zu schaffen. Ich habe lange nachgedacht, wer außer ihm vergleichbare Impulse setzt und kam gerade bei Dirigent*innen auf kaum jemanden.
Wer schafft es sonst in den Spiegel oder die Times?
Dass Currentzis in Sachen Innovation so alleinsteht, hat zu seiner tatsächlich etwas problematischen Rolle als ‘Musikmessias‘ geführt. Die diesjährigen Salzburger Festspiele wären ohne ihn um einiges provinzieller und langweiliger. Im Idealfall gäbe es noch eine Handvoll gefeierte Innovator*innen. Da es die aber nicht wirklich zu geben scheint, wäre seine endgültige Versenkung in Russland ein herber Verlust. Auch, weil die Kontroverse in den Medien um Currentzis und seine Musik in den letzten Jahren so laut war, dass sie sogar außerhalb der Klassikbubble vernommen wurde. Welche*r Musiker*in schafft es heutzutage noch in den Spiegel oder die New York Times? Der verstaubten Klassikszene tut allein dieser Diskurs immens gut.
Natürlich müssen wir jetzt ganz genau hinschauen, von wem er finanziert wird, ob er sich tatsächlich vom unsauberen Geld trennt. Genau hinschauen müssen wir aber auch auf die Debatte um ihn. Und dann merkt man, dass Axel Brüggemann eine verbitterte Kampagne gegen ihn führt. Für ihn war Currentzis immer schon ein „Scharlatan der Klassik“ jetzt wittert er die Chance, ihn endgültig loszuwerden. Ähnliches versuchte er schon vor Jahren, als er mit einem hunterhältigen Angriff Sir Simon Rattle aus Berlin vertreiben wollte. Zum Glück wird es am Ende nicht an Brüggemann liegen, was aus Currentzis wird, auch bei Rattle flog er am Ende auf. Seine Zukunft hat Currentzis immer noch selbst in der Hand. Ich kann nur hoffen, dass er die nötigen Schritte einleitet und sich von der russischen Abhängigkeit trennt. Falls er das nicht tut, wird er schmerzlich vermisst.