Das Lehrerzimmer oder der innere Polizeistaat
In einer Schule wird regelmäßig geklaut und es ist nicht der Ausländer? Das stellt die Schulleitung vor einige Herausforderungen, scheinbar ist nur ein hartes Eingreifen denkbar.
Der Blick der grün-blauen Augen führt aus dem Fenster. Im Verdeckten verbreitet sich hochsensible Information. Von einer Gruppe zur nächsten formiert sich die Einheitsfront. Ein Gespenst geht um am Schulhof – das Gespenst des Ungehorsams. Rebellion liegt in der Luft.
Ilker Çatak zeigt in das Lehrerzimmer, wie die Schule auf mehreren Ebenen ein Sinnbild für unsere Gesellschaft im Kleinen ist. Protagonistin ist Carla Nowak (Leonie Benesch), eine neue Lehrerin an der Schule mit dem Herzen am rechten Fleck. Ihre Schüler:innen scheinen sie zu mögen und als einem ihrer Schüler vorgeworfen wird, zu stehlen, kann sie die Vorgehensweise nicht fassen. Die Schulleitung möchte das Problem des Diebstahls so schnell wie möglich loswerden, und da ist ihnen auch jedes Mittel recht; immerhin herrscht eine sogenannte „Null-Toleranz-Politik“.
Polizeistaat
Frau Nowak steht zwischen den Stühlen, zum einen möchte sie ebenfalls Teil der neuen Schule sein und helfen den/die Dieb:in zufinden, gleichzeitig erachtet sie die Vorgehensweise ihrer Kolleg:innen als falsch. Diese bedrängen die Schüler dazu, zu petzen und greifen in deren Privatsphäre ein. Es wird klar das Bild eines autoritären Polizeistaates in der Schule gezeichnet. Schlimmer wird es als die liebe Frau Nowak sich bei diesem Vorgehen selbst schuldig macht. Sie hält es für eine kluge Idee, ihre eigene Jacke heimlich aufzunehmen, um so auf dem Dieb:in auf die Schliche zu kommen. Im festen Glauben zu wissen, wer der/die Dieb:in ist, beschuldigt sie die Mutter des Schülers Oskar (Leonard Stettnisch). Oskar lässt sich diesen Totalitarismus nicht gefallen und hetzt seine Schulgenoss:innen dazu auf, den Unterricht von Frau Nowak zu boykottieren. Nun ist es die Lehrerin, die von Seiten der Schüler:innen und Kolegschaft Anfeindungen erfährt, und sie fühlt sich allein. Der Film fängt diese Bedrängnis durch sein 4:3 Format ein. Die Mentale Einengung und der Druck, der auf Frau Nowak herrscht, wird sichtbar.
Freiwillige Autorität
Obwohl im Gesamten Das Lehrerzimmer ästhetisch nicht besonders auffällt, stechen dennoch die Inszenierung des Autoritären heraus. Frau Nowak führt eine Guten-Morgen-Begrüßung ein, die zwar sehr kitschig ist, aber in ihrer uniformierten Aufführung an einen faschistischen Gruß eminent erinnert. Der autoritäre Charakter von Frau Nowak wird lediglich hinter ihrer freundlichen Fassade versteckt. Spannend ist auch, dass die Rechtfertigung des harten Durchgreifens der Schulleitung auf der „Freiwilligkeit“ der Schüler liegt, als hätten sie eine Wahl. Ganz nach dem Motto, „Wir würden gerne einen Blick in eure Portmonets werfen. Das Ganze ist freiwillig, aber wer nichts zu verbergen hat, der muss sich auch keine Sorgen machen.“ Slavoj Zizek bezeichnet diese Form des Autoritarismus als den Nicht-Autoritären-Vater", der nicht mehr seine Kinder dazu zwingt, Oma zu besuchen, sondern ihnen die „Freie Wahl“ gibt. Aber dadurch, dass es ein bestehendes Machtgefälle zwischen Eltern-Kinder existiert, ist diese „Freie Wahl“ gar nicht so frei wie man denkt. Diese Dynamik stellt uns Çatak auch zwischen Lehrer:in und Schüler:in dar. Es macht keinen Unterschied, ob die Lehrer:innen die Schüler:innen zwingen, ihre Portmonets zu zeigen oder ob die Schüler:innen das freiwillig tun können, die Ohnmacht der Schüler:innen ist ausweglos.
Viele Fragen - Wenige Antworten
Und dabei bleibt es. Çatak präsentiert uns einen Film, der viel mehr gesellschaftliche Diskurse und Fragen öffnet, als konkrete Antworten zu geben. Die Schule ist ein cleverer Ort, um diese Ideen darzustellen, da es alle nachvollziehen können und die Schule einen guten Überblick bietet, wie Machtgefälle funktionieren kann. Und somit hinterlässt und das Lehrerzimmer einige Fragen, die wir nachdem Schauen sofort mit unserer Sitznachbar:in ausdiskutieren wollen.